Bei der Betreuung von jungen unbegleiteten Flüchtlingen entsteht dem Bezirk Oberbayern eine riesige Finanzlücke. Wenn der Freistaat diese nicht schließt, dann muss auch der Landkreis Pfaffenhofen deutlich mehr Geld an den Bezirk abführen – Millionen, die er sich möglicherweise von seinen 19 Kommunen über eine Erhöhung der Kreisumlage wiederholt. Damit wäre das Problem ganz unten angekommen.
Von Tobias Zell
Es geht ums Geld. Um sehr, sehr viel Geld. Heuer sind es 66,7 Millionen Euro, im kommenden Jahr rechnet man mit 165 Millionen und im Jahr darauf gar mit 180 Millionen Euro. Das ist der Teil der Kosten für die Betreuung junger unbegleiteter Flüchtlinge, die der Bezirk Oberbayern nicht vom Freistaat Bayern erstattet bekommt. Zumindest sieht es momentan danach aus, dass der Bezirk auf diesen Kosten sitzen bleibt. Was zur Folge haben dürfte, dass er sich diese Millionen – notgedrungen – über die Bezirksumlage von den Landkreisen wiederholen muss. Und damit wäre das Problem dann auch im Kreis Pfaffenhofen angekommen – und indirekt ebenso in dessen 19 Gemeinden, die in der Folge möglicherweise wiederum vom Landkreis zur Kasse gebeten werden.
Heuer konnte der Bezirk die Finanzlücke noch durch den Griff in seine Rücklagen schließen. Doch dieses „Ersparte“ war eigentlich dazu vorgesehen, die Bezirksumlage stabil zu halten. Dieser Plan scheint nun dahin. Im Raum steht deshalb für das kommende Jahr eine Erhöhung der Bezirksumlage um zwei Punkte. Konkret würde das bedeuten, dass der Kreis Pfaffenhofen zirka 2,4 Millionen Euro mehr als heuer an den Bezirk überweisen müsste. Das bestätigte Kreiskämmerer Walter Reisinger auf Anfrage unserer Zeitung – errechnet auf Basis der aktuell vorliegenden Daten. Man kann auch einfach sagen: Dem Landkreis Pfaffenhofen fehlen nächstes Jahr mehr als zwei Millionen Euro.
Und das wiederum könnte handfeste Auswirkungen für die Gemeinden haben. Denn über die Kreisumlage holt sich der Landkreis, der ja praktisch kaum eine andere Einnahme-Quelle hat, das Geld für die Erfüllung seiner Aufgaben von den Kommunen. Wenn sich also der Landkreis im nächsten Jahr die Millionen, die er zusätzlich an den Bezirk abgeben muss, komplett von seinen Gemeinden wiederholen möchte, dann würde das eine deutliche Steigerung der Kreisumlage bedeuten. Um die besagten 2,4 Millionen Euro vollständig zu decken, müsste die um zwei Punkte erhöht werden.
Geld, das den Kommunen fehlen würde
Was das für die Kommunen bedeuten würde, lässt sich anhand nackter Zahlen veranschaulichen, die Reisinger auf Anfrage liefert. Nimmt man als Grundlage die aktuellen Werte, dann müsste zum Beispiel die kleine Gemeinde Ernsgaden im kommenden Jahr statt 700 000 Euro zirka 750 000 Euro an den Landkreis überweisen. Manching hat heuer 4,4 Millionen Euro abgeführt, nächstes Jahr wären es dann um die 4,6 Millionen. Und für die Stadt Pfaffenhofen würde das bedeuten, dass sie statt 13 Millionen Euro satte 13,6 Millionen Euro an den Landkreis abgeben müsste. Geld freilich, das den Kommunen für eigene Investitionen und Vorhaben fehlen würde.
Dieses Szenario droht dem Kreis Pfaffenhofen freilich nicht exklusiv, sondern es blüht allen oberbayerischen Landkreisen. Deshalb ist die Aufregung auch groß. Der Bezirkstag hat bereits einstimmig eine Resolution verabschiedet, die den Freistaat eindringlich dazu auffordert, sämtliche Kosten für junge unbegleitet eingereiste minderjährige und junge erwachsene Flüchtlinge zu übernehmen – statt diese wie bisher teilweise auf die Kommunen abzuwälzen.
Landrat Wolf: "Das geht gar nicht"
„Wir müssen mit Nachdruck schauen, dass keine systemfremden Kosten auf die Kommunen abgewälzt werden“, unterstreicht der Pfaffenhofener Landrat Martin Wolf (CSU) im Gespräch mit unserer Zeitung. Dass das oben geschilderte finanzielle Schreckens-Szenario Realität wird, „geht gar nicht“, sagt Wolf. Er spricht von einem „mittleren Aufstand“ der oberbayerischen Landräte und hofft, dass das alles noch abzuwenden ist.
Das Kostenerstattungs-Verfahren im Flüchtlingsbereich ist kompliziert: Die Ausgaben für unbegleitet eingereiste minderjährige Flüchtlinge übernimmt der Freistaat. Die Jugendlichen werden in den Landkreisen und kreisfreien Städten betreut. Die Kosten werden den Bezirken in Rechnung gestellt, die wiederum vom Freistaat dafür Geld bekommen. „Abgesehen von zeitlichen Verschiebungen durch nachträgliche Abrechnungen funktioniert dieses Prinzip“, heißt es vom Bezirk. Und jetzt kommt das große Aber.
Auf den Kosten sitzen bleiben die Bezirke nämlich in den Fällen, in denen die ehemals Jugendlichen nun volljährig geworden sind, aber weiterhin in Maßnahmen der Jugendhilfe betreut werden. Dies könne – so wird erklärt – der Fall sein, wenn beispielweise immer noch ein erhöhter Betreuungsaufwand festgestellt werde und die jungen Menschen weiterhin in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe leben. Die Finanzierung laufe dann unverändert über die Jugendhilfe und nicht über das so genannte Asylbewerberleistungsgesetz. Konkret bedeutet das aber, dass den Bezirken diese Kosten nicht erstattet werden. Und das gelte oberbayernweit für einen sehr hohen Prozentsatz, ließ der Bezirk wissen: Zum Stichtag (18. Geburtstag) verbleiben den Angaben zufolge aktuell bis zu 90 Prozent in der Jugendhilfe.
Bereits in diesem Jahr werden sich für den Bezirk Oberbayern die damit verbundenen Kosten auf satte 66,7 Millionen belaufen. Diese Ausgaben können – durch einen Griff in die Rücklagen – gedeckt werden. Das hat der Bezirkstag auch mit großer Mehrheit beschlossen und einen entsprechenden Nachtragshaushalt verabschiedet. „Glücklicherweise haben wir in den letzten, finanziell guten Jahren unsere Schulden so gut es ging getilgt und Rücklagen aufgebaut“, sagt Bezirkstagspräsident Josef Mederer.
Klare Forderung
Allerdings, so ergänzt er umgehend, seien diese Rücklagen eigentlich dafür gedacht gewesen, Schwankungen im Steueraufkommen abzupuffern sowie damit die Bezirksumlage auf Jahre stabil und kalkulierbar zu halten. Anders gesagt: „Unsere Rücklagen sind eigentlich nicht dafür gedacht, staatliche Aufgaben zu kommunalisieren.“ In anderen Bundesländern würden sämtliche Kosten vom Land getragen – auch die für die jungen erwachsenen Flüchtlinge, so Mederer. Seine Forderung lautet deshalb: „Dies muss auch in Bayern gelten.“
Denn es dürfte finanziell noch viel schlimmer kommen. Der Höhepunkt der Kostenwelle ist nämlich noch längst nicht erreicht. Für das kommende Jahr rechnet man für Oberbayern mit Ausgaben im genannten Bereich von etwa 165 Millionen Euro – und daraus resultierend droht eben eine Erhöhung der Bezirksumlage um zwei Prozentpunkte. Für das Jahr 2018 geht man beim Bezirk sogar von einer weiteren Steigerung auf dann knapp 180 Millionen Euro aus. Dabei beziehe sich diese Prognose nur auf die aktuelle Anzahl an Flüchtlingen – sie kalkuliere nicht ein, dass ja noch weitere hinzukommen könnten.
"Schock-Nachricht" und "Mittlerer Aufstand"
Als Bezirkstagspräsident Mederer kürzlich bei einer Besprechung mit den oberbayerischen Landräten und Oberbürgermeistern diese „vorsichtige Hochrechnung“ in den Raum stellte, habe er den „erwarteten Aufschrei“ geerntet, heißt es aus dem Bezirk. Der Pfaffenhofener Landrat Martin Wolf (CSU) bestätigt das nicht nur, sondern berichtet von einer „Schock-Nachricht“ und von einem „mittleren Aufstand der Landräte“. Ein Spitzengespräch mit Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) beziehungsweise den zuständigen Ministerien ist bereits geplant. Dafür gebe es allerdings noch keinen konkreten Termin, sagte eine Sprecherin des Bezirks auf Anfrage unserer Zeitung.
Ist das alles überhaupt noch abwendbar? „Eine Prognose ist schwierig“, sagt Wolf. Zwar gebe es Zusagen des Bundes an die Länder – doch der Freistaat Bayern sei ohnehin vergleichsweise großzügig bei der Übernahme der Kosten für die Flüchtlinge. Auch Wolf setzt aber seine Hoffnungen in das Spitzengespräch in München.
Und wie geht es nun im Landkreis Pfaffenhofen weiter? „Wir werden erörtern, wie wir das finanzieren wollten, wenn es so kommt“, sagt Wolf. Thema wird das spätestens bei der traditionellen Klausur-Tagung der Spitzen der Kreistags-Fraktionen sein, die im November ansteht. Eigentlich hatte man sich ja quer durch die Fraktionen darauf verständigt, dass die Kreisumlage für 2017 nicht erhöht wird. Doch angesichts dieser neuen Entwicklung scheint das nicht mehr in Stein gemeißelt.
Wie gegenfinanzieren?
Sollte der Kreis Pfaffenhofen die zusätzlichen 2,4 Millionen Euro im kommenden Jahr tatsächlich an den Bezirk überweisen müssen, dann gäbe es nach den Worten von Wolf mehrere Möglichkeiten, um das gegenzufinanzieren. Erstens: Eine Erhöhung der Kreisumlage – was das bedeutet, haben wir eingangs veranschaulicht. Zweitens: Der Landkreis macht entsprechende Schulden. Drittens: Der Kreis spart das Geld an anderer Stelle ein. Oder viertens: Eine Kombination aus diesen Varianten.
Was die Beratungen in dieser Sache nicht einfacher machen dürfte, ist der politische Hintergrund: Im kommenden Jahr steht bekanntlich die Pfaffenhofener Landratswahl an. Eine Erhöhung der Kreisumlage, die voll auf Kosten der Kommunen geht, ist alles andere als ein populärer Schritt. Möglicherweise wird die eine oder andere Fraktion also dieses Thema nutzen, um sich zu profilieren.