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Der 21-Jährige steht bei der SpVgg Steinkirchen im Tor. Aufgeben war für ihn nach einem Schicksals-Schlag keine Option.

Von Alexander Kaindl

Michael Sedlmayr (21) war ein ganz normaler Jugendlicher. Bis zum 30. September 2011. In seinem Bein wurde eine Thrombose festgestellt, von einem Tag auf den anderen verlor er seinen linken Unterschenkel. "Fuß weg oder sterben", habe es geheißen. Der damals 14-Jährige erfand sich daraufhin neu. Er wurde mit seiner Prothese Deutscher Nachwuchs-Meister im 100-Meter-Sprint und kämpfte sich zurück zu seiner großen Leidenschaft: Fußball. Im Gespräch mit unserer Zeitung erzählt der Reichertshausener von dem Schicksals-Schlag und berichtet über seine etwas andere Umschulung vom Stürmer zum Keeper. Er spricht über Phantom-Schmerzen und verrät, warum er nie mehr für einen anderen Verein als die SpVgg Steinkirchen spielen will.

Ein kleines Detail, das aber eine gewaltige Aussagekraft hat: Michael Sedlmayr ist Linksfuß. Dass es ausgerechnet dieses Bein ist, das ihm an jenem Herbstmorgen im Herbst 2011 zu schaffen macht, scheint irgendwie das Schicksal des jungen Mannes aus Reichertshausen zu sein. "Das passt einfach. Ich hatte schon immer Pech", sagt er ganz offen – nur wenige Minuten, nachdem unser Gespräch begonnen hat. Die Worte klingen wie ein dumpfer Schlag, ein Vorwurf an das Schicksal. Der Michi, wie er von seinen Freunden genannt wird, schiebt hinter diesen Satz aber ein kleines Schulterzucken und ein Lachen. Beeindruckend.

Er habe ja gar keine andere Wahl, als mit Humor an diese Thematik heranzugehen, meint er. "Wenn du das nicht machst, zerbrichst du", unterstreicht der heute 21-Jährige. Deshalb lässt er auch gerne mal einen Spruch los, den man von einem Einbeinigen nicht unbedingt erwarten würde.

In seiner derzeitigen Phase sitzen sie besonders locker, der Keeper der SpVgg Steinkirchen ist bestens gelaunt. Zuletzt stand er beim Fußball-A-Klassisten immer wieder zwischen den Pfosten. Eigentlich hütet er den Kasten der zweiten Mannschaft in der C-Klasse. Weil Benjamin Taschner und Dennis Fuhrberg aber passen mussten, sprang der Michi in der Ersten ein.

Galgenhumor: Ja, da steckt wirklich ein Messer im Bein. In der Bein-Prothese.

Und er machte seine Sache gut, wie Trainer Jochen Niemann bestätigt: "Außenstehende fragen mich immer, warum ich nicht einen Feldspieler reinstelle. Das ist mir egal. Er haut sich voll rein und liefert gute Leistungen ab. Warum sollte ich es anders machen?" Doch warum ist Michael Sedlmayr plötzlich Keeper? Warum geht er nicht mehr auf Torejagd wie früher? Ein Sprung zurück in den Herbst 2011.

Michi kickte beim TSV Reichertshausen, dem Verein, der direkt vor seiner Haustür beheimatet ist. Eines Tages war ein Waldlauf angesetzt, am Ende spürte der Nachwuchs-Stürmer ein Zwicken im linken Bein. "Ich bin also wegen einer Zerrung zum Arzt gegangen", erzählt er sieben Jahre später in seiner Dachgeschoss-Wohnung. Beim Arzt sei aber überhaupt nichts vorangegangen, der Bub habe ewig auf seine Behandlung warten müssen. Als er dann untersucht worden sei, habe der Doktor keinen Puls mehr im Bein gespürt.

Was nun geschah, beschreibt der junge Mann so: "Dann ging alles sehr schnell. Ich bin rüber ins Pfaffenhofener Krankenhaus gekommen, es wurde Blut abgenommen und ein Ultraschall durchgeführt. Dann hat man mich mit dem Hubschrauber nach München geflogen, ich wurde zwölf Stunden operiert. Man hat alles versucht, sogar Schlangengift kam zum Einsatz. Einen Tag später hieß es dann: Fuß weg oder sterben." Man muss schlucken, wenn man diese Sätze hört.

Als der Teenager dann nach einer erneuten Operation aufwacht, ist der linke Unterschenkel amputiert. Das Leben eines 14-Jährigen ist plötzlich ein komplett anderes. Eine Thrombose war die Ursache. Es vergeht kein Tag, an dem der junge Sportler nicht Was-wäre-wenn-Szenarien durchkaut. Hätte er sein Bein noch, wenn man in der Praxis schneller gehandelt hätte? Würde er immer noch im Sturm spielen, wenn er diesen Waldlauf ausgelassen hätte? Der Fall wurde schließlich sogar vor Gericht verhandelt. Den linken Sedlmayr-Fuß brachte das auch nicht zurück.

Absprung: Sedlmayr hat sich nicht nur im Sprint versucht. 

Der Jugendliche musste den Turnaround schaffen. Die Verzweiflung hinter sich lassen, neuen Lebensmut schöpfen. Es gelang ihm auf imponierende Weise. "Ich habe mit Leichtathletik angefangen", erklärt er. Und das mit Erfolg. Im Jahr 2015 wurde er Deutscher Nachwuchs-Meister im 100-Meter-Sprint.

Wer aber schon einmal regelmäßig gegen den Ball getreten hat und dann nur noch stur geradeaus laufen soll, der weiß: Das ist für einen Fußballer nicht das Wahre. "So ging es mir auch", erinnert er sich. In Reichertshausen hatte er nach dem Schicksals-Schlag noch im Feld gespielt, allerdings war das mit der Prothese irgendwann einfach nicht mehr möglich.

Also ging es ins Tor – schon in der frühen Jugend stand er kurz zwischen den Pfosten. Allerdings versuchte er sein Glück dann zusammen mit Kumpel Kevin Scherrer in Steinkirchen. "Und da werde ich nie wieder weggehen", verspricht er. Bei der SpVgg wusste man Michael Sedlmayr, der zwischenzeitlich eine Ausbildung zum Fitness-Trainer gestartet hat, zu schätzen.

Er bekam seine Chancen – und nutzte sie. Auch wenn es natürlich schwierig ist mit nur einem Bein. "Ich brauche im Training schon manchmal eine Auszeit", sagt er. "Es kommt vor, dass ich einfach Phantom-Schmerzen habe und aufhören muss. Aber das Verständnis dafür ist da und das ist mir sehr wichtig."

Parade: Michael Sedlmayr hütet den Kasten der SpVgg Steinkirchen.

Seine große Stärke ist natürlich auf der Linie. Die Prothese hindert Michi nicht wirklich daran, sich vom Boden abzustoßen. Das hat man auch bei der Konkurrenz schon bemerkt. "Einmal hat mich der gegnerische Torhüter nach dem Spiel gefragt, was ich denn für eine Verletzung am Bein habe. Ich habe gesagt, dass ich einen Fuß weniger habe als er. Da war er ein bisschen erstaunt", berichtet der Torwart mit einem Lachen.

Einen Sinn fürs Toreschießen hat er übrigens trotzdem noch – nämlich auf der Spiele-Konsole. Im FIFA-Match gegen unseren Redakteur steht es am Ende 6:6. Ein Elfmeterschießen muss her. Und da kommt dann eben doch der Keeper durch, Michi pariert und gewinnt. Oliver Kahn ist immer seine Inspiration gewesen. Deutscher Meister sind beide, für einen Champions-League-Titel wird es für den Steinkirchener Schlussmann aber wahrscheinlich nicht mehr reichen.

Muss es auch nicht. Solange er mit seiner SpVgg Siege einfährt, ist alles in Ordnung. Saisonziel ist weiterhin der Nichtabstieg, momentan sieht es auch dank Michael Sedlmayr gut aus. "Für de Liga glangt oa Hax", sagt er. Wer nach so einer Geschichte sportlich wie beruflich mit beiden Beinen im Leben steht, der darf auch mal frech sein.

Fokus: Der Keeper und seine Kameraden von der SpVgg Steinkirchen vor dem 3:2-Sieg gegen den BC Uttenhofen II.  


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