Die 40-jährige alkoholabhängige Nicole Simone M. muss sich seit heute vor dem Landgericht Ingolstadt verantworten, weil ihr vorgeworfen wird, den 52-jährigen Albert I. in dessen Wohnung in Reichertshofen erschlagen zu haben
(ty) Eine deutliche Bierfahne waberte heute durch den Gerichtssaal des Landgerichts Ingolstadt , als die fünfte Strafkammer unter Vorsitz von Thomas Denz in eine Lehrstunde in Sache Alkoholismus eintauchte. Angeklagt die 40-jährige Kunsthistorikerin Nicole Simone M., die beschuldigt wird, im Mai vergangenen Jahres den 52-jährigen Albert I. in dessen Wohnung in Reichertshofen erschlagen zu haben. Mindestens 51 Verletzungen hatte man bei dem Opfer festgestellt. Zum Tod hatte – so die Anklageschrift – schließlich eine Kehlkopfzertrümmerung geführt.
Doch zurück zur Bierfahne. Sie gehörte zu einem Mann mittleren Alters im Zuschauerraum, der sich nicht nur durch seine lautstarke Kommentare den Unmut des vorsitzenden Richters zuzog, sondern sich sozusagen entschuldigend als Freund des Opfers zu erkennen gab. Ein Beleg mehr, dass bei der Verhandlung gegen die 40-Jährige ein reichlich alkoholschwangeres Drama zum Vorschein kommen würde. Und so war es denn auch.
Staatsanwalt Jürgen Staud schilderte in der Anklage, dass es am 14. Mai vergangenen Jahres zu einer beispiellosen Eskalation der Ereignisse gekommen sein muss. Die Angeklagte – so der Staatsanwalt – habe zunächst mit einer Gabel mindestens fünf Mal auf das spätere Opfer eingestochen, das aufgrund seiner massiven Alkoholisierung nur noch „bedingt abwehrbereit“ gewesen sei.
Danach soll die Angeklagte auf den am Boden Liegenden „ohne rechtfertigenden und entschuldigenden Grund“ weiterhin massiv mit dem Fuß eingetreten haben. Gegen Kopf, Hals und Oberkörper. Zudem soll die 40-Jährige ihr Opfer, das mit rund vier Promille massiv unter Alkoholeinfluss stand, mit einem schweren Glasaschenbecher, einer Bierflasche und einem abgebrochenen Weizenglas traktiert habe. Damit soll sie auch zugestochen haben. Auch sie war alles andere als nüchtern. Noch am Nachmittag des folgenden Tages – dem Tag ihrer Verhaftung – hatte die 40-Jährige immer noch 1,09 Promille.
„Schließlich wirkte sie final mit flächenhafter Gewalt durch Aufknien oder Aufsetzen eines Fußes von vorne auf den Hals sowie mit Tritten auf das Opfer ein“, heißt es in der Anklageschrift. Das trug dabei eine Mittelgesichtsfraktur und eine Kehlkopfzertrümmerung davon und ist – so die Anklage – letztlich erstickt.
Für die 40-jährige Angeklagte geht es nun um eine Anklage wegen Totschlags, weil sie bei ihren Attacken den Tod von Albert I. zumindest billigend in Kauf genommen hatte. Bei 51 „Verletzungsarealen“, sieben zusätzlichen Quetschungen und zehn weiteren Wunden durch „scharfe Gewalteinwirkung“ eine nachvollziehbare Annahme.
Das indes ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite, das sind die Schilderungen der Angeklagten selbst, die heute am ersten Verhandlungstag bereitwillig Rede und Antwort stand. Soweit es ihr möglich war. Denn in vielen Details beruft sie sich auf Gedächtnislücken oder gar Filmrisse. Aber auch das scheint nach über einer Flasche Wodka irgendwie nachvollziehbar.
Bis zu dem tragischen Tag, an dem Albert I. starb, war Nicole Simone M. im Rahmen einer Entgiftung im Klinikum. Da sich ihr bisheriger Freund vermutlich auch aufgrund ihrer exzessiven Alkoholsucht während dieses letzten Krankenhausaufenthaltes von ihr getrennt hatte, war sie praktisch obdachlos. Denn aus einer betreuten WG war sie bereits vorher rausgeschmissen worden. Zuletzt habe sie in einem eheähnlichen Verhältnis mit jenem Freund gelebt, der es ihr indes untersagt hatte, sich auch polizeilich anzumelden oder auch nur ihren Namen auf den Briefkasten zu schreiben.
Obdachlos, das kannte sie. Das war die gebürtige Neuburgerin viele Jahre schon in Berlin. Und davor hatte sie, wie sie sagt, eine traumatische Angst. Deswegen habe sie sich in ihrer Not an Albert I. erinnert, den sie bei einer ihrer vielen Entziehungsaufenthalte im Klinikum kennengelernt hatte. Dieser „liebe und nette“ Mann habe ihr damals angeboten, sie könne bei ihm wohnen, wen sie in Schwierigkeiten sei.
In ihrer Panik, irgendwo eine Bleibe zu finden, habe sie Albert I. an jenem 14. Mai 2014 angerufen und vereinbart, dass sie am Abend zu ihm nach Reichertshofen kommen werde. Wann genau sie da eingetroffen ist, da gehen die polizeilichen Protokolle und ihre Erinnerungsvermögen weit auseinander.
Ihren Schilderungen zufolge habe sie noch in der Innenstadt eingekauft, um ihrem Gastgeber Spaghetti Bolognese kochen zu können. Und eine Flache Wodka Gorbatschow zudem. Bereits während ihres Aufenthaltes in der Stadt habe sie mindestens drei kleine Flaschen Wodka geleert.
Zu welcher Stunde auch immer habe sie dann Albert I. an der Bushaltestelle in Reichertshofen abgeholt. „Ich war fröhlich und erleichtert, eine Bleibe zu haben“, schildert sie ihre Erinnerungen an jene Ereignisse. Und anfangs sei es – obschon Albert I. schon reichlich angetrunken gewesen sein soll – auch in der Wohnung „ganz nett“ gewesen sei. Bis sie ihm in der Küche den Rücken zugekehrt habe und Albert I. ihr mit der Bemerkung „ein süßer kleiner Po“ an den Hinter gefasst habe. Ihren Zurechtweisungen soll er mit der Bemerkung „Passt scho, Kleine“ gekontert haben.
Zu dieser Zeit habe Albert I. – so die Angeklagte – schon eine „krasse Bierfahne“ gehabt haben. „Ich kannte ihn bis dahin nur als lieben, harmlosen Menschen“, sagt sie. An diesem Tag hat sie dann wohl laut ihren Schilderungen neben Dr. Jeckill auch Mister Hyde kennengelernt.
Vielleicht, so räumt Nicole Simone M. ein, habe sie zu diesem frühen Zeitpunkt bereits ziemlich laut reagiert. Sie sei jedoch traumatisiert. Und wenn sich ihr jemand gerade von hinten nähere, kriege sie die „Krise“, da sie 2012 in Berlin schon einmal vergewaltigt worden sei. Trotz seines Vollrausches habe Albert I. indes nicht von ihr ablassen wollen. Er sei ihr auf Schritt und Tritt gefolgt, habe ihre Brüste getätschelt, von den „kleinen süßen Titten“ schwadroniert und habe sie, als sie am Küchentisch saß, schließlich nach hinten auf die Tischplatte gestoßen und ihr in den Schritt gefasst. Er habe – so die Angeklagte – ihre Beine auseinandergedrückt und soll verlangt haben: „Zeig mir Deine M . . . . .“
“Er hat dabei immer unbeteiligt und feist gegrinst“, so die Angeklagte, „ich hatte den Eindruck, er fand das irgendwie lustig. Ich wollte nur, dass er aufhört.“ So auf dem Tisch liegend habe sie dann das erste Mal nach ihm getreten. Auch an Faustschläge kann sie sich erinnern, daran, dass sie irgendwann den Bierkasten nach unten getragen habe, aus dem sich Albert I. „in Kette“ versorgt habe. Auch sie hatte zu diesem Zeitpunkt schon reichlich aus der Wodkaflasche zu sich genommen, mit Limo, weil sie „keinen Alkohol mag“.
„Ich hatte große Angst“, schildert sie dem Gericht rudimentär ihre Erinnerungen, als sie mitbekommen hatte, dass Albert I. an irgend einer Kante das Weizenglas abgeschlagen hatte. Irgendwann habe sie sich auf dem provisorischen Nachtlager auf dem Boden der kleinen Wohnung schlafend gestellt. Das Opfer sei aber immer wieder gekommen, habe sich auf sie gewälzt, sie begrapscht, auch unter der Kleidung. Und habe sie auch gewürgt und wieder zwischen die Beine gefasst. „Zeig mir deine M . . . . .“ habe er immer wieder gesagt. Als ob eine Schallplatte hängen geblieben sei.
Was danach genau passiert ist, das indes will die Angeklagte nicht mehr wissen. Immerhin hatte sie zu diesem Zeitpunkt bereits die komplette Flasche Wodka gelehrt. Erst als sie am nächsten Tag aufgewacht sei, ihre blutverschmierte Schlüpfer gesehen habe und das blutverschmierte Opfer am Boden liegend fand, kann sie sich wieder erinnern. Sie habe versucht – so ihre Schilderung – ihn per Mund-zu-Mund-Beatmung zu reanimieren, was nicht funktioniert habe. Schließlich sei sie in Panik in die Stadt gefahren, habe am Omnibusbahnhof wildfremde Leute angequatscht, habe geredet wie ein Buch und schließlich einer Bekannten aus einem Caritas-Heim die ganze Geschichte erzählt. Was folgte war die Verhaftung. Seitdem sitzt Nicole Simone M. in München in Untersuchungshaft.
Eine tragische, ja stellenweise rührende Geschichte, die die Angeklagte vor Gericht erzählt, die sie selbst immer wieder in Tränen ausbrechen lässt. Das dramatische Ende der exzessiven Alkoholsucht einer Frau, die ein Studium hinter sich gebracht hat, die es versteht, sich perfekt und beinahe akademisch auszudrücken, die gut gekleidet, eher zierlich ist und gepflegt wirkt. Zudem durchaus attraktiv. Ein „Falling down“ der anrührenden Sorte.
Jetzt, nach jenen Ereignissen von 14. Mai 2014, steht die 40-Jährige vor den Trümmern ihrer Existenz, hat – wie sie selbst sagt – immer wieder jene Bilder im Kopf, die ihr Leben wohl auf absehbare Zeit auf so tragische Weise vernichtet haben. Und das alles wegen ihrer Sucht nach Alkohol, die sie seit jeher mit Wodka befriedigt.