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Zahlen für die Diözese Augsburg, zu der auch der Kreis Pfaffenhofen gehört: 164 Opfer und 85 Beschuldigte ermittelt. 

(ty) Im Zuge der Aufarbeitung von Fällen sexueller Übergriffe an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordens-Angehörige wurde von den deutschen Bischöfen im Jahr 2013 eine Studie ausgeschrieben. Ziel war es dabei, Klarheit und Transparenz zum Thema sexueller Missbrauch an Minderjährigen zu erlangen. Die Ergebnisse der Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordens-Angehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ (MHG-Studie) wurden heute während der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda vorgestellt. Das Bistum Augsburg, zu dem auch Teile des Landkreises Pfaffenhofen gehören, hat ebenfalls heute die wichtigsten diözesanen Ergebnisse im Rahmen vorgestellt.

Wie Generalvikar Harald Heinrich bei dem Pressegespräch schilderte, seien für die MHG-Studie im Bistum Augsburg insgesamt 1483 Personalakten gesichtet worden. Hinzu seien unzählige weitere Dokumente gekommen, die bis in das Jahr 1946 zurückreichten. Bei den Personalakten handelte es sich um alle Kleriker, die zwischen 1. Januar 2000 und 31. Dezember 2015 im Verantwortungsbereich des Bistums eine Funktion ausübten oder sich im Ruhestand befanden. Handakten und Dokumente zu Klerikern seien im Rahmen der Studie für den Zeitraum ab 1. Januar 1946 durchgesehen worden – einschließlich des Geheimarchivs.

Entsprechend den Vorgaben der Studie wurde im Bistum Augsburg ein Rechercheteam um Diözesan-Rechtsdirektor Reiner Sroka sowie die beiden Vorsitzenden Richter i. R. am Oberlandesgericht München, Manfred Prexl und Otto Kocherscheidt, beauftragt. Wie Prexl als Mitglied des Rechercheteams während des Pressegesprächs betonte, sei er bei den Recherche-Arbeiten "absolut unabhängig und frei von Weisungen Dritter gewesen". Es hätten sich bei der Durchsicht der von ihm geprüften Personalakten in keinem Fall Verdachts-Momente für eine Unvollständigkeit der Akte oder eine Veränderung ihres Inhalts gefunden. Auch weitere Informations- und Datenquellen bis hin zum Geheimarchiv hätten stets ungehindert gesichtet und verwertet werden können.

Generalvikar Heinrich gab während des Pressegesprächs die im Rahmen der MHG-Studie ermittelten Zahlen für das Bistum Augsburg bekannt. Er nannte dabei 164 Opfer und 85 Beschuldigte. Dabei gelte für die Diözese Augsburg dieselbe Feststellung, die sich wohl auch bei der Studie insgesamt abzeichne: Zwei Drittel der Opfer waren Jungen, ein Drittel Mädchen. Die Hälfte der Betroffenen war beim ersten Missbrauch unter 13 Jahren alt. 65 Betroffene haben bis zum Endes des vergangenen Jahres Anträge auf Entschädigungs-Leistungen gestellt. Als Leistungen in Anerkennung des Leids hat das Bistum Augsburg bis Ende vergangenen Jahres 437 000 Euro ausbezahlt, außerdem 40 000 Euro an Therapiekosten.

Der Generalvikar äußerte sich auch zu den Folgen für die Beschuldigten: In den vergangenen Jahren seit Bekanntwerden der Missbrauchsfälle seien 30 Fälle ohne Prüfung der Verjährungs-Fristen an die Staatsanwaltschaft weitergegeben worden. Zugleich erläuterte Heinrich die verschiedenen Möglichkeiten von kirchlichen Strafverfahren, die unabhängig von staatlichen Verjährungs-Fristen eingeleitet wurden. In 14 Fällen sei der Bischof vom Vatikan damit beauftragt worden, ein eigenes Strafdekret zu erlassen, so der Generalvikar. Dieses Dekret könne für den Täter unterschiedliche Folgen haben: von der Versetzung in den Ruhestand über öffentliches Zelebrationsverbot bis hin zur Auflage, keinerlei Kontakt mit Kindern und Jugendlichen zu haben.

Die Ergebnisse der MHG-Studie seien für das Bistum Augsburg und die Kirche in Deutschland erschütternd, hob der Generalvikar während des Gesprächs hervor. Sie machten viele Menschen inner- und außerhalb der Kirche zu recht zornig. "Auch ich muss als Generalvikar für mich selbst eingestehen: eine Mischung aus Ratlosigkeit, Trauer und Zorn beschreibt vielleicht am besten meine eigene Stimmungslage, wenn ich in meiner Arbeit – seit nun zehn Jahren – immer und immer wieder mit Missbrauchs-Fällen befasst bin." Diese schlimmen Verbrechen ließen sich nur schwer in Worte fassen- Umso mehr hätten es die Betroffenen verdient, dass diese bittere Wahrheit in allen ihren Facetten ans Licht kommt. Der Generalvikar weiter: "Es tut mir aufrichtig leid, dass es oft lange – zu lange – gedauert hat, bis Opfer auch Gehör gefunden haben und wirklich ernst genommen wurden."

Bereits in der vergangenen Woche hatte sich der Augsburger Bischof Konrad Zdarsa in einem Schreiben an alle Priester, Diakone, Religionslehrer im Kirchendienst sowie die Mitarbeiter in der Pastoral und im bischöflichen Ordinariat gewandt. Was im Zuge der Aufarbeitung der Missbrauchs-Fälle ans Licht gekommen sei, "macht sprachlos – und gerade deshalb dürfen wir nicht schweigen", betont darin der Bischof. Er schäme sich für die Mitbrüder und für das Bistum, in dem so etwas auch möglich gewesen sei.

Er sage dies auch an Stelle der Täter und Mitwisser, die ihre Vergehen nicht wahrhaben und nicht eingestehen wollten, so Zdarsa. Er schaue "mit großer Bangigkeit und hohem Respekt zugleich auf die Betroffenen, die – oft erst nach Jahrzehnten – den Mut aufgebracht haben, ihre schlimmen Erfahrungen mitzuteilen". Der Bischof bittet in dem Brief den Adressatenkreis mit Nachdruck, "Personen, die sich Ihnen als Betroffene offenbaren oder von denen Sie durch Dritte erfahren, zum Kontakt mit den Missbrauchs-Beauftragten ebenso ausdrücklich zu ermutigen".

Wie Generalvikar Heinrich heute vor Medienvertretern betonte, habe das Bistum Augsburg in den vergangenen Jahren ein umfangreiches Programm zur Förderung einer "Kultur der Achtsamkeit" gestartet, im Jahr 2011 sei eine Koordinationsstelle zur Präventionsarbeit eingerichtet worden. Die entsprechenden Maßnahmen schilderte Pastoral-Referent Bernhard Scholz als diözesaner Präventions-Beauftragter. Beispielsweise seien von tausenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erweiterte Führungs-Zeugnisse eingefordert worden.

Seit 2012 gebe es zudem in der Diözese flächendeckend bis in die Dekanate und Pfarreien hinein Informations- und Fortbildungs-Veranstaltungen zur Prävention sexualisierter Gewalt. "Hieran haben mittlerweile 4500 Priester, Diakone und hauptberuflich tätige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter teilgenommen. Gleichzeitig werden alle neu Eingestellten geschult", so Scholz. Ziel sei es, grundlegende Informationen zum Thema zu vermitteln und eine Haltung zu fördern, die von Respekt und Wertschätzung getragen sei. Eine Evaluation der Schulungs-Maßnahmen hätte das Konzept bestätigt, so der Präventions-Beauftragte.

Auch Rechtsanwältin Brigitte Ketterle-Faber gab einen Einblick in ihre Arbeit. Wie sie hervorhob, sei sie unabhängig und "nicht weisungsgebunden". Sie sei nicht bei der Diözese beschäftigt, sondern übe als Rechtsanwältin einen freien Beruf aus. Ketterle-Faber beschrieb den Ablauf ihrer Tätigkeit, insbesondere was die Kontaktaufnahme, die ausführlichen Gespräche mit den Betroffenen und die Plausibilitäts-Prüfungen betrifft. "Die Betroffenen müssen nichts beweisen." Die Missbrauchs-Beauftragten stellten sich lediglich die Frage, ob die geschilderten Tatzusammenhänge passen. "Vielen zeigen eine große Dankbarkeit, dass ihnen jetzt jemand zuhört", so Ketterle-Faber.

Die diözesanen Missbrauchs-Beauftragten sind nach Angaben des Bistums Ansprechpartner für Fälle sexuellen Missbrauchs oder körperlicher Gewalt an Minderjährigen durch Geistliche und Mitarbeiter im Dienst des Bistums Augsburg sowie ihrer Pfarrkirchen-Stiftungen. Sie seien extern und unabhängig von der Diözese tätig.


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