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Christian Tischler (32), Bundesschatzmeister und Kreisgeschäftsführer der ÖDP, kehrt der Ökopartei den Rücken – und findet deutliche Worte zur Erklärung dieses drastischen Schritts

(ty/zel) Christian Tischer aus Ingolstadt, seit 2010 im ÖDP-Bundesvorstand und seit 2014 Bundesschatzmeister der Partei, seit 2011 Kreisgeschäftsführer der Ingolstädter ÖDP und in den vergangenen Jahren auf verschiedensten Ebenen engagiert, hat mit seiner Partei gebrochen. Er gibt zum 30. September nicht nur sämtliche Ämter ab, sondern erklärt zudem seinen Austritt aus der Öko-Partei.

In einem offenen Brief erläutert der 32-Jährige ausführlich und eindringlich, was ihn dazu gebracht hat, und findet deutliche Worte. Er spricht von „schwerwiegenden Schieflagen“ , „festgefahrenen Strukturen“ und kommt für sich zu dem Schluss: „Für mich persönlich ist inzwischen leider ein Punkt erreicht, an dem meine politischen Grundsätze und Grundüberzeugungen soweit tangiert sind, dass ich meine Arbeit nicht mehr weiterführen kann, ohne in einen moralischen Konflikt zu geraten. 

"Im Kreisverband läuft alles gut"

Im Gespräch mit unserer Zeitung will Tischler betont wissen, dass sein drastischer Schritt ausdrücklich nichts mit dem Ingolstädter ÖDP-Kreisverband zu tun habe. Im Gegenteil, sagt er. „Da läuft alles gut, das macht den Abschied umso schwerer.

„In den vergangenen sieben Jahren war es mir vergönnt, mich an unterschiedlichsten Stellen in der Partei einbringen zu dürfen“, schreibt Tischer in seinem offenen Brief. Er ist seit 2009 Mitglied des Kreisvorstands Ingolstadt, seit 2011 als Geschäftsführer. Seit 2010 sitzt er im Bundesvorstand, im vergangenen Jahr wurde er mit 96 Prozent zum Bundesschatzmeister der ÖDP gewählt. Von 2009 bis heuer war er zudem stellvertretender Bundesvorsitzender der „Jungen Ökologen“, denen er seit 2012 auch auf Kreisebene vorstand. 2008 und 2014 kandidierte er für den Stadtrat, vor zwei Jahren war er Bundestagskandidat der ÖDP.

„In den mir anvertrauten Ämtern war es mir stets ein Anliegen, über die ,klassischen’ Aufgabengebiete hinaus aktiv zu werden“, schreibt Tischler. So arbeitete er nach eigenen Angaben ein 40-seitiges Arbeitspapier zur Strukturreform mit dem Titel „Damit Zukunft bleibt“ sowie zwölf Thesen zum Thema Wahlerfolg aus. „Zur Professionalisierung gehörten auch Projekte wie die Neugestaltung des Antragsheftes und die vollständige Überarbeitung des Finanzberichtes, um den Delegierten eine möglichst transparente und gut verständliche Entscheidungsgrundlage an die Hand zu geben.“ Als jüngstes Projekt sollten seinen Worten zufolge Videoproduktionen und eine Modernisierung des Livestream-Konzepts auf Parteitagen fertiggestellt werden.

"Nicht aus einem Bauchgefühl heraus"

Das alles führt Tischler ausführlich aus, „um zu verdeutlichen, dass mir in den letzten Jahren ein sehr tiefer Einblick in die Partei ermöglicht wurde und ich entsprechende Erfahrungen mit ihrer Struktur, ihrer Arbeitsabläufe, ihrer Außenwirkung, aber vor allem auch ihrer Menschen sammeln durfte“. Auf Grundlage dieser Erfahrungen könne er behaupten, seine Entscheidung „nicht aus einem einfachen Bauchgefühl heraus“ getroffen zu haben.

„Hier in Bayern haben wir in Gestalt der CSU eine Partei, die aus meiner Sicht in vielen Bereichen, gerade in Form mancher Funktionsträgerinnen und -träger ein schlechtes Vorbild abgibt: sei es nun Selbstbeweihräucherung, ,Ham ma scho immer so g’macht’-Mentalität, abfällige und arrogante Verhaltensweisen gegenüber kleineren Parteien (ergo allen anderen) oder unterschiedliche Ausprägungen von Spezl- und Vetternwirtschaft“, so Tischler. Mit seinem Eintritt in die ÖDP habe er eine Partei unterstützen wollen, die den Menschen zeige, dass es auch anders gehe.

"Umso ernüchternder und erschütternder"

„Umso ernüchternder und erschütternder ist es,“, schreibt Tischler,  „auch in der eigenen Partei wiederholt auf schwerwiegende Schieflagen zu stoßen.“ Bis zu einem gewissen Grad müsse man Probleme in jeder Organisation aushalten und – das habe er in den vergangenen Jahren gerade als Bundesvorstandsmitglied lernen müssen – sich ein dickes Fell zulegen. Für ihn stelle sich aber die Frage, bis zu welchem Grade dies tolerierbar sei und ab wann ein weiteres Bemühen, dem entgegenzuwirken, aussichtslos werde.

In einer Partei müsse regelmäßig geprüft werden, „ob die Ansprüche der eigenen Partei, die von dieser an die Politik und auch die Mitbewerber gestellt werden, noch durch die Partei selbst erfüllt werden“, so Tischer weiter. Er bringt in diesem Zusammenhang eine lange Liste von Fragen, die sich die ÖDP seiner Meinung nach stellen muss– betreffend die „demokratischen Optimierung“, Finanz-Aspekte, Transparenz, Professionalität und (Werbe-)Strategie. Hier einige Beispiele:

  • Wie kann im Vorfeld von Listenaufstellungen möglichen Druckmitteln wie der Androhung eines Wahlboykotts von vornherein die Grundlage entzogen werden?
  • Welche Verantwortung tragen stärkere Gebietsverbände gegenüber den kleineren und welches Maß an Solidarität darf in einer föderal organisierten Partei erwartet werden?
  • Wie kann sichergestellt werden, dass Solidaritätsbekundungen tatsächlich mit Leben gefüllt werden und nicht nur leere Worthülsen bleiben?
  • Wie kann eine umfangreiche Transparenz in allen Gebietsverbänden und deren Vorständen sichergestellt werden?
  • Welche Verantwortung haben Vorstände gegenüber einzelnen Mitgliedern, die ein aus demokratischer Sicht und auch aus dem Blickwinkel unserer Programme sehr bedenkliches Weltbild vertreten und auch nach außen tragen?
  • Wie stellen wir sicher, dass konstruktive und sachliche Kritik innerhalb von Vorständen und auch zwischen Gebietsverbänden Wirkung entfaltet und nicht geblockt wird?
  • Schreiben wir unsere Programme für uns selbst oder die Wähler?
  • Wie wirkt die ÖDP auf Außenstehende?
  • Welche Konsequenzen können aus den Vorwürfen gezogen werden, die ÖDP sei oft zu verkopft und mahne „besserwisserisch“ mit dem erhobenen Zeigefinger, wobei sie den Eindruck vermittle, sich selbst moralisch überlegen zu sehen?

Dem schließen sich folgende Ziele an, die aus Tischlers Sicht für die Parteiarbeit anzustreben sind:

  • Mehr Präsenz aller Landesverbände auf Bundesebene und damit verbunden ein verstärktes gemeinsames Engagement in der Leitung der Bundespartei. Ein entsprechendes Interesse und die Motivation sind die Grundlage dafür.
  • Beteiligung aller Gebietsverbände am gemeinsamen Ziel und dem gemeinsamen Weg dorthin. Der Blick über die Grenzen des eigenen Verbandes ist dabei ebenso unerlässlich wie verbindliche rechtliche Strukturen.
  • Selbstreflexion und den Mut, zu eigenen Fehlern zu stehen.
  • Offen sein für Neues, kein „same procedure as every year“.
  • Größtmögliche Transparenz auf allen Ebenen. Je höher die Ebene, desto wichtiger wird dies.
  • Einflussnahmen bei Wahlen, in welcher Form auch immer müssen, strikt und konsequent unterbunden werden.
  • Konflikte sollen fair und konstruktiv angegangen werden.
  • Mitarbeiter als solche wertschätzen und ihren fachlichen Fähigkeiten vertrauen.

„Für mich persönlich ist inzwischen leider ein Punkt erreicht, an dem meine politischen Grundsätze und Grundüberzeugungen soweit tangiert sind, dass ich meine Arbeit nicht mehr weiterführen kann ohne in einen moralischen Konflikt zu geraten“, bilanziert Tischer für sich. Auch habe er die Hoffnung aufgegeben, in Zusammenarbeit mit Gleichgesinnten „die teilweise festgefahrenen Strukturen zu lösen“ und das herrschende Ungleichgewicht in der Partei „positiv umzugestalten, so dass wir als Partei mit bundesweitem Anspruch diesem auch gerecht werden“. Solidaritätsbekundungen und gut gemeinte Ratschläge reichen  nicht aus, so Tischler. „Aus meiner Sicht kann dies nur gelingen, wenn Strukturen und Finanzmittel stärkerer Verbände solidarisch und konsequent dafür eingesetzt werden, auch in anderen Gebieten die ÖDP zu verankern.“

Er wünscht noch alles Gute

Immerhin wird es zum Ende des offenen Briefs noch ein wenig versöhnlich. „Auch wenn negative Erfahrungen mich zu diesem für einen politisch aktiven Menschen sehr drastischen Schritt bewegt haben, so gehe ich trotz allem in dankbarer Erinnerung an zahlreiche schöne Erlebnisse und Begegnungen“, schreibt Tischler, um bittet zugleich um Entschuldigung, „wenn ich mir selbst einmal einen Fehltritt geleistet haben sollte“. In der Hoffnung auf eine positive Veränderung wünsche er der ÖDP und ihren Aktiven alles Gute für die Zukunft.

Wichtige, noch offene Großprojekte wie die technische Einrichtung der Webseiten für die Kreisverbände in Baden-Württemberg habe er abgeschlossen, so Tischler. Er werde Ende September den Rechenschaftsbericht der Gesamtpartei noch mit seiner Unterschrift bestätigen. Bis zur Aufstellung des nächsten Haushalts sei noch ein halbes Jahr Zeit, so dass sein Ausscheiden als Bundesschatzmeister für die ÖDP keinen Zeitdruck erzeuge.

Der letzte Satz in Tischlers Brief lautet: „Hiermit erkläre ich zum 30. September 2015 meinen Rücktritt von sämtlichen Parteiämtern und meinen Austritt aus der Ökologisch-Demokratischen Partei.“ 

Den vollständigen Text des offenen Briefs im Wortlaut finden Sie hier.


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