Wo das Kruzifix entfernt werde, fehle mehr als nur ein Stück Kulturgut, gab er am heutigen Karfreitag in Erinnerung an ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts und an eine Rede von Papst Benedikt XVI. zu bedenken.
(ty/pba) Drei Jahrzehnte sind vergangen, seit das Bundesverfassungsgericht das emotional aufgeladene "Kruzifix-Urteil" verkündet hat. Für Weihbischof Anton Losinger ist das Grund genug dafür, in seiner heutigen Karfreitags-Predigt im Augsburger Dom von "einem zweifelhaften Jubiläum" zu sprechen, das sich in Kürze jährt. Gleichzeitig rief er dazu auf, sich als Christ nicht nur beunruhigt über derartige gesellschaftliche Entwicklungen zu zeigen, sondern die Herausforderung anzunehmen und sich für die Wichtigkeit und das Sichtbar-Bleiben des Kreuzes in unserem Alltag einzusetzen. Auch Teil des Landkreises Pfaffenhofen gehören bekanntlich zum Bistum Augsburg.
Die zentralen Fragen, die im öffentlichen Diskurs gestellt und wachgehalten werden müssten, lauten für Weihbischof Losinger: "Welche Bedeutung hat das Kreuz für uns? Warum brauchen wir das Kreuz? Und wo?" Seine Antworten darauf: Man brauche das Kreuz in der Bildungs-Landschaft, im Gesundheits-System und im alltäglichen Leben – so fasst er seine Gedanken zusammen.
Ein erster wichtiger Ort für das Kreuz sei und bleibe für ihn die Schule. Denn vor allem junge Menschen suchten Orientierung und Halt. Wo Schüler keine Antworten auf ihre Fragen nach dem Sinn des Lebens bekämen, entstünde geistige Not, so der Weihbischof. Neben religiöser Zuwendung, etwa im Religions-Unterricht, bräuchten sie ein Gesicht, in das sie mit ihren Zweifeln und auch Ängsten blicken könnten. "Dafür steht das Kreuz in unseren Klassenzimmern, dafür steht das Gesicht des liebenden, mitleidenden Christus. Dafür steht das Kreuz in unseren Schulen. Im Blickpunkt der tausend Fragen junger Menschen."
Ein zweiter wesentlicher Platz für das Kreuz seien für ihn die Orte von Leid und Krankheit im Leben. Trotz der Möglichkeiten modernster Wissenschaft und Technik sowie höchster medizinischer Kunst ließe sich die Hinfälligkeit des Leidens nie ganz beseitigen, bekräftigte Losinger. Themen wie Embryonen-Forschung, Präimplantations-Diagnostik, die Fragen nach dem Beginn und dem Ende des menschlichen Lebens sowie der notwendige Einsatz für die unantastbare Würde der Person zeige die Kehrseite einer wissenschaftlichen Entwicklung, die Ängste wecken könne.
"Darum brauchen wir das Kreuz in unseren Krankenzimmern, in den Pflegeheimen und zuhause, wo Menschen von Angehörigen gepflegt werden", so Losinger, "damit kranke und sterbende Menschen mit Hoffnung auf den leidenden Christus blicken können, und in liebender menschlicher Zuneigung leben und auch sterben dürfen, wenn es an der Zeit ist."
Doch Losinger bleibt nicht in den Schulen und Gesundheits-Einrichtungen stehen, sondern möchte den Blick auf den Gekreuzigten auch in anderen alltäglichen Bereichen des Lebens geweitet sehen – in den "Herrgotts-Winkeln" der Familien, auf den Gipfeln der Berge, in den Gerichts-Sälen und Amtszimmern sowie in der Politik. "Das Kreuz ist wichtig, damit die Menschen das richtige menschenwürdige Maß bewahren und sich nicht überheben über die Würde des anderen. Das Kreuz ist wichtig, damit wir immer wieder die eigene Endlichkeit und Begrenztheit realisieren gegen die Kreuzigung und Erniedrigung des Nächsten."
Das Kreuz in den Lebensräumen bewahre die Hoffnung, schenke Luft zum Atmen und schaffe das Bewusstsein der unveräußerlichen Würde und des Lebensrechts jedes Menschen, proklamiert der Weihbischof. "Das macht den wahren Unterschied im Kreuz Jesu Christi zu allen Billig-Angeboten der Sinnstiftungs-Industrie unserer Tage aus", findet er.
Losinger gab den Gläubigen im Dom in Erinnerung an das Kruzifix-Urteil und an die Rede von Papst Benedikt XVI. im deutschen Bundestag im Jahr 2011 zu bedenken: "Wo das Kreuz entfernt wird, fehlt mehr als nur ein Stück Kulturgut. Da geht es um die Fundamente unserer menschlichen Identität, um das menschenwürdige Antlitz eines Staates und die Grundlagen des Rechts und es geht letztendlich um die Sinnfrage unserer Gesellschaft. Was wollen wir hoffen? Und wie wollen wir leben?"
Nach den Fürbitten, der Erhebung und Verehrung des Kreuzes sowie der Kommunion-Spendung und dem Segens-Gebet brachte der Augsburger Bischof Bertram Meier die verschleierte Monstranz zum Ende der Liturgie-Feier in einer Prozession – begleitet von Domkapitel, Altardienst, Grabesrittern und dem Gesang der Domsingknaben – zum "Heiligen Grab" in die Marien-Kapelle. Ministranten und Fackelträger bildeten vor der Kapelle ein Spalier. Alle beteten in Stille. Die Ritter verblieben in der Kapelle zur Grabwache. Das Allerheiligste ist dort noch bis Karsamstag, 17 Uhr, zur Anbetung ausgesetzt.
Musikalisch gestaltet wurde die heute Karfreitags-Liturgie in Augsburg vom Kammerchor der Domsingknaben sowie dem Domchor unter der Leitung von Domkapellmeister Stefan Steinemann. Neben der Johannes-Passion von Hermann Schroeder, die die drei Passions-Sänger im Wechsel mit dem Domchor zu Gehör brachten, erklangen verschiedene Passions-Motetten, unter anderem von Giovanni Pierluigi da Palestrina, Claudio Monteverdi und Tomás Luis de Victoria.