Wie Karin Dirmeier nach Arbeitslosigkeit und Schicksalsschlägen im Alter von 60 Jahren wieder ins Berufsleben eingestiegen ist
(ty) Karolina "Karin" Dirmeier wohnt in Adelschlag, ist 61 Jahre alt und arbeitet nach knapp zweijähriger Zwangspause aufgrund von Arbeitslosigkeit und Schicksalsschlägen seit Sommer vergangenen Jahres wieder als Erzieherin für das Schrobenhausener Kinder- und Jugendhilfezentrum St. Josef in einem Wohnheim für junge Flüchtlinge in Neuburg. Hier lesen Sie ihre Geschichte – es ist eine, die Mut macht.
„Streng sein gehört auch dazu.“ Karin Dirmeier ist sich der Bandbreite ihrer für die Erziehung junger unbegleiteter Flüchtlinge erforderlichen Charaktereigenschaften durchaus bewusst, dennoch schätzen die neun jungen Männer im Alter zwischen 17 und 19 Jahren neben aller Strenge vor allem die Fürsorglichkeit der 61-Jährigen. Als den besten Ersatz für „Mama oder Oma“ wissen die aus Syrien und Afghanistan stammenden Migranten ganz genau, was sie an ihr haben.
In dem vom Kinder- und Jugendhilfezentrum St. Josef angemieteten Gebäude in der Neuburger Innenstadt fanden sie nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern neben einem neuen Zuhause nach Flucht vor Krieg, Folter und Verfolgung auch Halt und Unterstützung – vor allem durch Karin Dirmeier und ihrem Kollegenteam. Dabei lief es für die gelernte Erzieherin, die in einer ersten Ausbildung vor vielen Jahren das Schneiderinnen-Handwerk erlernte, in den vergangenen Jahren „alles andere als gut“.
Nach knapp zweijähriger – durch Krankheit und Arbeitslosigkeit bedingter – Zwangspause schaffte sie es jedoch, wieder ins Berufsleben einzusteigen und so ihre ganz persönliche Bestimmung zu finden. Davor hatten mehrere Schicksalsschläge innerhalb der Familie ihre Spuren bei ihr hinterlassen – und zu alledem verlor sie ihre letzte Beschäftigung, bei der sie straffällige Jugendliche betreute, durch die Schließung der Einrichtung.
„Ich fiel in ein tiefes Loch und habe lange gebraucht, um mich wieder zu fangen, wobei mir vor allem professionelle Hilfe sehr zugute kam. Aber eines stand immer fest: Ich möchte wieder einen festen Job“, erzählt die Mutter zweier erwachsener Söhne. Zwar konnte sie ihre Belastbarkeit selbst recht gut einschätzen, dennoch scheiterte ein erster Versuch des Fußfassens.
Als sie ihrem Sohn im Frühjahr 2015 die Nachricht „Mir geht es gerade wieder besser“ zukommen ließ, ging alles recht schnell. Der schickte ihr postwendend die Stellenanzeige des Kinder- und Jugendhilfezentrums zu und nach einem mit Unterstützung der Agentur für Arbeit initiierten mehrwöchigen Praktikums hatte Karin Dirmeier ihren Arbeitsvertag ab dem 1. Juli in der Tasche: „Zufälle sind das, was einem zufällt“, lautet deshalb auch das Motto der Erzieherin.
Das Alter der damals 60-Jährigen spielte für St.-Josef-Leiter Herbert Reim bei der Personalauswahl keine Rolle: „Bei der Zusammensetzung unserer Teams achten wir auf eine gesunde Mischung. Alter bedeutet Erfahrung und ist ein Wert, der bei unserem Aufgabenspektrum eine ganz wesentliche Bedeutung hat“, sagt er. „Dazu verfügt Frau Dirmeier nicht nur über reichlich Lebenserfahrung und ist selbst Mutter, sie war dazu auch viele Jahre bei einem Bildungsträger beschäftigt und besitzt aus dieser Zeit noch ein dichtes Netzwerk zu potentiellen Praktikums- und Ausbildungsbetrieben für unsere Jugendlichen.“
„Spannend, interessant und einfach etwas ganz Neues“ – das sind die Worte, mit denen Karin Dirmeier ihre neue Aufgabe beschreibt. Bei aller Zielstrebigkeit, mit der sie die Integration „ihrer Jungs“ vorantreibt, ist sie auch für ihre unkonventionellen Methoden bekannt: „Neue Mitbewohner dürfen nach dem Essen erst aufstehen, wenn sie einen kompletten deutschen Satz gesagt haben“, verrät sie augenzwinkernd – und wohlwissend, dass gute Deutschkenntnisse der Schlüssel für den Erfolg sind.
„Knapp 40 Prozent aller in der Region arbeitslos gemeldeten Personen sind 50 Jahre und älter. Dort schlummert trotz Fachkräftebedarf also immer noch ein großes Potential“, sagt Peter Kundinger, Pressesprecher bei der Ingolstädter Arbeitsagentur. „Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der vielen positiven Eigenschaften, die erfahrene und ältere Arbeitnehmer in den Betrieb einbringen, sollten wir dies nicht ungenutzt lassen“, appelliert er.