Ein keinesfalls ernst gemeinter Blick auf die Entwicklung der Einwohner-Zahlen in den Gemeinden sowie der satirische Versuch einer Erklärung.
Von Tobias Zell
Jetzt ist es also offiziell: Wer kann, der flüchtet sich aus Reichertshausen. Der Exodus hat fast schon biblische Ausmaße erreicht. Allein im vergangenen Jahr ist die Einwohnerzahl der Gemeinde, die mit dem Motto "Hier fühl ich mich wohl..." wirbt, um 81 auf 4960 abgestürzt. Während die Christsozialen sich längst von der 50-Prozent-Marke verabschieden mussten, muss Bürgermeister Reinhard Heinrich (CSU) sich von zahlreichen Einwohnern verabschieden und ist jetzt nicht mehr Chef einer 5000-Seelen-Gemeinde. Sagen die jüngsten Daten des bayerischen Landesamts für Statistik. Aber schauen wir genau hin – und nicht nur dort.
Böse Zungen behaupten ja, dass es der neue Fahrbahn-Belag der B13 ist, der einem das Davonfahren aus Reichertshausen nun besonders einfach und komfortabel macht. Andererseits ist am Ortsende der wohl schönste Kreisverkehr im gesamten Landkreis gebaut worden. Dem Vernehmen nach, um denen, die es in die Ferne zieht, beim Durchfahren des Rondells gleich mehrfach die Chance zu bieten, es sich doch noch anders zu überlegen. Bringt aber anscheinend nix: Immer mehr Autofahrer finden die Ausfahrt in Richtung Hohenkammer.
Dabei hat Reichertshausen eigentlich alles, was das Leben so lebenswert macht. Zwei Bahnhöfe, eine Ampel-Anlage, einen nagelneuen Edeka und sogar Kindergärten mit Spielgeräten. Sogar Ingo Goldammer, der Geschäftsführer der Ilmtalklinik, hat sich hier niedergelassen. Fremdenfeindlichkeit sucht man hier vergebens: Der Asyl-Abwehr-Panzer beim Faschingszug entpuppte sich als einmaliger Ausrutscher. Wissen die Bürger all das nicht zu schätzen? Oder hält es einfach keinen am Ort, weil selbst der Bürgermeister hier nicht wohnt. Rathauschef Heinrich lebt bekanntlich im beschaulichen Vieth, das zur Gemeinde Scheyern gehört.
Dort wiederum ist im vergangenen Jahr die Einwohnerzahl um stolze fünf Personen gestiegen – auf 4899. Und das, obwohl es im Kloster nur noch etwa ein Dutzend Mönche gibt und die ja schon von Berufs wegen nichts zum Bevölkerungs-Wachstum beitragen dürfen. Gemeinsam haben beide Gemeinden, dass ihnen ein Bürgerentscheid ins Haus steht. Im Reichertshausener Ortsteil-Kindergarten von Steinkirchen soll die Frischeküche erhalten bleiben, in Scheyern geht es derweil um die Frage, ob ein neues Rathaus gebaut und ein neues Ortszentrum entstehen werden.
Kurios ist, dass Reichertshausens Bürgermeister Heinrich in seiner Rolle als Einwohner von Scheyern freilich am hiesigen Bürgerentscheid teilnehmen darf, während er bei dem Bürgerentscheid in der Kommune, der er vorsteht, keine Stimme hat. Daraus ergibt sich praktisch der einmalige Vorgang, dass ein Bürgermeister plötzlich in einer anderen Gemeinde etwas mitzuentscheiden hat. Wie Scheyerns Gemeinde-Chef Manfred Sterz (FW) damit klarkommt, dass er in seiner Kommune nicht der einzige Bürgermeister ist, müsste man ihn mal explizit fragen. Aber für gewöhnlich zeichnet sich die Spezies der Bürgermeister im Landkreis Pfaffenhofen nicht zuletzt dadurch aus, dass sie sich von niemandem reinreden lässt.
Neben Reichertshausen ist übrigens lediglich noch in einer weiteren der insgesamt 19 Landkreis-Gemeinde die Einwohnerzahl gesunken. Das beschauliche Pörnbach büßte 14 Bürger ein. Böse Zungen behaupten, dass sich viele fluchtartig und in regelrechter Panik aus dem Staub gemacht haben, weil sie mit der Schlagzahl, die Bürgermeister Helmut Bergwinkel bei der Weiterentwicklung seiner Kommune an den Tag legt, schlicht überfordert sind. Noch bösere Zungen meinen, das liegt daran, dass Bergwinkel inzwischen auch bei der CSU ist.
Letzteres ist zu widerlegen. Es gibt nämlich etliche Landkreis-Gemeinden, die von einem CSU-Bürgermeister regiert werden und trotzdem ein Einwohner-Plus vermelden. In Baar-Ebenhausen zum Beispiel hat sich Ludwig Wayand, Ex-Bundeswehrler, generalstabsmäßig darum gekümmert, dass im vergangenen Jahr 114 zusätzliche Einwohner angetreten sind. In Jetzendorf, wo der ehemalige Bundeswehr-Pilot Manfred Betzin am Steuerknüppel sitzt, hebt die Einwohnerzahl ab: plus 76.
Auch in Ilmmünster, wo Anton Steinberger auf dem Chefsessel im Rathaus sitzt, steht ein Plus von 77 Bürgern zu Buche. In Schweitenkirchen vermeldet Albert Vogler selbst ohne Autobahn-Lärmschutz ein Einwohner-Plus von 40. In Ernsgaden, der kleinsten Gemeinde, lockte Karl Huber (mutmaßlich Noch-CSU) ebenfalls 40 neue Bürger an. In Hohenwart freut sich Manfred Russer über 86 zusätzliche Einwohner – weitere Zuzüge stehen hier nach Informationen unserer Zeitung unmittelbar bevor.
Wobei sich Hohenwart ja ohnehin langsam, aber sicher zum Geheimtipp im Landkreis entwickelt. Infrastrukturell stößt die 4700-Seelen-Gemeinde in völlig neue Dimensionen vor. Ein neuer Wertstoffhof wird gebaut, ein neuer Bauhof gleich dazu. Die Schule wird vermutlich auch neu errichtet, die Kläranlage steht vor einer historischen Erweiterung. Außerdem hat es Hohenwart zu bundesweiter Berühmtheit gebracht: Denn im Naturschutz-Gebiet "Windsberger Höhen" beim Ortsteil Freinhausen gibt es sie noch, die Malven-Langhornbiene. Diese äußerst seltene Art kommt im Freistaat wohl nur mehr hier vor, in Deutschland gibt es lediglich vier weitere Refugien.
Apropos flotte Bienen. In Hohenwart wohnt auch Katharina Baschab, seit kurzem die neue Chefin der Abteilung "Immissionsschutz, Energie, Klimaschutz" am Pfaffenhofener Landratsamt. Und mit Christian Degen – einst Kreisrechnungsprüfer, dann Ilmtalklinik-Geschäftsführer, jetzt persönlicher Referent des Landrats und Beteiligungs-Manager des Landkreises – steht ein weiterer hochrangiger Beamter vor seiner Ansiedlung in Hohenwart. Vorausgesetzt, das Landratsamt ist mit seinem Bauantrag nicht überfordert. Angeblich wird der Radweg am Schönthaler Berg nur geschaffen, damit Baschab und Degen künftig klimafreundlich mit dem Drahtesel zur Arbeit fahren können.
Wobei letzteres zwar ein Landkreis-Bauvorhaben ist, aber der Schönthaler Berg zum Gemeinde-Gebiet von Pfaffenhofen zählt. Dort hat Bürgermeister Thomas Herker (SPD) im vergangenen Jahr ein Einwohner-Plus von 136 registriert. Zudem hat er mit seiner Frau Steffi (vormals Bergmüller) heuer schon dafür gesorgt, dass diese Entwicklung nicht abreißt: Am 7. Mai kam die kleine Aurelia zur Welt. Aurelia, das bedeutet: die Goldene. Mögen der Familie selbige Zeiten beschert sein! Was man von Herkers Partei derzeit nicht gerade sagen kann. Böse Zungen kommentierten den Herker'schen Nachwuchs gar sinngemäß mit den Worten: Endlich mal wieder ein Sozialdemokrat, der etwas zusammenbringt, was Hand und Fuß hat.
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