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Das ist die zentrale Frage im Berufungsprozess gegen Albert Müller, den Ex-Bürgermeister von Scheyern – die Verhandlung vor dem Münchner Landgericht wird am 17. September fortgesetzt

Von Tobias Zell 

Die Antwort auf die Frage, ob man Frauen ungestraft unter den Rock fotografieren darf, ist vertagt. Das Münchner Landgericht hat heute im Berufungsprozess gegen den ehemaligen Scheyerner Bürgermeister Albert Müller (56) noch kein Urteil gesprochen; die Verhandlung wird am 17. September um 9 Uhr fortgesetzt. Dann sollen weitere Zeugen und das Opfer zu Wort kommen. Und dann ist wohl auch mit einem Urteil in dem Aufsehen erregenden Prozess zu erwarten.

Mit der Verurteilung von Albert Müller zu einer Geldstrafe in Höhe von 5250 Euro war am 11. März die Verhandlung vor dem Münchner Amtsgericht zu Ende gegangen. Doch erledigt war der Fall damit nicht. Denn gegen dieses Urteil hatten sowohl Müllers Verteidigerin Regina Rick als auch die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel eingelegt, weshalb es nun heute Nachmittag vor dem Landgericht in die nächste Instanz ging. 

Müller war damals vom Amtsgericht wegen Beleidigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 75 Tagessätzen zu jeweils 70 Euro verurteilt worden. Damit hatte das Amtsgericht exakt die Höhe der Geldstrafe bestätigt, die auch der von der Staatsanwaltschaft erwirkte Strafbefehl vorgesehen hatte – den Müller aber nicht akzeptierte, weshalb der Fall vor Gericht landete. Mit dem Urteil aber waren letztlich beide Seiten nicht zufrieden: Der Staatsanwaltschaft, die 90 Tagessätze gefordert hatte, war die verhängte Geldstrafe zu niedrig und Müllers Anwältin hatte ohnehin auf Freispruch plädiert. Ihr Mandant sei für etwas verurteilt worden, was nicht strafbar sei, sagte sie.

Müller im Gespräch mit seiner Verteidigerin Regina Rick.

Albert Müller hat im Sommer vergangenen Jahres auf einer Rolltreppe am Münchner Stachus Frauen mit einer Digitalkamera unter den Rock gefilmt beziehungsweise fotografiert. Auf der Speicherkarte seiner von der Polizei sichergestellten Kamera fanden sich 99 entsprechende Bilder und 27 Videos, wie damals vor dem Amtsgericht vorgetragen wurde. Heute war das am Landgericht noch kein Thema. Der IT-Fachmann der Forensik soll am 17. September gehört werden. Von ihm will der Staatsanwalt dann wissen, was sich so alles auf der Speicherkarte gefunden hat und wann die Aufnahmen entstanden sind. Davon erhofft sich der Staatsanwalt genauere Erkenntnisse darüber, was Müller getrieben hat, bevor er gefasst wurde.

Ein Zeitungsverkäufer hatte Müller am Stachus bei seinem voyeuristischen Treiben beobachtet und die Polizei verständigt, die ihn dann auch auf frischer Tat ertappte und mitnahm. Wie sich das alles an jenem 20. Juni 2013 abgespielt hat, das berichteten heute drei als Zeugen geladene Polizeibeamte, die bei dem Einsatz dabei waren. Im Wesentlichen schilderten sie noch einmal das, was sie auch bei der Verhandlung vor dem Amtsgericht bereits ausgesagt hatten. Allerdings wurde auch deutlich, dass nach über einem Jahr die Erinnerungen verblassen. Denn das eine oder andere Detail, nach dem die Richterin oder Müllers Verteidigerin heute fragten, hatten die Polizisten nicht mehr parat.

Abgespielt hat sich den Zeugenaussagen zufolge die Sache so: Durch eine gute Personenbeschreibung, die den angerückten Beamten vorlag, hatten sie Albert Müller schnell ausgemacht und konnten ihn dann ja auch direkt „in Aktion“ erleben. Er sei auf der Rolltreppe „auffällig nahe“ bei der jungen Frau gestanden, also praktisch eine Stufe hinter ihr. In der rechten Hand die Kamera, in der linken einen Stoffbeutel, offenbar um den Fotoapparat zu verdecken. Als die junge Frau dann, oben angekommen, den Schritt von der Rolltreppe auf den festen Boden machte, soll sich Müller richtig nach unten gebeugt und den rechten Arm nach vorne gestreckt haben, um ihr die Kamera unter den Rock oder das Kleid zu halten.

Das Opfer selbst hat von der ganzen Aktion nichts mitbekommen. Die junge Frau wurde von einem der Polizisten aufgehalten und informiert. „Angewidert“ sei sie gewesen, als sie erfahren hatte, was passiert ist, formulierte es heute einer der Beamten. „Aufgebracht, empört, angeekelt.“ Noch vor Ort habe sie den Strafantrag unterschrieben. Ein Foto hatte Müller in diesem Fall aber offenbar nicht gemacht. Die Verhandlung im März vor dem Amtsgericht hatte bereits ergeben, dass keines der Bilder dem Opfer zugeordnet werden konnte; auch die Frau selbst gab das an. 

Das Medieninteresse an der Verhandlung war heute groß – Müller versuchte den Fotografen zu entgehen, in dem er ihnen den Rücken zudrehte.

Müller wurde jedenfalls nach der Kamera-Attacke gestellt. Nun soll er sich den Zivilbeamten widersetzt, sich losgerissen haben. Er habe unkontrolliert um sich geschlagen, wurde berichtet. Einer der Polizisten wurde dabei von Müllers Ellenbogen getroffen, trug eine Rippenprellung davon. Der verletzte Beamte konnte nach eigenen Angaben drei, vier Wochen keinen Sport machen, hatte Beschwerden beim Atmen, musste Schmerztabletten nehmen. Seine Arbeit konnte er aber weiter verrichten, sagte er, auch im Außendienst. Er hat inzwischen auf zivilem Wege 300 Euro Schmerzensgeld von Müller erhalten.

Als Müller am Stachus von den Beamten angesprochen und gefasst wurde, soll er auch die Kamera fallen gelassen beziehungsweise weggeworfen haben. Dann soll er mit dem Fuß auf oder gegen sie getreten haben. Hier gehen die Schilderungen auseinander. Er habe den Fotoapparat etwa fünf Meter weggetreten, hieß es. Dann war die Rede davon, dass er auf das Gerät trat oder treten wollte. 

Letztlich wurde Müller jedenfalls von den Zivilpolizisten zu Boden gebracht, bekam Handschellen angelegt. Ab diesem Zeitpunkt sei er dann ruhig und kooperativ gewesen; wurde zur Wache gebracht. Auf der Inspektion sei er „nervös“ und „ziemlich fertig“ gewesen, berichteten die Beamten. Er habe gesagt, dass er Bürgermeister von Scheyern sei, und um Diskretion gebeten. Er wolle nicht, dass die Presse von dem Vorfall erfährt. Denn da sei schon mal etwas gewesen, soll er gesagt haben. Bekanntlich ist es nicht das erste Mal, dass sich Müller mit Spanner-Vorwürfen konfrontiert sieht. 

Damals, im Jahr 2009 wurde ihm vorgehalten, sich in der Damentoilette auf einem Parkplatz an der A9 bei Paunzhausen als Spanner verdingt zu haben. Verkleidet mit einer blonden Perücke soll er mit Hilfe eines Spiegels versucht haben, in eine WC-Kabine zu spähen. Das angebliche Opfer, eine 26-jährige russische Studentin, soll daraufhin schreiend aus dem Toiletten-Gebäude gelaufen sein. Ihre beiden Begleiter haben sich, so hieß es weiter, das Autokennzeichen des Unholds notiert – und das führte die Beamten zu Alfred Müller. Bei ihm zu Hause, wo die Polizisten wenig später vorstellig wurden, fand man eine Videokamera sowie offenbar heimlich gemachte Aufnahmen von einer spärlich bekleideten Frau. 

Müller indes hatte für alles eine Erklärung: Auf dem Rastplatz gewesen zu sein, bestritt er ohnehin nie. Aber nicht er sei auf dem Frauen-Klo gewesen, sondern eine Anhalterin, die er mitgenommen habe. Ausfindig gemacht wurde die allerdings ebenso wenig wie die russische Studentin, die das Opfer der Spanner-Attacke gewesen sein soll. Dass Zeugen aussagten, die blonde Person – ihrer Meinung nach ein Mann mit Perücke – sei nach dem Vorfall ins Auto gestiegen und weggefahren, begründete Müller sinngemäß so: Ihm sei es an dem Tag nicht so gut gegangen, deshalb habe er die Anhalterin ans Steuer seines Wagens gelassen und sich selbst auf die Rückbank zurückgezogen. Die Aufnahmen auf der Videokamera erklärte Müller einmal damit, dass er das Gerät seinem inzwischen gestorbenen Bruder geliehen habe. Ein anderes Mal teilte er mit, er habe die Kamera einem Bekannten geborgt. 

Am 17. September wird die Verhandlung vor dem Landgericht München fortgesetzt.

Die Ermittlungen gegen Müller wurden damals in beiden Fällen eingestellt. Dass er das pikante Video gemacht habe, war ihm nicht zweifelsfrei nachzuweisen. Und auch die angebliche Spanner-Aktion im Autobahn-WC blieb ohne Folgen. Die Staatsanwaltschaft fand keinen Straftatbestand, den sie hätte verfolgen können – einen Spanner-Paragrafen gibt es nicht. Strafrechtlich war der Fall damit erledigt. Nicht aber dienstrechtlich. Denn die Landesanwaltschaft als oberste Disziplinarbehörde für Beamte bewertete die Lage anders: Die Disziplinarkammer am Verwaltungsgericht befand Müller für schuldig und brummte ihm drei Jahre lang eine Gehaltskürzung von 20 Prozent auf. Doch Müller zog vor den Verwaltungsgerichtshof – und bekam Recht. „Die Geschichte mit der Anhalterin wirkt konstruiert“, so der Richter, aber es sei nicht „völlig ausgeschlossen“, dass sie stimme. Und dass es, wie Müller behauptete, sein inzwischen gestorbener Bruder gewesen sei, der das besagte Filmchen gedreht habe, sei auch nicht widerlegbar. Die Gehaltskürzung war damit – im Zweifel für den Angeklagten – vom Tisch.

Zurück zur heutigen Verhandlung am Landgericht. Müller selbst äußerte sich nicht zur Sache, gab lediglich seine Personalien an. Rentner sei er, sagte der 56-Jährige. Gelernter Bäcker, Landwirt und Forstwirt. Er wirkte mitgenommen, verfolgte die Verhandlung nahezu regungslos. Nur ab und zu ein Kopfschütteln oder ein Flüstern in Richtung seiner Anwältin. Die neuerlichen Vorwürfe haben ihn seinen Posten als Bürgermeister gekostet. Er wurde von der Landesanwaltschaft vorläufig seines Amtes enthoben – das Verfahren liegt vorerst auf Eis, man will die strafrechtliche Dimension abwarten. Von seiner Wählergruppe wurde Müller nicht mehr als Bürgermeisterkandidat nominiert; inzwischen gibt es einen neuen Rathauschef in Scheyern.

Auf Bitten von Müllers Verteidigerin Regina Rick gab es heute eine Unterbrechung der Sitzung, in der ein so genanntes Rechtsgespräch zwischen Richterin, Staatsanwalt und Anwältin geführt wurde. Das Ziel: Abklären, ob eine Verständigung in Betracht kommen könnte. Rick fragte konkret an, ob eine Einstellung des Vorwurfs der Beleidigung vorstellbar wäre. Der bezieht sich in diesem Fall auf das Unter-den-Rock-Fotografieren. 

Denn es geht bei diesem Fall um die ebenso spannende wie zentrale Frage, ob es für das, was Müller getan hat – und was ja auch nicht bestritten wird –, einen Straftatbestand gibt, auf dessen Basis man ihn strafrechtlich belangen kann. Verteidigerin Rick sagt: Nein. Und hat bereits mehrfach auf ein entsprechendes Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg in einem nahezu identisch gelagerten Fall hingewiesen. Der Beleidigungs-Paragraf darf ihrer Meinung nach kein „Auffang-Tatbestand“ sein. Es geht also hier nicht um die moralische Bewertung, ob es sich gehört, Frauen unter den Rock zu fotografieren, sondern um die formaljuristische Frage: Auf Basis welches Paragrafen kann man jemandem, der so etwas tut, belangen?

Den Vorwurf der Beleidigung wollte aber der Staatsanwalt nicht fallen lassen. Er stellte stattdessen eine gegenseitige Rücknahme der Berufung zur Diskussion. Damit würde dann das Urteil des Amtsgerichts gelten. Das allerdings kam für Müllers Verteidigerin nicht in Betracht. In dem Gespräch wurde auch die Rechtslage erörtert. Die Vorsitzende Richterin wies dabei auch auf das besagte Urteil des OLG Nürnberg aus dem Jahr 2010 sowie auf weitere, frühere BGH-Entscheidungen hin. Möglicherweise ist das bereits ein erster Fingerzeig, in welche Richtung das Urteil gehen könnte. 

Jedenfalls werden nun am 17. September ab 9 Uhr in Raum A208 des Landgerichts München bei dem heute festgelegten Fortsetzungstermin weitere Zeugen gehört. Darunter das Opfer und ein IT-Experte. Verteidigerin Rick wies noch auf die in diesem Fall „weit über das gewöhnliche Maß hinausgehende“ Medienberichterstattung hin, belegte das durch eine Auflistung und bat, dies bei der möglichen Strafzumessung zu berücksichtigen. Am 17. September wird dann höchstwahrscheinlich das Urteil gesprochen. Und just an diesem Tag feiert Albert Müller seinen 57. Geburtstag.


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