Isolation in Corona-Zeiten: Was sie mit uns macht, warum Menschen mit Depressionen besonders darunter leiden und was helfen kann. Antworten von Professor Thomas Pollmächer, dem Leiter des Zentrums für psychische Gesundheit im Klinikum Ingolstadt.
(ty) Das neuartige Corona-Virus bestimmt derzeit nicht nur das öffentliche Leben. Die Auswirkungen sind, schon wegen der Ausgangs-Beschränkungen, längst auch in den persönlichen Bereich vorgedrungen. Das kulturelle Leben ist praktisch zum Erliegen gekommen. Soziale Kontakte sind massiv begrenzt. Raus in die Natur soll man nur alleine, mit dem Hund oder der Familie – und am besten nur, wenn es zwingend nötig ist. Die Pandemie belastet nicht nur die, die sich mit dem Virus infiziert haben. Am momentanen Ausnahme-Zustand, dem Aufbrechen geordneter Strukturen und den Einschränkungen haben die einen mehr zu knabbern als die anderen. Professor Thomas Pollmächer, der Direktor des Zentrums für psychische Gesundheit im Ingolstädter Klinikum, erklärt, warum das so ist und was er besonders psychisch belasteten Menschen in der momentanen Situation rät.
Herr Pollmächer, die derzeitige Kontakt-Beschränkung und die damit verbundene Isolation machen einigen Menschen schwer zu schaffen. Warum ist das so?
Thomas Pollmächer: Der Mensch ist ein soziales Wesen. Deshalb brauchen alle ein Mindestmaß an sozialen Kontakten, um sich wohlzufühlen. Und auch, wenn sich davon einiges virtuell ersetzen lässt, fehlt dabei immer eine wichtige Komponente: physische Nähe und körperliche Kontakt. Sie vermitteln Sicherheit und wenn sie fehlen, fühlt man sich tatsächlich isoliert von den anderen und damit auch einsam. Darüber hinaus hindert die aktuelle Situation Menschen an der Fortbewegung, was viel mehr bedeutet, als nur sich zu bewegen. Liegestütze oder das Fahrrad-Ergometer mögen die körperliche Fitness aufrechterhalten, den Freiheitsdrang des Menschen stillen sie aber nicht. Die Möglichkeit, sich frei bewegen zu können, ist für Menschen genauso essenziell wie die Möglichkeit, anderen nahe zu sein, sodass die gegenwärtige Isolation vielen gleich doppelt zu schaffen macht.
Wozu raten Sie, um Gefühle der Einsamkeit zu vertreiben oder sogar bereits vorzubeugen?
Pollmächer: Die beste Vorbeugung gegen Einsamkeit in der aktuellen Situation ist der regelmäßige Kontakt zu den Liebsten über die Kanäle, die zur Verfügung stehen. Dabei vermitteln Telefonate sicher mehr Persönliches als ein Chat und eine Video-Verbindung kann auch ohne direkten körperlichen Kontakt viel Nähe herstellen. Wenn solche Kontakte schwierig oder unmöglich sind, kann helfen, sich mit denen, die fehlen, gedanklich zu beschäftigen, alte Bilder und Videos anzuschauen oder Briefe zu schreiben.
Was raten Sie zum Umgang mit den sozialen Medien, gibt es hier etwas Besonderes zu beachten?
Pollmächer: Wie der Name schon sagt, eignen sich die sozialen Medien gut, um soziale Kontakte zu pflegen. Sie dienen dem Austausch, schaffen Verständnis unter- und füreinander. Weit weniger geeignet sind sie als Informationsquelle, im Gegenteil, die sozialen Medien sind eine schlimmere Gerüchteküche als jeder Flurfunk. Das macht sie gerade in Zeiten wie der aktuellen Corona-Pandemie brandgefährlich. Gerüchte sind ja niemals dazu geeignet, Ängste und Befürchtungen zu dämpfen, sie befeuern sie nahezu immer. Deshalb sollte man die sozialen Medien zur zwischenmenschlichen Kommunikation nutzen und sich auf anderen, seriösen Wegen sachlich informieren. Es gilt die Faustregel: ein bis zwei seriöse journalistische Medien, ein bis zwei Mal am Tag.
Was hilft, allgemein gesprochen, gegen Frust? Oft liest man derzeit, man solle positiv denken. Aber das ist manchmal leichter gesagt als getan.
Pollmächer: In der Tat ist positiv denken nicht immer leicht. Aber der Mensch hat tatsächlich Einfluss auf seine eigenen Gedanken, und diesen Einfluss sollte er gerade in der aktuellen Situation auch nutzen. Das fängt damit an, sich nur sehr dosiert frustrierenden Informationen auszusetzen. Also nur einmal täglich nachschauen, wie viele neue Infizierte es gibt, nicht zehn Mal. Der zweite Tipp: Angenehmen Beschäftigungen nachgehen, diese induzieren nämlich auch angenehme Gedanken. Musik, die Sie mögen, ein Buch, ein Spaziergang in der Sonne –all das bringt uns auf andere Gedanken und mindert den Frust.
Noch einmal schwerer lastet die derzeitige Situation auf Menschen mit Depressionen. Warum?
Pollmächer: Es ist geradezu charakteristisch für Depressive, dass sie Probleme schwerer nehmen als andere, dass sie nicht das halb volle, sondern das halb leere Glas sehen. Dass sie fürchten, es komme besonders schlimm. Und oft auch, dass sie dazu neigen, sich selbst die Schuld daran zu geben, wenn etwas Schlimmes passiert. Außerdem leiden diese Menschen noch mehr als andere unter der Isolation und sind oft nur sehr eingeschränkt in der Lage, aktiv etwas gegen die Einsamkeit zu tun. Gleichzeitig sind ambulante Hilfsangebote für diese Menschen aktuell auf ein Minimum reduziert, sodass einige von ihnen mit ihren Ängsten alleine und wirklich in Gefahr sind. Hilfreich ist da, dass es auch jetzt weiterhin den Krisendienst gibt.
Wie lässt sich mit Ängsten umgehen, die in der aktuellen Situation entstehen?
Pollmächer: Zunächst sollten wir uns klarmachen, und das auch zugeben, dass wir in der aktuellen Situation alle Angst haben. Auch die, die am lautesten tönen, sie hätten keine Angst. Denn Angst zu leugnen, ist einer der einfachsten Mechanismen, mit ihr umzugehen. Aber nicht der beste. Besser als Ängste zu leugnen ist, sie sich selbst und anderen einzugestehen. Schon darüber reden hilft. Und was darüber hinaus hilft, ist sorgfältige und objektive Information.
Was können Angehörige, eventuell auch aus der Ferne, tun?
Pollmächer: Angehörige oder andere Menschen, die jemandem nahestehen, der schwer mit der aktuellen Situation zurechtkommt, können eine ganze Menge tun. Sie können zunächst einfach zuhören und Ängste akzeptieren, statt sie als unnötig abtun. Sie können zum Beispiel auch dabei helfen, objektive Informationen zu besorgen. Wenn all das nichts hilft, können Angehörige auch helfen, Hilfe zu finden – und sie sollten das auch tun.
Die deutsche Depressionshilfe bietet auf ihrer Internet-Seite das kostenlose "iFightDepression"-Tool an. Wie beurteilen Sie diese Hilfe?
Pollmächer: 'IfightDepression' ist eine sinnvolle Unterstützung für Menschen, bei denen ärztlicherseits eine leichte Depression diagnostiziert wurde. Es muss aber betont werden, dass unklar ist, inwieweit Mitbürger ohne ärztliche Begleitung davon wirklich profitieren. Ausgeprägte Traurigkeit, Antriebsstörungen, schwere Schlafstörungen oder gar lebensmüde Gedanken sollten aber immer Anlass sein, eine Arzt zu konsultieren und kein Online-Tool.
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Wer therapeutische Hilfe sucht, kann sich an die Experten im Zentrum für psychische Gesundheit im Klinikum Ingolstadt wenden: Termin-Vereinbarungen sind Montag bis Freitag von 8 bis 16 Uhr unter der Rufnummer (08 41) 88 0- 22 43 möglich. Soforthilfe leistet der Krisendienst Psychiatrie unter der Telefonnummer (01 80) 6 55 30 0-0.