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Von großen Ketten und Online-Shopping, von kleinen Eckläden und dem Plausch mit der Verkäuferin

Von Veronika Hartmann

In der Fußgängerzone von Ingolstadt treffe ich eine alte Bekannte. Mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht sagt sie: „Hübsches T-Shirt!“ Dann müssen wir beide lachen – sie trägt genau das gleiche.  Während ich mich darüber wundere, denn immerhin stammt meins von einem türkischen Straßenbasar, klärt sie mich darüber auf, dass man das Hemd in allen Farbschattierungen bei einer beliebten internationalen Modekette kaufen kann.

Ich stelle mir vor, wie meine Bekannte Abends auf ihrem Sofa sitzt, das vielleicht einen skandinavisch klingenden Namen hat, dabei auf ihr Telefon schaut, das mit dem Apfel als Logo. Vor meinem geistigen Auge lasse ich diese Szene wandern: Von Ingolstadt nach Barcelona, nach London oder Istanbul. Sie ist überall möglich. Zwar legen wir einerseits viel Wert auf Individualität, andererseits scheinen viele Menschen das problemlos auf Sofas ausleben zu können, die millionenfach hergestellt werden.

Man erkennt das auch an den Innenstädten. Sei es in Wien oder Berlin, die bekannten Ketten reihen sich die Fußgängerzonen entlang. Während die Menschen Angst vor Überfremdung haben, haben sie die Herzen ihrer Städte bereits aus der Hand gegeben, an Konzerne in Schweden, Spanien oder sonstwo. Statt die eigenen Vorstellungen umzusetzen, wird jetzt gekauft, was uns vorgesetzt wird. Weil in Massen produziert wird, gaukelt die bunte Vielzahl der Produkte uns vor, individuell bleiben zu können. 

Dabei veröden die Städte. Denn das Angebot, das es dort gibt, findet man auch im Internet. Meist zu einem besseren Preis und in größerer Auswahl, noch dazu ohne Parkplatzsorgen und wetterunabhängig. 

Was den echten, eigentümergeführten Einzelhandel sowohl vom Online-Shopping als auch von den bekannten Marken unterscheidet, ist das Gesicht hinter dem Produkt. Für ein Unternehmen, das in millionenfacher Stückzahl produziert, ist es unerheblich, ob der eine oder andere Kunde unzufrieden ist. Sicher, Beschwerden werden angehört, aufgenommen und sicherlich zur allgemeinen Produktverbesserung auch ernst genommen. Aber der zwischenmenschliche Faktor fehlt. Einen Mangel, dessen Bedeutung man nicht unterschätzen sollte. Es ist vertrauensbildend, wenn man die Menschen, die einen im Laden erwarten, lange kennt. Deswegen versuchen viele große Unternehmen durch ihre Werbung das fehlende Gesicht hinter der anonymen Marke aufzubauen. 

Individueller ist es allemal, wenn ich im kleinen Eckladen einkaufe, der seine Produktpalette seinen ganz eigenen Parametern folgend zusammenstellt, der mir persönlich Rechenschaft ablegt, wenn ich unzufrieden bin, und der möglicherweise beim Einkauf meine Sonderwünsche berücksichtigt. Zwar weiß auch der Online-Shop, dass man im Vorjahr eine rote Hose gekauft hat. Dass dazu die geblümte Bluse passen wird, kann aber nur die alteingesessene Verkäuferin abschätzen. Betrachte ich mir die Buchempfehlungen, die der internationale Branchenriese für mich bereit hat, so kann er mit eigentlich keinem meiner Stammgeschäfte mithalten. 

Zumal noch etwas dazukommt: das Gespräch. Ein eigentümergeführtes Geschäft besucht man auch zum Plausch, es kann als Plattform zum Kennenlernen und zum Austausch dienen. Und den Städten verleihen diese Läden, zumindest wenn es davon noch viele gibt, eine wunderbare, ganz individuelle Atmosphäre. 

*

Veronika Hartmann ist freie Journalistin und Übersetzerin. Nach ihrem Abitur am Christoph-Scheiner-Gymnasium in Ingolstadt zog es sie in die große, weite Welt: Über München und Bremen führte es die gebürtige Göttingerin an den Bosporus. Heute lebt sie in Istanbul und Ingolstadt, frei nach dem Motto: „Auf einem Bein kann man nicht stehen.“


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