Sechs Stadträte aus Ingolstadt waren heute Abend in Pfaffenhofen, um sich über den Live-Stream aus den Sitzungen zu informieren. In der Hallertau diskutiert man derweil schon über die unendliche Archivierung. Und in beiden Stadträten stehen am Donnerstag wichtige Entscheidungen dazu an.
Von Tobias Zell
Die im Vorfeld angekündigten „Teile“ des Ingolstädter Stadtrats, die heute Abend in Pfaffenhofen anrückten, um sich über die hier seit Jahren praktizierte Live-Übertragung der Stadtratssitzungen zu informieren, erwiesen sich eher als „Teilchen“. Gerade einmal sechs der insgesamt 50 Schanzer Räte fanden den Weg in die Hallertau: drei Vertreter der SPD sowie je einer von FW, ÖDP und Bürgergemeinschaft. Keiner also von der CSU, niemand von den Grünen – und auch die beiden Solisten von FDP und Republikanern hatten keine Zeit, keine Lust oder waren anderweitig verhindert.
Der Hintergrund des Besuchs ist schnell erzählt. In Ingolstadt tobt bekanntlich die kontroverse Debatte, ob man die Sitzungen des Stadtrats live übertragen soll – und wenn ja: Nur mit Ton oder auch mit Bild? Und wenn mit Bild: Wer soll wann und wie gezeigt werden? In Pfaffenhofen ist man über dieses Stadium längst hinaus. Hier geht es nicht mehr um das Ob – ja, auch die Frage der Archivierung ist bereits positiv beschieden. Hier diskutiert morgen der Stadtrat darüber, wie lange die Aufzeichnungen im Internet zur Verfügung stehen sollen. Während in Ingolstadt, auch morgen, der Stadtrat darüber debattiert, ob es überhaupt einen Live-Stream gibt.
Die Ingolstädter SPD um Achim Werner (von links), Jörg Schlagbauer und Veronika Peters hatte den Besuch in Pfaffenhofen arrangiert.
Zustande gekommen ist der Termin heute auf Betreiben der Ingolstädter SPD. Die Einladung der Stadt Pfaffenhofen war aber ausdrücklich an den gesamten Ingolstädter Stadtrat gerichtet. Von Seiten der Gastgeber hatten sich Bürgermeister Thomas Herker (SPD) und SPD-Fraktionschef Markus Käser ebenso Zeit genommen wie Stadtjurist Florian Erdle und Geschäftsführer Andreas Breitner von der hiesigen Firma „PNmedien GmbH“, die den Live-Stream als Dienstleister für die Stadt umsetzt.
Im Festsaal des Rathauses, wo der Stadtrat tagt, war dann auch alles aufgebaut für die Gäste aus Ingolstadt. Damit die nicht nur erfahren konnten, wie das hier mit dem Live-Stream funktioniert, sondern die Technik selbst hautnah erleben konnten. So nahmen die sechs Gast-Räte auf den Stühlen ihrer hiesigen Kollegen Platz, ließen sich informieren, fragten nach und diskutierten – das Ganze wurde von Andreas Breitner behandelt, als wäre es eben eine Sitzung, die es Live zu übertragen gilt. Das Ergebnis gibt es inzwischen im Internet unter: http://video.pafnet.de/ingolstadt/
Das Prinzip in Pfaffenhofen funktioniert, vereinfacht gesagt, so: In der Mitte des Sitzungssaals sind drei Kameras positioniert. Die werden im Vorfeld so programmiert, dass sie genau wissen, wo welcher Stadtrat sitzt. So kann dann die jeweils am besten platzierte Linse automatisch den Stadtrat ansteuern, der gerade das Wort hat. Gezeigt wird immer nur das gerade sprechende Stadtratsmitglied oder der Bürgermeister oder das Mitglied der Stadtverwaltung – die Sitznachbarn sind nicht im Bild.
Viele leere Plätze: Nur sechs der 50 Ingolstädter Räte waren heute nach Pfaffenhofen gekommen. Franz Hofmaier (ÖDP) sah sich beim Test gleich groß auf der Leinwand; das war aber nur zu Demonstrationszwecken. Normalerweise sind im Hintergrund die jeweiligen Präsentationen und Beschlussvorlagen zu sehen.
Da muss also – außer dem Redner selbst – keiner Angst haben, dass er beim Nasenbohren, Trinken oder Dummschauen gezeigt wird. Zu hören ist auch immer nur derjenige, der das Rederecht inne- und das Mikro eingeschaltet hat. Damit für den Zuschauer keine Leere entsteht, kann zwischendurch das Plenum gezeigt werden, in der Totalen. Die Zuschauer werden am Eingang zum Sitzungssaal darauf hingewiesen, dass hier gefilmt wird. Es gibt aber auch Plätze für Besucher, von wo aus sie im Bild sind. Und sollte ein Stadtrat nicht gezeigt werden wollen, ist auch das möglich. Dann steuert ihn die Kamera gar nicht erst an, sondern eine Einblendung weist darauf hin, dass derjenige nicht gezeigt werden will. In Pfaffenhofen ist dieser Sonderfall indes kein Thema.
Das und noch einige Details mehr erfuhren also die Ingolstädter Gäste. Die hatten freilich auch einige Fragen; und schon war man mitten in einem informativen Austausch. Erstaunt waren die Schanzer zum Beispiel quer durch die Fraktionen, als sie erfuhren, dass in Pfaffenhofen zwischen 250 und 1600 Leute den Live-Stream sehen, im Schnitt zwischen 500 und 600. Pfaffenhofen hat, wohl gemerkt, „nur“ rund 24 000 Einwohner.
Ein Bild aus einer "echten Sitzung" in Pfaffenhofen. Drei Kameras können jeden einzelnen Stadtrat direkt ansteuern.
Der Ingolstädter Stadtrat Achim Werner (SPD) berichtete von einer „sehr kontroversen Diskussion“ in seiner Stadt. Für ihn stünden aber Transparenz, Bürgerbeteiligung und Öffentlichkeit im Vordergrund; so warb er für den Live-Stream. Die „beachtliche“ Zahl der Zuschauer in Pfaffenhofen wird seiner Meinung nach in Ingolstadt „bewusst verschwiegen“. Beeindruckt zeigte er sich, dass der Live-Stream mit einem „überschaubaren technischen Aufwand“ funktioniere und dass dabei die Persönlichkeitsrechte gewahrt blieben.
Andi Breitner vom Pfaffenhofener Dienstleister konnte beruhigen, was die Internet-Zugriffe angeht. Da seien Tausende gleichzeitige User problemlos möglich, ohne dass es Probleme mit der Übertragung gebe. Der Preis in Pfaffenhofen liegt nach Angaben des Bürgermeisters bei einem „niedrigen fünfstelligen Betrag“ im Jahr. Wobei der Pfaffenhofener SPD-Chef Käser betont wissen will, dass es hier nicht um die Kosten gehe, sondern um Transparenz und um die Frage, was diese einem Wert sei. Bei einem Informations-System für Stadträte im Internet frage man ja auch nicht, wie intensiv es genutzt werde – dann müsste man möglicherweise abschaffen.
Bezüglich der Kosten würde da eh „Horror-Szenarien“ aufgebaut, meinte der Ingolstädter Jörg Schlagbauer (SPD). Er zeigte sich „fasziniert von dieser kleinen Lösung, die mitten im Raum steht“. Weil er fest davon überzeugt ist, dass es auf der Schanz die Diskussion um die Persönlichkeitsrechte geben wird, betonte er, dass sich sicher nicht jeder Stadtrat über die gesamte Dauer der Sitzung gefilmt wissen wolle. Aber das ist ja in Pfaffenhofen kein Thema, wo jeweils nur der Redner gezeigt wird. Nicht zuletzt deshalb wurde der Wunsch laut, ob Breitner nicht mal nach Ingolstadt kommen könnte, um eine „Vorführung“ zu geben.
Das Interesse am Pfaffenhofener Stream ist nach Meinung von Schlagbauer auch deshalb so groß, weil hier Ton und Bild übertragen werden. In diese Richtung äußerte sich auch der Pfaffenhofener Stadtjurist Erdle: Er als Verwaltungsbeamter hätte nicht gedacht, dass das Angebot so gut angenommen werde. Die entscheidenden Punkte sind für ihn, dass die Redner im Bild gezeigt werden, dass man nicht die ganze Sitzung über eine starre Überblicks-Einstellung sehe – und dass bei all dem die Persönlichkeitsrechte gewahrt seien.
Ungwöhnliches Bild aus dem Stadtrat in Pfaffenhofen. Die jüngste Sitzung wurde kurz unterbrochen, damit die Fraktionen sich abstimmen können. Es ging um die Frage, wie lange die Aufzeichnungen der Sitzungen im Internet zu sehen sein sollen. Hier berät sich gerade die CSU – morgen steht das Thema erneut auf der Tagesordnung.
„Vorsprung durch Technik“, attestierte da SPD-Stadträtin Veronika Peters aus Ingolstadt, machte Pfaffenhofen ein „Riesenkompliment“ und keinen Hehl daraus, dass sie sich eine solche Lösung auch für ihre Stadt wünsche. „Wir wollen modern sein und nicht hinterherhinken.“ So könne man auch an die jüngeren Leute herankommen und sie für Politik interessieren. Der Live-Stream stärke zudem die Nachvollziehbarkeit der Lokalpolitik.
„Wir von der Bürgergemeinschaft Ingolstadt sind sowieso dafür“, betonte Georg Niedermeier. Mit Blick auf die technische Lösung in Pfaffenhofen fragte er sich allerdings, wie das mit den Kameras funktioniert bei den Räten, die im wahrsten Sinne des Wortes in der zweiten Reihe im Ingolstädter Sitzungssaal hocken. „Wenn man will, findet man eine Lösung“, meinte Käser. „Ich finde die Möglichkeit gut“, lobte auch Angela Mayr von den Ingolstädter Freien Wählern.
Bürgermeister Herker verwies darauf, dass es in Pfaffenhofen stets ein Anliegen gewesen sei, dass die Beschlüsse einstimmig waren. „Jeder muss mitmachen“, meinte er. Es sei blöd, wenn zwischendurch der Bildschirm schwarz werde, weil einer nicht gezeigt werden wolle. Den Ingolstädter Befürwortern riet er mit Blick auf die Skeptiker: „Reden, überzeugen, Ängste abbauen.“
Der Ingolstädter ÖDP-Stadtrat Franz Hofmaier gab sich zuversichtlich: „Wenn es Pfaffenhofen schafft, sollten wir es auch schaffen.“ Übers Knie brechen solle man das aber nicht. Zudem wies er darauf hin, dass in einer Großstadt wie Ingolstadt wichtige Entscheidungen auch oft in Ausschüssen fallen. Das wirft freilich die Frage nach dem Live-Stream aus allen öffentlichen Sitzungen auf.
Der Pfaffenhofener SPD-Chef Käser hält allen Live-Stream-Skeptikern vor allem eine Frage entgegen: „Warum soll man das nicht machen?“ Man könne doch nicht ein Komplettes Medium – das Internet – ausblenden, nur weil man Angst habe. Und für Käser geht es bei den Gegnern und Skeptikern nur um Angst. Dabei sei der Live-Stream eine Selbstverständlichkeit in der heutigen Zeit.
Man darf nun gespannt sein, wie die Debatte am morgigen Donnerstag weitergeht. In Ingolstadt, wo darüber diskutiert wird, ob der Live-Stream überhaupt kommt. Und in Pfaffenhofen, wo darüber entschieden wird, wie lange die Aufzeichnungen abrufbar bleiben sollen. Wenn es nach der SPD um Käser geht: Am liebsten für immer. Die Pfaffenhofener CSU ist da indes ängstlicher. „Ich habe vor dieser Unendlichkeit eine gewisse Sorge“, befand Altbürgermeister und Stadtrat Hans Prechter in der jüngsten Sitzung, als das Thema schon einmal auf der Tagesordnung stand.
Am Ende wird es morgen in Pfaffenhofen auf einen Kompromiss hinauslaufen, der irgendwo zwischen der aktuellen Archivierungsdauer von einer Woche und der Unendlichkeit liegt. Schwieriger dürfte ein Kompromiss in Ingolstadt zu finden sein. Denn ein bisschen Live-Stream gibt es nicht.