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Gastbeitrag des Pfaffenhofener Landrats Martin Wolf (CSU) zur Flüchtlings-Situation und den sich daraus ergebenden Herausforderungen

Von Martin Wolf 

Flüchtlinge, Asylbewerber oder Asylanten – gibt's da eigentlich einen Unterschied? Genau genommen schon: Flüchtlinge sind Menschen aus Kriegs- und Katastrophengebieten, die hier bleiben, bis die Katastrophe vorbei ist. Asylbewerber beantragen ein dauerhaftes Bleiberecht aufgrund ihres persönlichen Verfolgtseins. Und Asylanten, das sind sie dann irgendwie alle, die auf der Flucht sind und bei uns oder in Europa bleiben wollen – egal, ob mit oder ohne Bleibestatus.

Manche sagen auch, die Bezeichnung Asylant sei diskriminierend, weil Sie dem jeweiligen Rechtstatus nicht gerecht wird. Entscheidend ist die Gesinnung: Sind wir bereit, diese Menschen in unserer Nachbarschaft zu akzeptieren, sie positiv anzusprechen, ihnen zu helfen oder persönliche Einschränkungen in Kauf zu nehmen?!

Zuwanderung übertrifft Prognose

Die aktuellen Prognosen übertreffen das Erwartete: Heuer werden mehr als dreimal soviel Menschen auf der Flucht in Deutschland eintreffen wie im vergangenen Jahr; das heißt 800 000 statt 250 000. Die Aufnahmequote des Landkreises Pfaffenhofen von bisher einem Prozent an der Kreisbevölkerung ist für 2015 bereits überschritten. Geht das 2016 so weiter? Die große Politik gibt darauf keine Antwort. Wir müssen uns auf deutlich höhere Zahlen einstellen.

Eine gleichmäßige Verteilung zwischen den Gemeinden wird schwieriger. Orte ohne Busanbindung und ohne Supermarkt eignen sich nicht für große Gruppen. Gleichzeitig gewinnen große Gemeinschafts-Unterkünfte wie Gewerbehallen und später sicher auch Turnhallen an Bedeutung. 

Die Heimat verändert sich

Viele Zuwanderer werden wieder heimkehren (müssen), Menschen aus den Balkanstaaten schneller, andere – zum Beispiel aus Syrien – später. Viele aber werden bleiben. Mehr und mehr verändert sich das Bild in unseren Ortszentren, Einkaufsmärkten, Sportplätzen, Schwimmbädern, Schulen und Kindergärten. Die täglichen Begegnungen mit, aus welchen Gründen auch immer, geflüchteten Menschen werden häufiger. Und es ist keine vorübergehende Erscheinung, sondern eine Situation von Dauer.

Je früher wir diese neue Realität annehmen, desto besser kommen wir damit zurecht. Helfen tut gut, diese Erfahrung wird jeder machen, der sich darauf einlässt. Noch verwalten wir den Unterbringungsnotstand. Daneben müssen wir aber jetzt dazu übergehen, den Arbeitswilligen und -fähigen die berufliche Integration auf Zeit oder auf Dauer ermöglichen. Ich sehe darin eine große neue Herausforderung für alle Verantwortlichen in der Arbeitswelt. Diese Zuwanderer werden nicht unseren Fachkräftemangel lösen, aber in vielen Bereichen deutliche mildern. Und das Leben der Geflüchteten wird durch Arbeit menschenwürdiger und die Kostenlast für die Allgemeinheit geringer.

Unterbringungs- und Wohnungsnot

Das berühmte Dach über dem Kopf für alle ist das Wichtigste und wird doch unser größtes Problem. Für den Notfall haben wir das Trabrennbahn-Gelände in Pfaffenhofen. Doch wie lange bekommen wir zur Regelunterbringung noch genügend Mietwohnungen und -häuser? Es gibt sie schon noch, die leeren Wohnhäuser. Es braucht nur weiterhin mutige Eigentümer und Nachbarn, die keine Berührungsängste mit Flüchtlingen in der Umgebung zeigen.

Klar ist aber auch: Freie Wohnungen im Landkreis werden immer knapper. Lokal herrscht bereits Wohnungsnot, auch für Einheimische. Die Gemeinden sind massiv gefordert, zunächst Flächen auszuweisen und dann sozialen Wohnraum zu schaffen. Das Landratsamt wird sie dabei nach Kräften unterstützen. Von der Bundesregierung brauchen wir Steuerermäßigung für Private, die in sozialen Wohnungsbau investieren wollen. Im Wohnungsbau muss etwas passieren – jetzt!

Gewalt und Anmache

Ein Mehr an Kriminalität und Belästigung von Frauen werden angeführt, wenn die Ablehnung von Flüchtlingen begründet wird. Die Polizei-Statistik bestätigt das nicht. Wer kriminell auffällt, verliert schnell sein Bleiberecht. Überschreitungen der guten Sitten sind also eher die Ausnahme, werden dann aber rege weitererzählt. Schließlich treffen unterschiedliche Kulturen aufeinander. Es braucht die eigene Gelassenheit und das eigene Selbstbewusstsein, um mit Bestimmtheit auf das, was nicht erlaubt ist oder nicht geduldet wird, hinzuweisen. Im Feilenmoos sind uns in diesem Badesommer keine Probleme bekannt geworden. 

Betreuung mit Haupt- und Ehrenamt

Haupt- und ehrenamtliche Betreuer leisten Außergewöhnliches. Am besten sind die, die ohne großen Aufhebens einfach zupacken: Sprachunterricht, Behörden- und Arztbegleitung, Fahrradreparatur, Kleiderbereitstellung, Kinderbetreuung, Unterstützung in der Berufsausbildung und vieles mehr. Die Liste der Beispiele ist lang. Oft sind es Personen im Ruhestand, die leichter halbe oder gar ganze Tage einbringen können als Berufstätige. Wer will, ist gern gesehen. Anlaufpunkt ist das Landratsamt. Manche fühlen sich überfordert, weil immer neue Zuwanderer kommen. Betreuung beginnt da immer wieder von vorn. Wichtig ist es deshalb, die Kräfte einzuteilen. Helferinnen und Helfer werden auch nächstes Jahr noch gebraucht. 

Wir verändern uns mit

Wer sich auf das Helfen oder die direkte Begegnung mit Flüchtlingen einlässt, wird feststellen, dass sich auch das eigene Denken und Verhalten verändert. Erkenntnisse aus der Medienberichterstattung können das nicht leisten. Selbst erlebt ist selbst erlebt. Da wächst Verständnis für die oft dramatischen Lebensumstände und es entsteht Mitgefühl für die persönlichen Einzelschicksale. Die Dankbarkeit der Hilfebedürftigen berührt. Die eigenen, oft deutlich besseren Lebensumstände werden wieder wertgeschätzt. Neue Kraft zur Hilfe wird geweckt. Vereintes Helfen tut unserer Gesellschaft gut. 



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