Im Prozess um den Tod von Helmut P. aus der Ingolstädter Hollarstraße hinterließ der Hauptbelastungszeuge heute einen wackeligen Eindruck
(ty) Mit Spannung war heute am Ingolstädter Landgericht der Auftritt des Hauptbelastungszeugen Gerhard S. erwartet worden, der an jenem 13. August vergangenen Jahres – dem Tag, an dem Helmut P. gestorben war – als einziger gesehen hatte, wer aus der Wohnung des Opfers in der Hollarstraße 7 gekommen war. Bekanntlich wird dem zuletzt in Spanien lebenden Heinz Josef M. vorgeworfen, den Rentner Helmut P. am 13. August vergangenen Jahres mit einer Flasche brutal geschlagen und anschließend erwürgt haben.
Nach den Worten von Staatsanwalt Veh – am 15. Oktober beim Prozess-Auftakt – soll der Angeklagte an besagtem 13. August nach einem gemeinsamen Essen in der Wohnung des getöteten Helmut P., bei dem er zuvor schon des Öfteren genächtigt hatte, zunächst zwei Mal mit einer umgedrehten Limoflasche auf den Kopf seines Opfers eingedroschen haben. Als der dann am Boden lag, soll Heinz Josef M. weiter auf den wehrlosen Helmut P. eingeschlagen und eingetreten haben. Als der um Hilfe rief, was zwei Nachbarn gehört haben, soll er ihm den Mund zugehalten und weiter zugeschlagen haben. Insgesamt 20 Schläge – so Veh – habe er dem Opfer an Kopf und Brust beigebracht, bevor er ihm schließlich entweder mit den Händen oder dem Knie den Kehlkopf abschnürte und ihn so erwürgte. Zahlreiche Verletzungen im Kehlkopfbereich belegten diese Vorgehensweise. Danach habe der Angeklagte die Wohnung verlassen und einem Zeugen, der ob der Hilfeschreie gerade nach Rechten sehen wollte, auf dem Flur noch gesagt, es sei alles in Ordnung.
Heute nun war die Aussage von Gerhard S., dem Hauptbelastungszeugen, mit Spannung erwartet worden. Nachdem mehrere Bewohner gegen 14.30 Uhr an jenem 13. August erstickte Hilfeschreie gehört hatten, war Gerhard S. damals an die Tür von Helmut P. gegangen, hatte mehrfach geklopft und geklingelt. Jedoch ohne Erfolg. Als er bereits wieder mehrere Stufen nach oben gegangen war – der Zeuge wohnt zwei Stockwerke über dem Opfer – sei auf einmal die Tür aufgegangen. Gerhard S. hatte sich umgedreht und mit dem Mann gesprochen, der damals behauptet hatte, die Hilfeschreie seien nur Spaß gewesen. Was auch andere Zeugen gehört hatten, die sich zu diesem Zeitpunkt, von den Schreien aufgeschreckt, im Treppenhaus befunden haben. Eindeutig identifizieren indes wollte er ihn heute vor Gericht heute nicht. „Zu 90 Prozent ist es der Angeklagte“, ließ er einen Restzweifel stehen, was die Zuschauer im Saal mit hörbarer Enttäuschung aufnahmen. Immerhin ist Gerhard S. ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Zeuge in dem Verfahren.
Für die Zeit vorher und auch für die Hilfeschreie gibt es mehrere Zeugen, die heute Vormittag auch vor Gericht aussagten. Demzufolge hörte man zunächst polternde Geräusche aus der Wohnung, danach drei bis vier erstickte Hilferufe. „Hilf mir“ will eine türkische Zeugin gehört haben, die vor Gericht mit Hilfe einer Dolmetscherin aussagte und wie andere Bewohner des Hauses auch meinte: „Er war ein guter Mensch.“ Die Frau hatte im Gegensatz zu anderen Zeugen die Stimme des um Hilfe Rufenden sofort erkannt: Helmut P.
Daraufhin hat sie ihre unmittelbaren Nachbar im dritten Stock alarmiert: Gerhard S.; und der sei nach übereinstimmenden Aussagen dann vom dritten Stock hinunter in den ersten gegangen, um an der Wohnungstür zu läuten und zu klopfen. Er sei, wie er heute sagte, sogar mehrmals nach unten gegangen, weil ihm die Sache komisch vorkam. Ob der Mann gleich beim ersten Mal aus der Wohnung gekommen war oder später, auch darauf wollte sich der Zeuge nicht eindeutig festlegen. Ebenso wie auf die eindeutige Identifizierung von Heinz Josef. M – obwohl der Angeklagte im April dieses Jahres zusammen mit Helmut P. bei ihm ein Fußballspiel angesehen hatte und er ihn also kannte. Ob der Angeklagte auch während der fraglichen Zeit, als Helmut P. zu Tode kam, als Übernachtungsgast bei ihm war, auch das konnte dieser Zeuge nicht sagen.
Zusammen mit der direkten Nachbarin von Helmut P. und mit Hilfe des Wohnungsschlüssels, über den sie verfügte, war Gerhard S. am Tag der Tat auch in die Wohnung von Helmut P. gegangen und hatte den Toten im Wohnzimmer blutüberströmt vorgefunden.
Diese Nachbarin, Bianca W., und deren Tochter, die ebenfalls die Hilfeschreie gehört hatte, sie aber nicht eindeutig zuordnen konnte, hatte offenbar ein ziemlich gutes Verhältnis zu dem Toten gehabt. Er hatte ihren Hund Gassi geführt, sich um die Katzen gekümmert, verfügte über einen Wohnungsschlüssel und war, wie die Tochter sagte, so etwas wie ein Ersatz-Opa, mit dem man beispielsweise auch Weihnachten oder Geburtstag gefeiert habe. Sie brach denn bei ihrer Aussage auch in Tränen aus.
Wie sich der Tag, an dem Helmut P. auf so brutale Weise ums Leben kam, aus Sicht der Nachbarn abgespielt hat, das wurde am heutigen Verhandlungstag relativ anschaulich. Und auch, wenn der Zeuge Gerhard S. nicht mit letzter Sicherheit den Angeklagten identifizieren wollte, so erhärten seine Aussagen zusammen mit denen der Polizisten, die Heinz Josef M. von Spanien aus nach Ingolstadt überführt haben, schon den Verdacht, dass da nicht unbedingt ein ganz Falscher auf der Anklagebank sitzt.
Denn die berichteten übereinstimmend von einem Detail, dass schon ganz interessant ist. Heinz Josef M. klagte demnach beim Essen im Flugzeug auf dem Weg von Madrid nach München darüber, dass er Probleme mit seiner Prothese habe. Auch sei sie beim Sprechen mehrfach heruntergefallen. Und auf nähere Nachfrage soll er mit dem Arm einen Faustschlag angedeutet und zu verstehen gegeben haben, dass diese Prothese bei dem „Vorfall“ in Ingolstadt zu Bruch gegangen sei. Im Streit habe Helmut P. ihm einen Faustschlag versetzt, als er gerade aus einer Limoflasche trank. Dabei sei der Zahnersatz kaputt gegangen. Daraufhin sei es zu einem neuerlichen Streit gekommen um die Frage, wer den Schaden nun bezahlt.
Ob das der ultimative Streit war, den Helmut P. schließlich mit seinem Leben bezahlt hat? Es wäre möglich, steht aber nicht zweifelsfrei fest. Und ob die Aussagen, die Heinz Josef M. während des Überführungsflugs und der anschließenden Fahrt nach Ingolstadt gemacht hat, gerichtsverwertbar sind, bleibt abzuwarten. Denn die Verteidigerin Anna Kremer hat den Antrag gestellt, von der Verwertung dieser Aussagen unter Berufung auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs abzusehen. Dann allerdings wären die Einlassungen von Heinz Josef M., wie es zum Bruch der Prothese kam, ebenso unbrauchbar, wie seine Äußerung gegenüber einem der Polizisten, dass damals alles ganz anders abgelaufen sei an jenem 13. August.
Interessant könnte auch noch die Tatsache werden, dass die Polizei in der Wohnung von Helmut P. weder eine Geldbörse noch Bargeld gefunden habe. „Nicht einmal zehn Cent“, meinte einer der Polizisten.
Der Prozess wird an diesem Donnerstag um neun Uhr fortgesetzt.
Bericht vom Prozessauftakt: „Du feige Sau, jetzt sag’ endlich was“