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Literarischer Zwischenfall in Pfaffenhofen: Die große Lesung des kleinen Lutz-Stipendiaten Marko Dinic, die nicht gleich verstanden werden wollte

Audio: Das große Spiel vom kleinen Ich – Dinic liest seinen Pfaffenhofen-Text

(ty/zel) Ein angeblich „von Literatur besessener“ junger Autor las da am Freitagabend vor rund 70 Zuhörern im Pfaffenhofener Rathaus-Festsaal: Marko Dinic, der diesjährige Lutz-Stipendiat der Stadt, wohnt drei Monate lang gratis im historischen Flaschlturm. Er arbeitet hier an seinem ersten Roman und hat – wie es die Regeln des Stipendiums verlangen –  auch einen Text über Pfaffenhofen verfasst, sozusagen seine Außensicht auf die Stadt. Diesen Text trug er auch vor. Nicht ohne allerdings zuvor dem Publikum zu erklären: „Ich weiß nicht, wie er auf Sie wirkt. Es ist mir auch, ehrlich gesagt, egal.“ Dinic ist übrigens ein Diplomatenkind.

Das mit Spannung erwartete Werk, das den recht sperrigen Titel "Kleindlfing oder Das große Spiel vom kleinen Ich, das nicht gesehen werden wollte" trägt, befasst sich indes nicht nur mit der Location Pfaffenhofen, sondern auch mit Joseph Maria Lutz und dessen Werk. In seiner Zeit im Flaschlturm hat Dinic sich offensichtlich auch mit dem Namensgeber seines Stipendiums beschäftigt. Im Roman „Der Zwischenfall“ schilderte Lutz eine bayerische Kleinstadt namens Kleindlfing, in der man sehr schnell Pfaffenhofen erkennt. Diesen Namen übernimmt Dinic und stellt damit eine zusätzliche Ebene der Verbindung her.

Streckenweise sprachgewaltig und bilderreich, zuweilen gar akribisch, finster und abstrus schildert Dinic, was ihm in Pfaffenhofen angeblich widerfahren ist. Denn „jedes beschreibende Detail hat so stattgefunden“, versichert er. Nach dem Verlesen des durchaus umfangreichen Textes bekam er viel Applaus. Wenngleich das Geklatschte – das muss man unterstellen – vor allem den Vortrag an sich und dessen ersten Eindruck goutierte und nicht zwingend den Inhalt in seiner Dimension und Tiefe. Denn was Dinic so alles in seine große Geschichte vom kleinen Ich eingearbeitet hat, kann sich keinesfalls nach einmaligem Hören erschließen und offenbaren.

Bürgermeister Thomas Herker (SPD) freute sich über das große Interesse der Pfaffenhofener an diesem Lese-Abend. Dinic bedankte sich für die Einladung in den Flaschlturm, zeigte sich begeistert vom vielfältigen Kulturleben in der Kreisstadt, betonte, dass er wunderbare Leute hier kennengelernt habe, und schwang sich gar zu der Feststellung auf, Pfaffenhofen sei „wesentlich charmanter als München“.

Schriftsteller und Kulturreferent Steffen Kopetzky (SPD), der zusammen mit der Journalistin Barbara Fröhlich und dem Theaterwissenschaftler, Dramaturgen und Philosophen Dr. Lenz Prütting die Jury gebildet und den jungen Salzburger Lyriker als Stipendiaten ausgewählt hatte, ging kurz auf Dinics Werdegang ein. Er bezeichnete den Serbokroaten, der in Belgrad, Stuttgart, München, Salzburg und Berlin aufgewachsen ist, im Jugoslawienkrieg das Bombardement in Belgrad miterlebt hat und jetzt in Salzburg Germanistik und jüdische Kulturgeschichte studiert, als einen „von Literatur besessenen jungen Dichter“.

Schriftsteller und Kulturreferent Steffen Kopetzky (links) im Gespräch mit Schriftsteller und Stipendiat Marko Dinic.

In einem Gespräch auf der Bühne beantwortete der Stipendiat Kopetzkys Fragen und erklärte zum Beispiel, warum er auf Deutsch schreibt und nicht in seiner Muttersprache Serbokroatisch. Das Serbokroatische, so Dinic, sei ihm zu nah und wecke zudem zu viele Aggressionen. „Ich brauche Distanz“, sagte er – allerdings spielen Konflikte auch in seinen deutschen Texten eine große Rolle. Und Dinics These, in der Kunst sei die Sprache „immer noch das eindrücklichste Mittel, um den Leuten in die Fresse zu hauen“, klingt auch nicht gerade zurückhaltend.

Vor seinem Pfaffenhofen-Text hatte Dinic auch einige Gedichte gelesen. Das Publikum schien da zuweilen etwas ratlos bis irritiert. Aber mit der Lyrik ist es halt wie mit SM-Spielchen, Knoblauch oder dem TSV 1860 München – entweder man steht drauf oder nicht. Jetzt lieber Themawechsel.

Dinic bezeichnet sich selbst als „Bildungsflüchtling“ und er hält es für eine „Unverschämtheit“, dass die Europäische Union den Namen Europa für sich gepachtet habe. Ob auf dem Balkan nun eigentlich der Orient beginne oder Europa ende, wollte Kopetzky wissen. „Eine coole Frage“, befand Dinic – die Antwort blieb er schuldig. Wissen ließ er dagegen, dass ihm angesichts der Aussagen des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) zum Thema Asyl – auch, was die Flüchtlinge aus dem Balkan betrifft – das Kotzen komme.

Mit der Lesung im Rathaus-Festsaal vom Freitagabend ist der Aufenthalt des Stipendiaten Dinic in Pfaffenhofen übrigens noch nicht beendet: Bis Ende August wohnt und arbeitet er noch im Flaschlturm – der übrigens auch in seinem Pfaffenhofen-Text eine Rolle spielt.

Den Pfaffenhofen-Text zum Anhören – den O-Ton der Lesung vom Freitagabend – finden Sie hier: Das große Spiel vom kleinen Ich...


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