NGG moniert den "Anreiz zur Akkord-Arbeit" und sieht auch den Arbeits-Schutz nicht ernst genug genommen.
(ty) "Fahrrad-Kuriere im Corona-Stress", heißt es von der Gewerkschaft "Nahrung, Genuss, Gaststätten" (NGG). Sie hat jetzt die Arbeitsbedingungen beim Essens-Lieferdienst "Lieferando" kritisiert. "In Zeiten geschlossener Restaurants bestellen immer mehr Menschen auch im Landkreis Pfaffenhofen ihr Essen im Internet. Das führt zu glänzenden Geschäften beim Marktführer Lieferando. Aber die Fahrerinnen und Fahrer, die bei jedem Wetter unterwegs sind, arbeiten zu Niedriglöhnen und teils am Rand der Belastungsgrenze", moniert Rainer Reißfelder, der als Geschäftsführer der NGG-Region Oberpfalz auch für das nördliche Oberbayern zuständig ist.
Die Gewerkschaft kritisiert insbesondere den "Anreiz zur Akkord-Arbeit". Um über den Einstiegs-Verdienst von nur zehn Euro pro Stunde hinauszukommen, müssten die Beschäftigten möglichst viele Bestellungen in möglichst kurzer Zeit ausliefern. Ab der 25. Bestellung zahle Lieferando einen Zuschlag von 25 Cent pro Order, ab dem 100. Auftrag gebe es einen Euro mehr, zwei Euro kämen ab der 200. Bestellung dazu. "Dieses System führt zu großem Stress bei den Fahrern, denen jede rote Ampel wertvolle Zeit kostet. Um schnell voranzukommen, setzen sie häufig ihre Gesundheit aufs Spiel", weiß Reißfelder. "Und ein Großteil profitiert gar nicht von den Zuschlägen, weil sie in Mini-Jobs oder Teilzeit-Verträgen arbeiten."
Außerdem werde der Arbeitsschutz – nach Beobachtung der NGG – nicht ernst genug genommen. Die von "Lieferando" gestellten E-Bikes seien häufig nicht richtig gewartet und nur bedingt verkehrssicher. "Und wer mit dem eigenen Fahrrad unterwegs ist, muss für die Reparaturen meist selbst aufkommen", kritisiert Reißfelder. Zudem setzten sich die Kuriere beim Abliefern der Bestellung vor der Wohnungstür einer erhöhten Corona-Infektions-Gefahr aus. "Nach der neuen Corona-Testverordnung in Betrieben muss Lieferando seinen Fahrerinnen und Fahrern zwei kostenlose Corona-Tests pro Woche anbieten, weil sie viel Kundenkontakt haben", erklärt die Gewerkschaft. Nach Beobachtung der NGG seien die Test-Angebote des Anbieters "bislang aber unzureichend".
Es könne nicht sein, dass Essens-Lieferdienste, die zu den Gewinnern der Corona-Krise gehörten, ihre Geschäfte auf dem Rücken der Beschäftigten machten. "Lieferando muss sich endlich zu fairen Löhnen und besseren Arbeits-Bedingungen bekennen. Das Unternehmen darf der Gründung von Betriebsräten nicht länger Steine in den Weg legen", sagt Reißfelder "mit Blick auf bisherige Versuche des Anbieters, die Wahl von Arbeitnehmer-Vertretungen zu verhindern". An die Beschäftigten appelliert der Gewerkschafter, Rat bei der NGG zu suchen. Je mehr Fahrerinnen und Fahrer sich für ihre Belange einsetzten, desto schneller könnten tarifliche Standards für die Lieferbranche ausgehandelt werden.
Zudem sollten Beschäftigte nach Dafürhalten der NGG ihre Lohn-Abrechnungen genau prüfen. Nach Gewerkschafts-Informationen passiere es immer wieder, dass Zahlungen zu spät kämen oder sogar ausblieben. Auch die häufig ausfallende Online-Funktion für Trinkgelder, auf die Beschäftigte wegen der niedrigen Löhne angewiesen seien, sorge für Probleme. "Für die Fahrer kommt es auf jeden Euro an. Im Ernstfall sollten sie sich von der NGG beraten lassen", rät Reißfelder. Für Gewerkschafts-Mitglieder sei ein Lohn-Check kostenlos.
Nach dem Verschwinden von Marken wie Lieferheld, Foodora, Deliveroo und pizza.de gilt Lieferando laut NGG unter den Online-Essens-Bestell-Diensten in Deutschland als unangefochtener Marktführer. Im vergangenen Jahr sei der Umsatz des Mutterkonzerns "Just Eat Takeaway" nach Unternehmens-Angaben um 54 Prozent auf 2,4 Milliarden Euro gestiegen. "Das Unternehmen steht immer wieder im Zusammenhang mit prekären Arbeits-Bedingungen in der Kritik", so die NGG. "Gastronomen, die wegen der Corona-Beschränkungen nur außer Haus verkaufen können, kritisieren die hohen Provisionen von bis zu 30 Prozent des Umsatzes."