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Wir sind mehr Täter als Opfer in einer ausbeuterischen, globalisierten Welt. Die kommenden Generationen werden uns fragen: Was habt Ihr dagegen getan? – Ein Gastbeitrag

Von Siegfried Ebner

„Jeder, der sich für Umwelt und Natur einsetzt, hat in seinem Leben einmal ein prägendes Erlebnis gehabt“, sagt Professor Hubert Weiger, Vorsitzender des „BUND Naturschutz in Bayern“ und Vorsitzender des „Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland“ (BUND). Mein prägendes Erlebnis war im April 1986. Nur ein paar Jahre zuvor hatte ich an der BOS in Scheyern noch ein überzeugendes Referat zur Sicherheit von Kernkraftwerken gehalten.

Ich war Student und Praktikant an der Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung (GSF) in Neuherberg bei München, als das Kernkraftwerk in Tschernobyl explodierte. Ein Ereignis, mehr als 1000 Kilometer entfernt, veränderte meine Sichtweise auf das technisch Mögliche und doch nicht Beherrschbare.

Ich erlebte Wissenschaftler, die nicht wussten, was sie raten und tun sollten. Wie kann man die Bevölkerung schützen? Wie sollte man die Grenzwerte festlegen?  Wie viel Milch trinkt ein Kind pro Tag? Ich wusste mehr, als die Leute in den Nachrichten und von Politkern erfuhren, und war zutiefst betroffen. „Eine Gefährdung besteht nur in einem Umkreis von 30 bis 50 Kilometern um den Reaktor herum“, sagte Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann am 29. April 1986 in der ARD.

Wir waren am 1. Mai beim Maibaum-Aufstellen und es hat angefangen zu regnen. Ich brachte frisches Gras mit nach Neuherberg, um die Radioaktivität messen zu lassen, die sich wie unsichtbarer Staub auf das Gras gelegt hatte. Man hat mir empfohlen, meinem Vater zu sagen, dass er noch weiter mit Heu füttern soll, damit man die belastete Milch der Bauern, die schon auf Grünfutter umgestellt hatten, mit unbelasteter Milch aus Heufütterung verdünnen kann.

Zu dieser Zeit begannen wir auch, wie jedes Jahr, mit dem Anleiten des Hopfens. Jeder saß am Boden und tat, was getan werden musste. Später im Juni, nahm ich ein Strahlenmessgerät aus dem Strahlenlabor mit, um im Gemüsebeet meiner besorgten Vermieterin in München zu messen – und hab’ empfohlen, das Gemüse nicht zu essen.

Nach der Maxime „Wissen allein genügt nicht, Wissen muss sich auch betätigen“ gründeten wir in unserer Studentengruppe den Ökoteam e.V., einen Verein zur Förderung umweltverträglichen Verhaltens. Ich war für Energie zuständig und ein paar Jahre später, im März 1990, auch bei der Gründung des Arbeitskreises Energie im Bund Naturschutz des Landkreises Pfaffenhofen dabei. 

Bereits 1992, bei den ersten Sonnen- und Energietagen in Pfaffenhofen, haben wir dazu aufgerufen, dass die Energiewende möglich ist. Unser Motto: saubere Energie, gesunde Umwelt und neue Arbeitsplätze in diesen Bereichen. Wir veranstalteten Besichtigungsfahrten und Vorträge zur saubersten Energie, zu Energiesparen sowie zu Solar- und Biogastechnik. Die Besucherzahl war meist spärlich – nur wenn der Energiepreis mal wieder einen Sprung nach oben gemacht hatte, waren die Vortragsräume voll.

Franz Alt, den Schwarzen zu grün und den Grünen zu schwarz, der sich in den 1980er Jahren gegen die Aufrüstung gestellt hatte, erkannte die Situation und das Potenzial der regenerativen Energien: „Krieg um Öl oder Frieden durch die Sonne“, schrieb er damals. Heute ist das alles Realität.

Mit dem Vorschlag zur kostendeckenden Vergütung von Solarstrom von Solarenergie-Vereinen in den 1990er Jahren und dem daraus hervorgegangenen Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) entstand eine Aufbruchsstimmung ins Solarzeitalter am Anfang des neuen Jahrtausends hin zu einer sauberen Energieversorgung für die Zukunft. Die Massenproduktion von Solarmodulen führte zu einem Preisrückgang seit 1994 um den Faktor zehn.

Aber wir hatten uns zu früh gefreut. Die alten Energiekonzerne formierten sich nach der Privatisierung im Jahr 1998 neu, teilten sich Deutschland auf, erhöhten die Preise und ihren Einfluss auf die Medien und die Politik. Sie verunsicherten und beeinflussten, bis sie ihr Ziel, die Laufzeitverlängerung der alten Atomkraftwerke, im Oktober 2010 erreicht hatten.

Doch auch die Kernkraftgegner waren wieder da. Und es musste eine zweite große Kernkraftkatastrophe, der GAU in Fukushima passieren, bis das endgültige Aus für die Kernenergie beschlossen wurde.

Jetzt, ein paar Jahre später, sprechen auch die Energiekonzerne von Energiewende, meinen aber ganz etwas anderes. Sie wollen eine zentrale Energiewende, keine dezentralen Bürgerkraftwerke, sie wollen Stromtrassen für ihren Kohlestrom und ihren überregionalen Stromhandel und loben die Politiker, weil sie mit der Verstümmelung des EEG genau das tun, was ihren Interessen dient. Die Kosten den Bürgern, die Gewinne den Konzernen und deren Aktionären. Übrigens: Die Verluste, die die Konzerne derzeit machen, haben sie sich selbst zuzuschreiben, weil sie gedacht haben, sie könnten mit ihrer Macht und ihrem Einfluss mit Atom und Kohle weiter machen wie bisher und die Energiewende ausbremsen. Ihr nächstes Ziel, die Abschaffung der Brennelemente-Steuer, dürfen wir nicht hinnehmen.

Und was ist heute, 30 Jahre nach Tschernobyl und fünf Jahre nach Fukushima? Kümmern wir uns ums Energiesparen und den Klimaschutz? Nein, wir wehren uns gegen Bürgerwindräder in unserer Nähe und verzögern dadurch die notwendige dezentrale Energiewende.

Vor unserer eigenen Haustür verlieren wir die Zusammenhänge für das große Ganze aus den Augen. Sperrgebiete durch die Atomkraftkraftwerke, verstrahlte Landschaften, radioaktiv verseuchtes Wasser und Luft raubt den Menschen ihr Hab und Gut und vertreibt sie aus ihrer Heimat. Das alles geschieht weit weg von uns, könnte aber von heute auf morgen auch bei uns Realität sein.

Die Ausbeutung von Menschen und Rohstoffen in einer globalisierten Welt kann nur aufgehalten werden durch eine Rückbesinnung auf dezentrale Kreislaufstrukturen. Die Verschwendung muss besteuert werden. Wenn heute ein Flugticket billiger angeboten werden kann als die Parkgebühr am Flughafen, dann läuft etwas falsch und dient nicht mehr dem Gemeinwohl. Wir brauchen eine CO2-Steuer, die – zweckgebunden eingesetzt – Umweltverträglichkeit und nachhaltiges Verhalten fördert, zum Beispiel durch kostenlose Busse und Bahn.

„Geiz ist geil“ oder „Ich bin doch (nicht) blöd“ – damit wird unsere heimische Wirtschaft kaputt gemacht. Wir müssen aufhören, so zu tun, als ob uns das alles nichts angeht: „Keine Sau will Massentierhaltung, aber jeder Affe kauft Billigfleisch.“ Muss man jeden Tag Fleisch essen oder haben Sie schon einmal im Geschäft oder in der Gaststätte nachgefragt, wo das Fleisch her kommt, das man Ihnen anbietet?

Wir sind mehr Täter als Opfer in einer ausbeuterischen, globalisierten Welt. Die kommenden Generationen werden uns fragen: „Was habt Ihr dagegen getan?“

Für Hubert Weiger, den BUND-Vorsitzenden, ist das am 22. April in New York unterzeichnete Klimaschutz-Abkommen eine „unsichere Wette auf die Zukunft“ und ein noch zu erfüllendes Versprechen an kommende Generationen. „Gelingt es der Weltgemeinschaft nicht, die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten, erweist sich der Pariser Klimaschutzvertrag schon bald als Hirngespinst. Die schwachen Absichtserklärungen zum Klimaschutz werden erneut ins Leere laufen.“ Das Pariser Klima-Versprechen an kommende Generationen müsse noch mit Leben erfüllt werden.

Für Deutschland bedeute das, klimaschädliche Gesetzesvorhaben zu revidieren und ein Kohle-Ausstieg-Gesetz auf den Weg zu bringen. „Die angekündigte Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, das Fracking-Erlaubnis-Gesetz und der Bundesverkehrswegeplan stehen in direktem Widerspruch zur deutschen Unterschrift unter das Klima-Abkommen. Diese Gesetzesvorhaben liefern keinen Beitrag zur Verringerung klimaschädlicher Emissionen“, sagt Weiger.

Siegfried Ebner, Jahrgang 1960, aufgewachsen auf einem Hopfenbauernhof in Königsfeld, Elektrikerlehre, Berufsoberschule in Scheyern, Zivildienst in Geisenfeld und Studium der Physikalisch-Chemischen-Technik mit Schwerpunkt Umwelttechnologie an der Fachhochschule in München. Arbeitet und betreut bei der Firma Linde in Unterschleißheim die Helium-Versorgungskette, vor allem die Flüssig-Heliumversorgung für Kernspintomographen an Krankenhäuser und Radiologie-Praxen. Seit 1990 aktiv im Arbeitskreis Energie des Landkreises Pfaffenhofen und im Landesarbeitskreis des BUND Naturschutz in Bayern; seit 2014 für die ÖDP im Pfaffenhofener Kreistag.

Erschienene Gastbeiträge:

Die Heimat verändert sich (Pfaffenhofens Landrat Martin Wolf zur Flüchtlings-Situation und den sich daraus ergebenden Herausforderungen)


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