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Erklärungsversuche und bittere Erkenntnisse: Schwimmwesten waren "absolut unüblich" und der Bootseigentümer wusste nicht, für wie viele Personen das Alu-Boot überhaupt ausgelegt war: Nach dem Unglück an Silvester vergangenen Jahres auf einem Weiher bei Geisenfeld, das zwei Menschenleben gekostet hat, stehen seit heute der Bootsführer und der Eigentümer vor Gericht. 

Von Tobias Zell

Ein kleines Boot mit fünf Menschen an Bord legte am Silvesternachmittag vergangenen Jahres vom Ufer eines Privatweihers bei Geisenfeld zu einer fatalen Überfahrt ab. Es wäre nur ein kurzer Trip gewesen, der zwei Frauen und zwei Männer zu Plattformen in dem Gewässer bringen sollte, um von dort aus Enten zu jagen. Doch es kam alles ganz anders. Zwei der Jäger bezahlten den Silvesterausflug mit ihrem Leben, noch ehe der erste Schuss fiel. Das Boot ging unter. Der Bootsführer und die zwei Frauen konnten sich aus dem eiskalten Wasser ans Ufer retten, den beiden Waidmännern brachte das Unglück den Tod.

Wie konnte das passieren? Warum sank das Boot? War das Unglück vermeidbar? War Fahrlässigkeit im Spiel? Und trifft den Bootsführer und/oder den Bootseigentümer eine Mitschuld am Tod der beiden Männer? Mit diesen Fragen befasst sich seit heute das Pfaffenhofener Amtsgericht. Zu verantworten haben sich der 37-jährige Bootsführer sowie der 69-jährige Boots- und Weiher-Eigentümer. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautet für beide Angeklagte gleich: fahrlässige Tötung in zwei Fällen sowie fahrlässige Gefährdung des Schiffsverkehrs.

Zu dem Prozess kommt es, weil die beiden Angeklagten einen von der Staatsanwaltschaft beantragten und vom Gericht erlassenen Strafbefehl über 120 Tagessätze nicht akzeptiert hatten. Mit der Annahme der Strafbefehle wären die beiden dem Prozess entgangen und die Sache wäre strafrechtlich für sie erledigt gewesen – allerdings wäre das praktisch einem Schuldeingeständnis gleichgekommen. Und: Ab 90 Tagessätzen kommt es zur Eintragung im Führungszeugnis.

Jedenfalls haben sowohl der Bootsführer als auch der Bootseigner Einspruch gegen die Strafbefehle eingelegt – und damit kommt es automatisch zum Prozess, der nun heute Nachmittag begann. Und in dem sich die Angeklagten, der 69-jährige Teichwirt Siegmund B. aus der Gemeinde Geisenfeld und der 37-jährige Fischereischulen-Betreiber Stefan H. aus der Gemeinde Obertraubling, heute zum Auftakt anhören mussten, was ihnen der Staatsanwalt zur Last legt. Der wertet den 22 Hektar umfassenden Weiher zunächst einmal eben nicht als Gewässer von untergeordneter wasserwirtschaftlicher Bedeutung, weshalb aus seiner Sicht zum Betrieb des Motorboots eine Genehmigung nötig gewesen und die Schifffahrtsordnung zu beachten gewesen wäre. Der Frage, ob dem tatsächlich so ist, wird in dem Prozess wohl noch eine hohe Bedeutung zukommen. 

 

Tage nach dem Unfall wurde die Leiche des vermissten 33-Jährigen aus dem Weiher geborgen. Das Boot wurde sichergestellt und von Gutachtern untersucht.

Doch es geht nicht bloß um die Einordnung des Weihers: Das knapp vier Meter lange und rund 1,20 Meter breite Alu-Boot mit Außenbordmotor war nach Ansicht des Staatsanwalts mit fünf Personen „erheblich überladen“ und „mangelhaft ausgestattet“. Er spricht von mangelnder Stabilität bereits beim Einstieg und wirft den Angeklagten „grobe Außerachtlassung“ von Sicherheitsvorschriften und „grob pflichtwidriges Verhalten“ vor. Niemand trug eine Schwimmweste, es befanden sich auch keine an Bord. Das Unglück, so der Staatsanwalt, sei „vorhersehbar und vermeidbar“ gewesen. Die beiden Angeklagten hätten fahrlässig gehandelt.

Das Boot legte gegen 13.45 Uhr ab – und sank kurz darauf. Die beiden damals 27 und 53 Jahre alten Frauen sowie der Bootsführer konnten sich ans Ufer retten. Der 70-jährige Jäger wurde vom zur Hilfe geeilten Teichgut-Besitzer mit Hilfe eines zweiten Boots aus dem Weiher gezogen und an Land gebracht, nach der Reanimation in eine Klinik geflogen, schwebte tagelang in Lebensgefahr und starb schließlich. Die Leiche des nach dem Unglück vermissten 33-jährigen Jägers wurde Tage später im Rahmen einer groß angelegten Suchaktion von Polizeitauchern entdeckt und geborgen. Sein toter Körper lag 20 Meter vom Ufer entfernt in 1,70 Metern Tiefe, wie der Taucheinsatzleiter berichtete. Das Boot, das ebenfalls geborgen wurde, war in 57 Metern Entfernung zum Ufer untergegangen, nur noch ein Teil ragte aus dem Wasser.

„Ein schlimmes Unglück“, sagte der 37-jährige Bootsführer. Er hatte im Oktober vergangenen Jahres bei dem Teichgut-Besitzer eine Ausbildung zum Fischwirt begonnen. Inzwischen wurde das Arbeitsverhältnis – er wurde nach dem Unglück auch krank – aufgelöst. Kurzfristig sei er an jenem Tag zum Bootsführer gemacht worden, erzählte er dem Richter. Der eigentlich für diese Aufgabe vorgesehene Angestellte habe über Schmerzen geklagt und ihn zum Fahrer bestimmt. So übernahm der Azubi, der nach eigenen Angaben keinen Bootsführerschein, aber „ein wenig Erfahrung“ hat. Nachdem die vier Passagiere an der Anlege-Rampe ins Boot gestiegen waren, legte er ab, wendete das Boot und fuhr „im Schritttempo“ auf die erste Plattform, wie er berichtete.

Plötzlich habe es einen „kräftigen Ruck“ gegeben und daraufhin sei das Boot mit der Spitze ins Eiswasser eingetaucht, als ob eine große Hand das Boot nach unten gerissen hätte, so der 37-Jährige. „Halt!“, habe einer gerufen und der Bootsführer habe daraufhin das Gas weggenommen – dann seien auch schon alle im Wasser gewesen. „Ich kann nicht mehr“, habe einer der Männer ihm zugerufen. Der Bootsführer sei noch einige Zeit bei diesem geblieben, habe ihn dann aber „irgendwie verloren“ und sei nun den beiden Frauen ans Ufer nachgeschwommen. Der 37-Jährige glaubt indes nicht, dass das Boot wegen Überladung untergegangen ist. Wenn es überladen gewesen wäre, dann wäre es beim Wendevorgang nach dem Ablegen schon gesunken, meint er. Instabil sei das Boot nicht gewesen, „es lag wie in Brett auf dem Wasser“.

Allerdings räumte der Bootsführer einr, dass in dem Unglücksboot seines Wissens noch nie zuvor fünf Leute saßen. Und der Bootsbesitzer musste zugeben, dass er schlicht nicht wisse, für wie viele Personen das Boot überhaupt zugelassen ist. Da gebe es keine Papiere. Das sei ja schon ein „bisserl älteres Boot“ – aus der Zeit, als sein Vater noch den Teich bewirtschaftete, erklärte der 69-Jährige.

Der Bootsführer betonte jedoch, er habe keine Beschädigungen an dem Boot bemerkt. Er war auch kurz vor dem Einstieg der Passagiere noch damit über den Weiher gefahren, um das Eis zu brechen. Außerdem habe er das Boot mit einem Eimer ausgeschöpft.  Aber nicht wegen eines Lecks, versicherte er. In so einem Boot sei, etwa durch Regen, immer ein bisschen Wasser. Als die folgenreiche Fahrt begann, sei „vielleicht noch ein halber bis ein Zentimeter“ Wasser darin gewesen, „nicht der Rede wert“. Und während der Fahrt ist nach den Schilderungen des 37-Jährigen auch kein Wasser ins Boot gelangt – zumindest, bis es dann unterging.

Auf diesem Weiher geschah das Unglück; im Hintergrund die Einsatzfahrzeuge.

Für das Unglück hat der Bootsführer eine mögliche Erklärung: Das Festmachseil könnte sich irgendwo verhakt und so den Bug nach unten gezogen haben. Er habe darauf vertraut, dass das Seil im Boot liegt – wirklich gesehen habe er das aber nicht. Denn sein Augenmerk habe beim Einsteigen der Passagiere darauf gelegen, dass niemand mit einer geladenen Waffe an Bord kommt.

Eine Schwimmweste trug niemand. Und auch sonst sei das „absolut unüblich“, wie der Bootsführer berichtete. Im Boot befanden sich auch keine Rettungswesten. Aber, so der 37-Jährige, das hätte auch nichts gebracht, so schnell wie das Boot gesunken sei. „Wie, wenn ein U-Boot auf Tauchstation geht.“ Der Staatsanwalt interessierte sich in diesem Zusammenhang für die Ausbildungsinhalte, die der Azubi von seinem Lehrherrn, dem Teichbesitzer, vermittelt bekam – zumal der 37-Jährige von der Berufsschule befreit war. Er habe einen Jagdschein und einen Fischereischein und sei Diplom-Jurist, berichtete der Ex-Azubi. Der Staatsanwalt wollte auch wissen, wie es um die Vermittlungen von Inhalten zur Arbeitssicherheit und Unfallverhütung stand. Selbstbewusst entgegnete da der Ex-Azubi: Er wüsste nicht, dass es eine Pflicht zum Tragen von Schwimmwesten gebe – und würde auch gerne wissen, wo das denn steht. Der Staatsanwalt betonte, diese Pflicht gebe es sehr wohl, und schloss daraus, dass entsprechende Themen im Rahmen der Ausbildung offenbar nicht behandelt wurden. Der 37-Jährige wiederum betonte, er habe sich in dem Boot sicher gefühlt.

„Wir sind schon 1000 Mal mit dem Boot rausgefahren“, sagte der 69-jährige Teichgutbesitzer und Bootseigner, der auch betonte, dass er den Passagieren im Rahmen einer vor der Abfahrt erfolgten Sicherheitsunterweisung auch Schwimmwesten angeboten habe – daraufhin sei er belächelt worden. Er habe darauf hingewiesen, dass jeder für sich selbst verantwortlich sei, wie er heute vor Gericht mehrfach sagte. Der Azubi war nach eigenen Angaben bei dieser Unterweisung nicht durchgehend dabei, sagte aber: „Ich bilde mir ein, dass ich was von Schwimmesten gehört habe.“  Außerdem berichtete er, die Schwimmwesten hätten in einem Nebenraum gelegen und man hätte sich nur eine zu nehmen brauchen.

Der Boots- und Teichbesitzer gab an, er habe das Boot noch „wunderschön“ wegfahren sehen, da sei ihm auch bezüglich des Seils nichts aufgefallen. Dann habe er sich abgewandt und sei beschäftigt gewesen – als er wieder hingeschaut habe, seien alle schon im Wasser gewesen. Er schilderte auch, wie er mit dem Angestellten, der eigentlich das Boot hätte fahren sollen, ein zweites Boot geholt hat, damit hinausgefahren ist und den einen der beiden Jäger gerettet hat.

Ungefähr acht Boote gibt es auf dem Teichgut, so der Inhaber. Der Staatsanwalt verwies auf eine Zeugenaussage, wonach ein größeres Boot ein Leck hatte und deshalb nicht für den Transport der Jagdgesellschaft in Frage kam; normalerweise werde das größere Boot verwendet. Der Teichgut-Besitzer erklärte, dass das an jenem Tag benutzte Boot eben gerade vor Ort war und man ein anderes erst hätte holen müssen. Bezüglich der Unglücksursache ist auch er sich sicher: „Das war nicht wegen Überladung.“

Kann es aber nun sein, dass das Seil sich nicht im Boot befand, sondern im Wasser? Dass es während der Fahrt irgendwo hängenblieb und das Boot deshalb nach unten gezogen wurde? Diese wichtige Frage konnte nicht klar beantwortet werden. Die Taucher konnten jedenfalls im Rahmen der Bergung des Boots und auch bei der Suche und Bergung der Leiche sowie bei der Suche und Bergung der Gewehre der Jäger kein mögliches Hindernis im Umkreis entdecken, in dem sich das Seil verfangen haben könnte, berichtete der Taucheinsatzleiter der Bereitschaftspolizei Dachau. Auch mittels Sonartechnik habe man „kein größeres Objekt“ feststellen können, obwohl auf diese Weise durchaus Äste und Stämme ab Oberarm-Stärke registriert würden. Gescannt wurde per Sonar ein etwa 40 Meter Breiter Korridor zwischen Ablegestelle und Unglücksort – was einen der beiden Verteidiger zur Feststellung verleitete, man wisse ja gar nicht, ob das Boot hier gefahren sei. Und der angeklagte Teichbesitzer kritisierte, dass sich die Wasserschutzpolizei gar nicht genügend um die Aufklärung der Unglücksursache bemüht habe. Als er im Frühjahr Bescheid gesagt habe, dass nach dem Ablassen des Wassers nun die Möglichkeit bestehe, den Grund des Teichs in Augenschein zu nehmen, habe das die Wasserschutzpolizei „nicht interessiert“.

Und auch den gerichtlich vereidigten Gutachter griff der 69-Jährige von der Anklage-Bank aus verbal an: Der habe ja nicht einmal gesehen, dass das Boot Schwimmkammern habe. Das sorgte für Gelächter unter den Zuschauern und das wiederum für eine unmissverständliche Ansage des Richters: „Das ist hier kein Komödien-Stadl“, sagte er. Der Prozess sei nämlich gar nicht zum Lachen.

Ein Vertreter des Landratsamts Pfaffenhofen wurde zur rechtlichen Einordnung des Gewässers als Zeuge befragt. Teiche und Weiher könnten von den wasserrechtlichen und schifffahrtsrechtlichen Vorschriften befreit werden, wenn mehrere Bedingungen erfüllt seien, führte er aus. Doch er erklärte auch, dass es sich hier mit gut 20 Hektar weder um ein kleines Gewässer handle noch sei dieses von untergeordneter wasserwirtschaftlicher Bedeutung. Das reiche schon als Argument gegen eine solche Befreiung aus. Einer der Verteidiger verwies auf das Fischereirecht – doch der Beamte erklärte, das sei in diesem Zusammenhang unerheblich. Das Fischereirecht sei nämlich eine ganz andere Rechtsmaterie.

Ähnlich äußerte sich ein Vertreter des Wasserwirtschaftsamts Ingolstadt. Er schätzte den Weiher ebenfalls nicht als von untergeordneter Bedeutung ein – wegen der Größe, aber auch wegen seiner Hochwasser-Rückhaltefunktion und auch wegen der direkten Wirkung auf das umliegende Gewässer-System.

Der Prozess wird am 10. Dezember um 13 Uhr fortgesetzt. Dann wird es vermutlich auch noch einmal darum gehen, wo genau der eine Jäger vorne im dem Boot saß. Die zuständige Sachbearbeiterin der Kripo sagte nämlich heute aus, dass der Mann auf einem Blechversatz vorne am Bug hockte. Und damit steht auch die Frage im Raum, wie sich das möglicherweise ausgewirkt haben könnte. Der Gutachter sagte heute bereits: Durch die erhöhte Sitzposition eines Passagiers ändere sich zwangsläufig der Schwerpunkt der Schwerpunkt des Boots. Das sage auch nicht er, das sei schlicht Physik.


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