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Vom Wahlkampfauftritt der Bundeskanzlerin Angela Merkel in Ingolstadt und einer beeindruckenden Demonstration der Stromtrassengegner 

(ty) „Wir sind das Volk, wir sind das Volk.“ Wären da nicht die gut 2000 Demonstranten aus ganz Bayern gewesen, die den Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Ingolstadt zum Anlass genommen hatten, mit Transparenten, Trillerpfeifen, Trommeln und Tröten ihrem Unmut Luft zu machen über die geplante Starkstromtrasse quer durch Bayern, das Interesse an Merkels Wahlkampfauftritt auf dem Rathausplatz wäre eher überschaubar gewesen. So aber bebte der Platz bereits Stunden vorher. So eine große Demonstration, die trotz der markigen Warnungen eines Ordners, dass ein Polizeieinsatz unmittelbar bevorstehe, recht friedvoll ablief, hat Ingolstadt bislang kaum gesehen.

Bereits um elf Uhr Vormittag war der Platz fest in uniformierter Hand, die Straßen ringsum abgesperrt. Hunderte von Polizisten, schwarze Männlein mit Spiralkabel im Ohr, Personen- und sonstige Schützer, Sprengstoffhunde und hunderte Meter Absperrgitter: Alles, um die Kanzlerin vor ihren Wählern zu schützen. Der Aufwand war kaum größer als bei der Geiselnahme im Rathaus im August vergangenen Jahres. An jenem Tag hätte Angela Merkel eigentlich nach Ingolstadt kommen sollen. Und diesen Besuch hat sie heute quasi nachgeholt. Wahl ist schließlich immer irgendwie. Diesmal ist es die Europawahl.

Mit einem so massierten Auftritt der Stromtrassengegner indes hatte sie wohl kaum gerechnet. Dachte man kurz vor drei Uhr noch, da stünden lediglich ein paar versprengte Demonstranten mit ihren Transparenten, ging es Minuten später richtig zur Sache. Mit Tröten und Trommeln bewaffnet konnte man den Zug der Trassengegner schon von weitem hören. Es war ein imposantes Bild, als sich schließlich die rund 2000 Menschen vor dem Alten Rathaus postiert hatten mit ihren kleinen und großen Transparenten und den gelben und orangefarbenen Warnwesten.

Vor allem aber war es eine akustische Herausforderung. Denn die Jungs und Mädels machten richtig Dampf. Und wer das fragwürdige Glück hatte, neben einem Demonstranten zu stehen, der eine Blechtröte sein eigen nannte und auch gewillt war, dieses Instrument gnadenlos zu benutzen, der war in diesem Augenblick dem Tinnitus näher als jeder anderen Krankheit. „Recht hams“, meinte einer der Polizisten, abkommandiert, die Demonstranten friedlich zu halten. Er hatte durchaus Verständnis für die Sorgen der Menschen, denen eine Stromtrasse ihre ganze Existenz zu Grunde richten könnte. Und ihre Gesundheit dazu.

Um 16 Uhr war dann das offizielle Ende der genehmigten Demonstration. Zu dieser Zeit hatten sich die heimischen Politgrößen bereits in ihrem abgezäunten VIP-Bereich direkt vor der Bühne versammelt, während das gemeine Volk dicht gedrängt an den Absperrgittern stand. Ein doch etwa seltsam anmutendes Bild. Zumal dann auch noch einer der Ordner ans Mikrofon trat, um kundzutun, dass es der Wunsch der CSU sei, dass die Demonstranten doch bitte zurücktreten sollen. „Wenn Sie jetzt nicht augenblicklich, und die Betonung liegt auf augenblicklich, ihren Platz links vom Rathauseingang einnehmen, steht ein Polizeieinsatz unmittelbar bevor“, dröhnte es aus den Lautsprechern. „Ich appelliere an die Vernunft der Teilnehmer an dieser Stromtrassendemonstration, sich in den Bereich links neben dem Alten Rathaus zu begeben. Bitte gehen Sie dorthin, um keinen Einsatz der Polizei heraufzubeschwören.“  Die gut gemeinten Sätze gingen in einem gellenden Pfeifkonzert unter und in dem im Chor vorgetragenen „Wir sind das Volk.“

Der Grund für die Räumung dieses Teils des Rathausplatzes: Hier sollten in wenigen Minuten Horst Seehofer und Angela Merkel aufmarschieren. Die Räumung klappte indes nicht wie geplant. Immerhin konnte die Polizei eine Gasse freihalten, durch die dann in der Tat kurz darauf die beiden Politiker den Platz betraten. Im Schlepptau hatte sie noch Europa-Spitzenkandidat der CDU, David McAllister, und den bayerischen Spitzenkandidaten Markus Färber.

Das Ende der Demonstration indes war das noch lange nicht. Obschon sie wie gesagt nur bis 16 Uhr angemeldet war und die 2000 Demonstranten danach zu braven Zuhörern mutieren sollten, begleitete der Protest lautstark auch die Rede der Kanzlerin. Mit Applaus konnte sie lediglich aus dem eingezäunten VIP-Areal rechnen. Hinter dem Zaun indes kam es immer wieder zu Unmutsbekundungen.

Da hatte es Horst Seehofer besser. Aus „tiefster Überzeugung“ meinte er: „Ich bin überzeugt, dass diese Trasse, über die wir hier und heute reden, nämlich die Ost-Trasse von Sachsen-Anhalt bis nach Meitingen quer durch Bayern, erstens nicht notwendig ist. Und zweitens haben wir die Energiewende nicht gemacht, um aus der Atomkraft in die Kohlekraft einzusteigen.“ Der Jubel aus 2000 demonstrationswilligen Kehlen war ihm sicher. Horst Seehofer weiß eben, wie man die Massen gewinnt. Und ein draufgesetztes Versprechen, dass die Demonstranten auf seine Unterstützung und die der Staatsregierung zählen könnten, ließ denn die Trillerpfeifen für einen Augenblick verstummen.

Für Horst Seehofer war der Auftritt auf dem Rathausplatz heute nicht nur ein Heimspiel, sondern nach diesen Worten – wie handgedrechselt für des Bürgers Ohr –  „a gmahte Wiesn“. Angela Merkel, die aus der kriegerischen Geschichte der letzten hundert Jahre die komfortable Situation beschwor, in der sich Deutschland und Europa heute befänden, hatte immer wieder mit gellenden Pfeiforgien zu kämpfen. Wie Horst Seehofer zuvor ließ sie die tragischen Umstände der Geiselnahme, die ihren Auftritt im vergangenen Jahr verhindert hatte, nicht unerwähnt, bevor sie die Vorzüge eine gemeinsamen und friedlichen Europas beschwor, das natürlich in den Händen der CDU/CSU am besten aufgehoben sei.

Selbstverständlich gab es auch dickes Lob für Ingolstadt und die Region. „Horst Seehofer spricht oft mit Stolz von seiner Heimatstadt. Nach dem zweiten Weltkrieg war noch nicht ausgemacht, welche Region eine erfolgreiche Region werden würde. Aus einer Mischung der Stärke der Menschen, die hier leben, und kluger Politik der Ansiedlung von Arbeitsplätzen ist ein leistungsstarker Freistaat geworden. Ingolstadt leistet seinen Beitrag dazu“, meinte die Kanzlerin, „deswegen ist es schön, dass hier nicht nur Audi ist, sondern junge Studenten für die Zukunft arbeiten. Und diese Zukunft hat sehr viel mit Europa zu tun.“

Erst zum Schluss ihrer Wahlkampfrede kam Angela Merkel dann auf die Energiewende zu sprechen und mit ihr auf die Stromtrasse, weswegen ja die Menschen hier auf dem Platz standen. „Es ist richtig, dass wir Schritt für Schritt die erneuerbaren Energien ausbauen. Wir können einen Beitrag dazu leisten, dass auch im Rest der Welt auf umweltfreundliche Energie gesetzt wird“, sagte sie unter dem pfeifen der 2000, was sie mit dem Satz quittierte: „Hören Sie zu, sonst verpassen sie etwas.“ Und was das war, sagte sie ebenfalls: „Horst Seehofer und ich haben schon viele komplizierte Probleme vor uns gehabt. Und Horst Seehofer und ich haben immer eine gemeinsame Lösung gefunden. Das wird auch diesmal so sein. Mehr kann ich dazu heute nicht sagen, aber wir werden das gemeinsam lösen.“

Das war den Demonstranten denn doch zu wenig. Neuerliches Getrommel und Gepfeife war die Antwort. Grund für Horst Seehofer, um Angela Merkels Worte sozusagen ins Bayerische zu übersetzen. Und das klingt dann so: „Meine politische Erfahrung lehrt, dass wenn man zusammen mit allen Bürgern, den Bürgermeistern und den Landräten eine solche Stromtrasse nicht will, dass man dann auch Erfolg haben wird. Diese Prognose kann ich Ihnen geben.“

Immerhin ein Politiker hatte es sich nicht gleich im abgeschirmten VIP-Bereich gemütlich gemacht, sondern stand mitten unter den Demonstranten und hatte sogar eine Trillerpfeife im Mund. Und das war der Landrat von Neuburg-Schrobenhausen, Roland Weigert.

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Großdemo der Trassengegner

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