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Spanner-Prozess geht weiter: Albert Müller, der ehemalige Bürgermeister von Scheyern, soll Frauen unter den Rock fotografiert haben. Aber ist das strafbar? Morgen ist mit dem Urteil zu rechnen.

(zel) Ob Albert Müller, der ehemalige Bürgermeister von Scheyern, am Ende aufatmen darf, steht noch in den Sternen. Jedenfalls wird der Berufungsprozess gegen ihn vor dem Münchner Landgericht morgen fortgesetzt. Die Verhandlung beginnt um 9 Uhr, mit einem Urteil ist im Laufe des Tages zu rechnen. Im Grunde geht es um die Frage, ob man Frauen ungestraft unter den Rock fotografieren darf. Juristisch gesehen lauten die Vorwürfe auf Beleidigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung. Ein Freispruch von den Spanner-Vorwürfen wäre wohl Müllers größtes Geschenk – denn er feiert morgen seinen 57. Geburtstag.

Mit der Verurteilung von Müller zu einer Geldstrafe in Höhe von 5250 Euro war am 11. März die Verhandlung vor dem Münchner Amtsgericht zu Ende gegangen. Erledigt war der Fall damit bekanntlich nicht. Denn gegen dieses Urteil hatten sowohl Müllers Verteidigerin Regina Rick als auch die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel eingelegt, weshalb es nun vor dem Landgericht in die nächste Instanz geht. Am 28. August war der erste Verhandlungstag, morgen nun wird der Prozess fortgesetzt.

Müller war vom Amtsgericht wegen Beleidigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 75 Tagessätzen zu jeweils 70 Euro verurteilt worden. Damit hatte das Amtsgericht exakt die Höhe der Geldstrafe bestätigt, die auch der von der Staatsanwaltschaft erwirkte Strafbefehl vorgesehen hatte – den Müller aber nicht akzeptiert hatte, weshalb der Fall vor Gericht ging. Mit dem Amtsgerichts-Urteil aber waren letztlich beide Seiten nicht zufrieden: Der Staatsanwaltschaft, die 90 Tagessätze gefordert hatte, war die verhängte Geldstrafe zu niedrig und Müllers Anwältin hatte ohnehin auf Freispruch plädiert. Ihr Mandant sei für etwas verurteilt worden, was nicht strafbar sei, sagte sie.

Albert Müller hat im Sommer vergangenen Jahres auf einer Rolltreppe am Münchner Stachus Frauen mit einer Digitalkamera unter den Rock gefilmt beziehungsweise fotografiert. Auf der Speicherkarte seiner von der Polizei sichergestellten Kamera fanden sich 99 entsprechende Bilder und 27 Videos. Über die Daten auf dem Chip soll es morgen unter anderem gehen. Dann soll auch ein IT-Fachmann der Forensik gehört werden. Von ihm will der Staatsanwalt dann  – das deutete er bereits am 28. August an – wissen, was sich so alles auf der Speicherkarte befunden hat und wann die Aufnahmen entstanden sind. Davon erhofft sich der Anklagevertreter genauere Erkenntnisse darüber, was Müller getrieben hat, bevor die Polizei anrückte und ihn mitnahm.

Albert Müller mit seiner Verteidigerin Regina Rick.

Ein Zeitungsverkäufer hatte Müller am Stachus bei seinem voyeuristischen Treiben beobachtet und die Polizei verständigt, die ihn dann auch auf frischer Tat ertappte und festnahm. Wie sich das alles an jenem 20. Juni 2013 abgespielt hatte, das berichteten am ersten Prozesstag vor dem Landgericht drei als Zeugen geladene Polizeibeamte, die bei dem Einsatz dabei waren. Im Wesentlichen schilderten sie noch einmal, was sie auch vor dem Amtsgericht bereits ausgesagt hatten. Allerdings wurde auch deutlich, dass nach über einem Jahr die Erinnerungen zum Teil verblassen. Denn das eine oder andere Detail, nach dem die Richterin oder Müllers Verteidigerin nun fragten, hatten die Polizisten nicht mehr parat.

Abgespielt hat sich den Zeugenaussagen zufolge der Fall so: Durch eine gute Personenbeschreibung, die den angerückten Beamten vorlag, hatten sie Müller schnell ausgemacht und konnten ihn dann auch direkt „in Aktion“ beobachten. Er sei auf der Rolltreppe „auffällig nahe“ bei der jungen Frau gestanden, also praktisch eine Stufe hinter ihr. In der rechten Hand die Kamera, in der linken einen Stoffbeutel, offenbar um den Fotoapparat zu verdecken. Als die junge Frau dann, oben angekommen, den Schritt von der Rolltreppe auf den festen Boden machte, soll sich Müller richtig nach unten gebeugt und den rechten Arm nach vorne gestreckt haben, um ihr die Kamera unter den Rock oder das Kleid zu halten.

Das Opfer selbst hat davon nichts mitbekommen. Die junge Frau wurde erst von einem der Polizisten, der ihr nachging, aufgehalten und informiert. „Angewidert“ sei sie gewesen, als sie erfahren hatte, was passiert war, sagte einer der Beamten. Noch vor Ort habe sie den Strafantrag unterschrieben. Ein Foto hatte Müller im konkreten Fall aber offenbar nicht gemacht. Die Verhandlung im März vor dem Amtsgericht hatte ergeben, dass keines der Bilder dem Opfer zugeordnet werden konnte; auch die Frau selbst gab das an. Die junge Frau soll nun morgen vor dem Landgericht befragt werden.

Albert Müller im Gerichtssaal. Er will nicht fotografiert werden; dreht den Journalisten den Rücken zu.

Müller wurde jedenfalls nach der Kamera-Attacke gestellt. Nun soll er sich den Zivilbeamten widersetzt, sich losgerissen haben. Er habe unkontrolliert um sich geschlagen, wurde berichtet. Einer der Polizisten wurde dabei von Müllers Ellenbogen getroffen, trug eine Rippenprellung davon. Der verletzte Beamte konnte nach eigenen Angaben drei, vier Wochen keinen Sport machen, hatte Beschwerden beim Atmen, musste Schmerztabletten nehmen. Seine Arbeit konnte er aber weiter verrichten, sagte er. Der Polizist hat inzwischen auf zivilem Wege auch 300 Euro Schmerzensgeld von Müller erhalten.

Als Müller am Stachus von den Beamten angesprochen und gefasst wurde, soll er auch die Kamera fallenlassen beziehungsweise weggeworfen haben. Dann soll er mit dem Fuß auf oder gegen sie getreten haben. Hier gehen die Schilderungen der Polizisten auseinander. Er habe den Fotoapparat etwa fünf Meter weggetreten, hieß es. Dann war die Rede davon, dass er auf das Gerät trat oder treten wollte. 

Letztlich wurde Müller jedenfalls von den Zivilpolizisten zu Boden gebracht, bekam Handschellen angelegt. Ab diesem Zeitpunkt sei er dann ruhig und kooperativ gewesen, wurde mit zur Wache genommen. Auf der Inspektion sei er „nervös“ und „ziemlich fertig“ gewesen, berichteten die Beamten. Er habe gesagt, dass er Bürgermeister von Scheyern sei, und um Diskretion gebeten. Er wolle nicht, dass die Presse von dem Vorfall erfährt. Denn da sei schon mal etwas gewesen, soll er gesagt haben. Bekanntlich ist es nicht das erste Mal, dass sich Müller mit Spanner-Vorwürfen konfrontiert sieht. 

Erinnerungen an 2009

Damals, im Jahr 2009, wurde ihm vorgehalten, sich in der Damentoilette auf einem Parkplatz an der A9 bei Paunzhausen als Spanner verdingt zu haben. Verkleidet mit einer blonden Perücke soll er mit Hilfe eines Spiegels versucht haben, in eine WC-Kabine zu spähen. Das angebliche Opfer, eine 26-jährige russische Studentin, soll daraufhin schreiend aus dem Toiletten-Gebäude gelaufen sein. Ihre beiden Begleiter haben sich, so hieß es, das Autokennzeichen des Unholds notiert – und das führte die Beamten zu Albert Müller. Bei ihm zu Hause, wo die Polizisten wenig später vorstellig wurden, fand man eine Videokamera sowie offenbar heimlich gemachte Aufnahmen von einer spärlich bekleideten Frau. 

Müller indes hatte für alles eine Erklärung: Auf dem Rastplatz gewesen zu sein, bestritt er ohnehin nie. Aber nicht er sei auf dem Frauen-Klo gewesen, sondern eine Anhalterin, die er mitgenommen habe. Ausfindig gemacht wurde die allerdings ebenso wenig wie die russische Studentin, die das Opfer der Spanner-Attacke gewesen sein soll. Dass Zeugen aussagten, die blonde Person – ihrer Meinung nach ein Mann mit Perücke – sei nach dem Vorfall ins Auto gestiegen und weggefahren, begründete Müller sinngemäß so: Ihm sei es an dem Tag nicht so gut gegangen, deshalb habe er die Anhalterin ans Steuer seines Wagens gelassen und sich selbst auf die Rückbank zurückgezogen. Die Aufnahmen auf der Videokamera erklärte Müller einmal damit, dass er das Gerät seinem inzwischen gestorbenen Bruder geliehen habe. Ein anderes Mal teilte er mit, er habe die Kamera einem Bekannten geborgt. 

Die Ermittlungen gegen Müller wurden seinerzeit in beiden Fällen eingestellt. Dass er das pikante Video gemacht habe, war ihm nicht zweifelsfrei nachzuweisen. Und auch die angebliche Spanner-Aktion im Autobahn-WC blieb ohne Folgen. Die Staatsanwaltschaft fand keinen Straftatbestand, den sie hätte verfolgen können – einen Spanner-Paragrafen gibt es ja nicht. Strafrechtlich war der Fall damit erledigt. Nicht aber dienstrechtlich. Denn die Landesanwaltschaft als oberste Disziplinarbehörde für Beamte bewertete die Lage anders: Die Disziplinarkammer am Verwaltungsgericht befand Müller für schuldig und brummte ihm drei Jahre lang eine Gehaltskürzung von 20 Prozent auf. Doch Müller zog vor den Verwaltungsgerichtshof – und bekam Recht. „Die Geschichte mit der Anhalterin wirkt konstruiert“, so der Richter, aber es sei nicht „völlig ausgeschlossen“, dass sie stimme. Und dass es, wie Müller behauptete, sein inzwischen gestorbener Bruder gewesen sei, der das besagte Filmchen gedreht habe, sei auch nicht widerlegbar. Die Gehaltskürzung war damit – im Zweifel für den Angeklagten – vom Tisch.

Bisher schwieg Müller

Zurück zur aktuellen Verhandlung am Landgericht. Müller selbst äußerte sich am ersten Tag des Berufungsprozesses nicht zur Sache, gab lediglich seine Personalien an. Rentner sei er, sagte der 56-Jährige. Gelernter Bäcker, Landwirt und Forstwirt. Er wirkte mitgenommen, verfolgte die Verhandlung nahezu regungslos. Nur ab und zu ein Kopfschütteln oder ein Flüstern in Richtung seiner Anwältin. Die neuerlichen Vorwürfe haben ihn bekanntlich seinen Posten als Bürgermeister gekostet. Er wurde von der Landesanwaltschaft vorläufig seines Amtes enthoben – das Verfahren liegt vorerst auf Eis, man will den Ausgang des strafrechtlichen Verfahrens abwarten. Von seiner Wählergruppe wurde Müller nicht mehr als Bürgermeisterkandidat nominiert; inzwischen gibt es mit Manfred Sterz (FW) einen neuen Rathauschef in Scheyern. Müllers politische Karriere ist wohl dahin.

Auf Bitten von Müllers Verteidigerin Regina Rick gab es am 28. August eine Unterbrechung der Landgerichts-Verhandlung, in der ein so genanntes Rechtsgespräch zwischen Richterin, Staatsanwalt und Anwältin geführt wurde. Ziel: Abklären, ob eine Verständigung in Betracht kommen könnte. Rick fragte konkret an, ob eine Einstellung des Vorwurfs der Beleidigung vorstellbar wäre. Denn diese „Beleidigung“ bezieht sich auf das Unter-den-Rock-Fotografieren. 

Es geht ja hier um die ebenso spannende wie zentrale Frage, ob es für das, was Müller getan hat – und was ja auch nicht bestritten wird –, einen Tatbestand gibt, auf dessen Basis man ihn strafrechtlich belangen kann. Verteidigerin Rick sagt: Nein. Und hat bereits mehrfach auf ein entsprechendes Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg in einem nahezu identisch gelagerten Fall hingewiesen. Der Beleidigungs-Paragraf darf ihrer Meinung nach kein „Auffang-Tatbestand“ sein. Es geht hier ja auch nicht um die moralische Bewertung, ob es sich gehört, Frauen unter den Rock zu fotografieren, sondern um die rein juristische Frage: Auf Basis welches Paragrafen kann man jemanden, der so etwas tut, belangen?

Den zentralen Vorwurf der Beleidigung wollte der Staatsanwalt nicht fallen lassen. Er stellte stattdessen eine gegenseitige Rücknahme der Berufung zur Diskussion. Damit hätte das Urteil des Amtsgerichts Bestand. Das allerdings kam für Müllers Verteidigerin nicht in Betracht. In dem Rechtsgespräch wurde, wie berichtet, auch die Rechtslage erörtert. Die Vorsitzende Richterin wies dabei auf das besagte Urteil des OLG Nürnberg aus dem Jahr 2010 sowie auf weitere, frühere BGH-Entscheidungen hin. Möglicherweise ist das bereits ein erster Fingerzeig, in welche Richtung das Urteil gehen könnte. 

Jedenfalls werden morgen ab 9 Uhr, wenn im Raum A208 des Landgerichts der Prozess fortgesetzt wird, weitere Zeugen gehört. Darunter das angebliche Opfer der Spanner-Attacke sowie der IT-Experte, der über die Daten auf dem sichergestellten Chip berichtet, und ein weiterer Polizist. Morgen wird dann höchstwahrscheinlich auch das Urteil gesprochen. An Albert Müllers 57. Geburtstag.


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