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Der Basar als eigene kleine Welt: Vom Handeln und Feilschen, von Schnäppchen und vom Robin-Hood-Prinzip

Von Veronika Hartmann

„Sechszehn Lira“, sagt der Verkäufer und fügt sofort hinzu: „Für Dich nur fünfzehn“, ohne mich genauer betrachtet zu haben. Rabatte werden in Istanbul eigentlich prompt eingeräumt. Aber am Basar kann man noch weiter handeln. „Meinst Du, der Händler hat mich übers Ohr gehauen?“, fragen mich daher immer wieder verunsicherte Freunde und Bekannte. 

Hat er nicht, zumindest nicht im klassischen Sinne. Auf dem orientalischen Basar folgt die Preisgestaltung ganz anderen Gesetzmäßigkeiten als man es aus dem europäischen Handel kennt. In Deutschland wird die Kaufsumme aus bestimmten Komponenten errechnet: den Kosten für den Laden, die Anschaffungskosten des Produkts, Angebot und Nachfrage zum Beispiel.

Natürlich wird der Preis auf dem orientalischen Bazar ebenfalls von bestimmten Komponenten bestimmt: Der Laune des Verkäufers, wie weit das Monatsende entfernt ist oder ob der Familie größere Anschaffungen ins Haus stehen zum Beispiel. Aber auch der potentielle Kunde spielt bei der Preisgestaltung eine nicht unwichtige Rolle. Baumelt etwa eine Rolex an seinem Handgelenk, wird es schnell mal teurer, im Gegensatz bescheren einem abgelatschte Schuhsolen nicht selten ein Schnäppchen. Ja, man wird taxiert, beim Handeln auf dem Basar!

Doch die Angst, dass man „zu viel“ bezahlen könnte, ist eigentlich dennoch unbegründet. Zumindest wenn man es schafft, sich damit abzufinden, dass der nächste Kunde das Produkt eventuell zu einem attraktiveren Preis erhalten könnte. Denn, romantisch-verklärt betrachtet, folgt der Händler auf dem Basar einer Art „Robin-Hood-Prinzip“: indem er von demjenigen etwas mehr verlangt, dem es nicht weh tut, kann er jemandem, der es dringender braucht, einen besseren Rabatt einräumen. Eine ziemlich schöne Vorstellung, oder? 

Es handelt sich um eine Umverteilung in einem Rahmen, der niemandem wirklich weh tut, im Alltag meist noch nicht einmal wahrgenommen wird. Keine Sorge, auch hier wird der Reiche immer reicher und der Arme bleibt für immer arm. Aber es passiert eben noch ein kleines Stückchen mehr: Der Mensch bleibt ein bisschen wichtiger als das Geld, er ist nicht Kunde und nicht König, sondern ein Gegenüber, das in mehreren Facetten ernst genommen wird – nicht nur als „Bezahler“. 

Ich persönlich liebe es zu handeln. Ich bin auch ziemlich gut darin, wage ich zu behaupten. Besonders ehrgeizig werde ich auf dem kleinen Straßenflohmarkt, den ich gerne sonntags besuche. Was hier angeboten wird, haben die Händler, meist Roma, die ihren spärlichen Lebensunterhalt durch das Sortieren von Müll verdienen, wohl bei ihrer Arbeit gefunden. Manche Dinge sehen nicht weniger mitgenommen aus als ihre Verkäufer, aber immer wieder trifft man auf ein echtes Fundstück. Viele Menschen, die hier kaufen und verkaufen, leben am Existenzminimum. 

Bei einem meiner Streifzüge entdeckten mein Begleiter und ich besonders viel, was wir mit nach Hause nehmen wollten. Wir handelten wie die Weltmeister und schlugen einen beachtlichen Rabatt heraus. Als es ans Bezahlen ging, gab ich dem Verkäufer deutlich mehr als die zuletzt vereinbarte Summe. Mein Begleiter musste lachen, aber er verstand. Ebenso der Verkäufer. Das Handeln weckt den Ehrgeiz, macht Spaß und wenn man erfolgreich ist, gibt es ein gutes Gefühl. An diesem Tag habe ich für die paar Euro, die ich hätte sparen und später in einen Kaffee investieren können, ziemlich viel Dankbarkeit und ein ganz herzhaftes Lachen bekommen. Ein Schnäppchen!

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Veronika Hartmann ist freie Journalistin und Übersetzerin. Nach ihrem Abitur am Christoph-Scheiner-Gymnasium in Ingolstadt zog es sie in die große, weite Welt: Über München und Bremen führte es die gebürtige Göttingerin an den Bosporus. Heute lebt sie in Istanbul und Ingolstadt, frei nach dem Motto: „Auf einem Bein kann man nicht stehen.“


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