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Mit dem städtischen Projekt "70 Jahre Flucht und Vertreibung" wird ein zentraler Abschnitt der jüngeren Pfaffenhofener Geschichte illustriert und aufgearbeitet – Buchvorstellung am Freitagabend, Ausstellung im Rathaus bis 3. Dezember, "Tag der (neuen) Heimat" am 13. November

Von Linda Rosenberger

„Geschichte darf nicht verloren gehen!“ Mit diesen Worten eröffnete Pfaffenhofens Bürgermeister Thomas Herker (SPD) am Freitagabend das städtische Projekt „70 Jahre Flucht und Vertreibung“, mit dem ein „zentraler Abschnitt der jüngeren Stadtgeschichte“ aufgearbeitet werden soll, wie er sagte. Das grundlegende Thema dafür liefert die enorme Flüchtlingswelle der Nachkriegszeit, die – wie an diesem Abend klar gemacht wurde – nicht nur massive Einschnitte in die Biographien der betroffenen Menschen bedeutete, sondern zugleich den ganzen Landkreis einschneidend verändert hat.

Für die Aufarbeitung jener Ereignisse gibt es noch bis zum 3. Dezember eine historische Ausstellung im Foyer sowie im ersten Stock des Pfaffenhofener Rathauses zu sehen. Am 13. November wird darüber hinaus der „Tag der (neuen) Heimat“ ab 17.15 Uhr vor dem Haus der Begegnung und dann um 18 Uhr im Festsaal des Rathauses begangen. Den Auftakt zu dieser Reihe von Veranstaltungen bildete jedoch die Vorstellung des Buchs „Entwurzelt – unterwegs – angekommen. Flucht und Vertreibung in Stadt und Landkreis Pfaffenhofen a.d. Ilm 1945/46“, verfasst von Stadtarchivar und Historiker Andreas Sauer. Das Werk ist erhältlich bei den örtlichen Buchhandlungen und im Bürgerbüro.

 

Zur Buchvorstellung hatte die Stadt am Freitagabend alle Interessierten in den Festsaal des Rathauses eingeladen. Der Bürgermeister, dem dieses Thema nach eigenen Worten sehr am Herzen liegt, bedankte sich für das zahlreiche Erscheinen der Gäste, bevor er sie dazu aufrief, ihre neu gewonnenen Kenntnisse auch in den Bekanntenkreis hinauszutragen. Dann übergab er das Wort an Andreas Sauer, der den Inhalt seines Buches erläuterte. 

Die zentralen Aussagen können dabei, wie Sauer erklärte, anhand der folgenden drei Schlagworte zusammengefasst werden: entwurzelt, unterwegs, angekommen. So solle das Buch an die Geschichte derer erinnern, die in kürzester Zeit ihre Heimat verlassen mussten, um sich auf die Reise in eine ungewisse Zukunft zu begeben. Sauers Werk beruht dabei auf der Basis der Schilderungen einiger Zeitzeugen, wie zum Beispiel des früheren Pfaffenhofener Lehrers Otto Stumm, der mit seinen 50 Tagebüchern zu einem der wichtigsten Quellengeber geworden ist.

 

So berichtete Stumm von „unerfreulichen Zuständen“ in den Massenunterkünften, die kaum den Strömen von Neuankömmlingen Herr werden konnten. Auch der frühere Landrat Franz Edler von Koch verglich die Situation 1948 mit einem „Fass ohne Boden“, da der Zustrom nicht abzureißen schien, obwohl der Wohnraum in Pfaffenhofen schon seit Jahren knapp war. Die wichtigsten Herausforderungen, mit denen sich das Pfaffenhofen der Nachkriegszeit konfrontiert sah, waren also, sowohl die Neuankömmlinge als auch die Einheimischen unterzubringen, sie zu versorgen sowie ihnen eine Zukunft zu schaffen und zu sichern. 

Besonders wichtig für die Erstversorgung waren dabei nicht nur das Rote Kreuz, sondern auch die Firma Hipp, die bekanntlich bis heute in Pfaffenhofen ansässig ist und zu einem der führenden Produzenten von Babynahrung geworden ist. Ein zweites Projekt zur Verringerung der Wohnungsnot war darüber hinaus die Herion-Siedlung. Welche neuen Kräfte sich innerhalb dieser Baracken formieren können, beweist die ebenfalls bis in die Gegenwart existierende Zylinderschleiferei Altmann, die aus einem während der Nachkriegszeit von Werner Strempel gegründeten Betrieb hervorging.

 

Doch nicht nur jene bis in die heutige Zeit bekannten Betriebe sind es, die es erlauben, eine Brücke von der damaligen Zeit in die Gegenwart zu schlagen. Denn aus den Schilderungen Sauers lässt sich darüberhinaus eine Parallele zu der aktuellen Flüchtlingskrise erkennen. So sieht es auch Herker, der zum Ende der Buchvorstellung und der anschließenden Diskussion noch einmal den Bogen in die Gegenwart spannen wollte. Er sieht die Angst vor dem Fremden, die sich durchaus auch damals bei den Einheimischen Pfaffenhofens erkennen ließ, als eine „fast natürliche Eigenschaft des Menschen“. Wenngleich die Situation von heute andere Ursachen habe als damals, so bleibe der Kern – nämlich seine Heimat aus Angst verlassen zu müssen – der gleiche. „Wir sind heute gefordert wie damals“, sagte Herker. „Es geht darum, als Einheimischer die Hand auszustrecken und als Fremder zu versuchen, einheimisch zu werden.“

Dennoch müssten wir heute mehr für die Integration tun, meint Zeitzeuge Rainer Gepperth im Interview. Er sei 1946 im Alter von drei Jahren mit seiner Familie aus der damaligen Tschechoslowakei geflohen und ist der Meinung, man könne die beiden Situationen nicht vergleichen. „Wir hatten damals eine gemeinsame Sprache und Kultur, haben uns quasi selber integriert – heute dagegen müssen wir helfen.“

 

Dass der kulturelle Hintergrund, mit dem wir uns heute konfrontiert sehen, komplexer ist als damals, das bestätigt auch Herker. Dafür sei die wirtschaftliche Situation heute eine bessere. „Ich bin guter Dinge, dass wir die Situation in den Griff bekommen“, sagte der Rathauschef. Auf längere Sicht sei die Flüchtlingskrise wohl nur eine kleinere Aufgabe – etwa im Verhältnis zum Klimawandel gesehen. „Natürlich kann Pfaffenhofen allein die Welt nicht retten, aber ich bleibe optimistisch.“ 

Dem schließt sich auch Sauer an. „Früher war die Situation wegen der großen Mengen und der schlechten ökonomischen Situation schwieriger“, sagt er im Interview. „Es gab keine Wohnungen, kaum Versorgung und nicht mal die Einheimischen hatten Arbeit.“ Heute seien die Randbedingungen besser. „Das Potential ist also da, das wir die Krise bewältigen können“, so Sauer. Auch die damalige Situation habe sich schließlich zum Guten gefügt.

 

Die Ausstellung „Flucht und Vertreibung in Stadt und Landkreis“ ist bis einschließlich 3. Dezember zu den üblichen Öffnungszeiten des Bürgerbüros im Foyer und im ersten Stock des Rathauses zu sehen: montags von 8 bis 16 Uhr, dienstags, mittwochs und freitags von 8 bis 12 Uhr, donnerstags von 7 bis 18 Uhr sowie am ersten und dritten Samstag im Monat von 9 bis 12 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Auch am „Tag der (neuen) Heimat“, 13. November, kann die Ausstellung besichtigt werden. Die Veranstaltung beginnt an diesem Tag mit der Enthüllung einer Gedenkstele vor dem Haus der Begegnung um 17.15 Uhr. Ab 18 Uhr schießt sich ein Festabend im Rathaus an. Neben Reden und Vorträgen stehen dabei auch Tanz, Folklore und Musik auf dem Programm. Auch hierzu ist die gesamte Bevölkerung – ebenfalls bei freiem Eintritt – eingeladen.

Bisherige Beiträge zum Thema:

Flucht und Vertreibung

Erinnerungen an Flucht und Vertreibung


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