Wenn der VW-Aufsichtsrat morgen Matthias Müller zum neuen VW-Chef küren sollte, sind die Wünsche von Ferdinand Piëch doch noch in Erfüllung gegangen
Von Michael Schmatloch
Die Marke Volkswagen steht derzeit weniger für deutsche Qualität und Zuverlässigkeit. Vilemehr für Skandale, Machtspielchen und peinliche, unwürdige Abgänge. Erst vor knapp einem halben Jahr räumte Patriarch Ferdinand Piëch nach einem verlorenen Machtkampf gegen Martin Winterkorn eher unrühmlich den Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden. Seine Pläne, den VW-Chef Winterkorn zu entthronen und dafür Porsche-Chef Matthias Müller an der Spitze von Europas größtem Autobauer zu installieren, gingen nicht auf. Bis jetzt.
Wenn morgen der Aufsichtsrat von Volkswagen Matthias Müller zum neuen VW-Chef küren sollte, dann nämlich ist alles eingetreten, was Ferdinand Piëch wollte. Hatte der Patriarch doch kurz vor dem Machtkampf Müller angerufen, um ihm zu sagen, er solle sich bereit halten. Würde also morgen Müller tatsächlich auf den VW-Thron steigen, wären Piëchs Wünsche – auch ohne unmittelbares Zutun einer guten Fee – Wirklichkeit geworden: Winterkorn ist weg und sein Wunschkandidat im Amt. Wenn sicher ob des Alters auch nur auf absehbare Zeit. Matthias Müller gilt im Augenblick jedenfalls als aussichtsreichster Kandidat für den Chefsessel, weit vor Audi-Chef Rupert Stadler und VW-Markenboss Herbert Diess.
Die Abgas-Affäre kam für Martin Winterkorn zur denkbar schlechtesten Zeit. Denn morgen sollte sein Vertrag, der Ende 2016 regulär zu Ende gegangen wäre, eigentlich bis 2018 verlängert werden. Das war längst ausgemachte Sache. Und jetzt der weltumspannende Skandal. Punktgenau zur Vertragsverlängerung.
Zufall? Wer weiß. „Zufälle“ sind in Politik und Wirtschaft keine Seltenheit. Als Ministerpräsident Horst Seehofer im Jahr 2007 nach dem Abgang Edmund Stoibers vor der Wahl zum neuen Parteivorsitzenden der CSU stand, kam just in time sozusagen seine außereheliche Beziehung „zufällig“ an Licht. Ein Schelm, wer da nicht an Zufall glaubt.
Der große und mächtige Ferdinand Piëch muss sich anscheinend dem bei ihm in Ungnade gefallenen Martin Winterkorn geschlagen geben. Und Monate später stolpert Wiko, wie er in Kurzform genannt wird, nicht minder zufällig über einen Skandal, dessen technische Hintergründe seit langem bekannt sind. Das heißt: Die Manipulationen bei Abgastests von Dieselmotoren sind so neu nicht, wie es derzeit scheint. Um die per Software gesteuerte Möglichkeit, über Abschaltmechanismen in Testsituationen die Abgaswerte aufzuhübschen, wussten viele seit Jahren Bescheid.
Warum also gerade jetzt der Skandal, da es an Winterkorns Vertragsverlängerung ging? Würde man nicht brav an alles glauben, was Politiker und Manager so von sich geben, man könnte glatt meinen, da habe irgendjemand einen Stein ins Wasser geworfen. Und die Wellen erledigen der Rest.
Es wirkt in der Tat wie die Rache des Patriarchen. Auch wenn selbstredend dagegen spricht, dass Ferdinand Piëch durch den desaströsen Einbruch am Aktienmarkt selbst zu den am meisten Geschädigten gehört. Doch er, dem man immer nachgesagt hat, er denke 20 Jahre im Voraus, sind die Gesetze der Börse und die Vergesslichkeit der Investoren bestens bekannt. Dass also die Verluste lediglich in den Büchern stehen und sich in absehbarer Zeit wieder egalisiert haben dürften, das wusste nicht nur Börsenguru André Kostolany.
Zudem sollte man in dem ganzen Spiel um Macht, Einfluss und übersteigerte Egos Johann Wolfgang von Goethe nicht vergessen, der in Faust seinen Mephistopheles sagen lässt: „Ich bin der Geist, der stets verneint. Und das mit Recht. Denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht.“ Der Plan, VW zum größten Automobilhersteller der Welt zu machen, der ist wohl auf unabsehbare Zeit "zugrunde" gegangen.
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