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Wenn das Rechtssystem versagt, versuchen immer mehr Leute über Facebook  zu ihrem Recht zu gelangen. Legitim oder eine unterschätzte Art der Selbstjustiz?

Von Denise Steter

Als Maria Schmid* aus dem Urlaub nach Hause kommt, erwartet sie eine böse Überraschung: Ihr Kater Sammy hat einen tiefen Schnitt über die Brust, ihre zweite Katze Luna zappelt hilflos in der aufgespannten Wäschespinne. Maria kann sie unverletzt befreien. Nachdem sie den ersten Schock überwunden hat, fragt sie sich, wie Luna dort hinein geraten ist. „ Die Katze hat sich definitiv nicht selbst in die Wäschespinne gehängt, die war abgedeckt und zusammengeklappt, als ich weggefahren bin“, sagt sie. Maria glaubt fest daran, dass jemand ihre Katze mutwillig auf diese Weise aufgehängt hat. 

Gleich am nächsten Morgen ruft sie die Polizei und will Anzeige erstatten. Die Beamten laufen flüchtig durch den Garten und werfen einen kurzen Blick auf die Wäschespinne. Dreimal fragen sie nach, ob Maria sich sicher sei, dass die Wäschespinne geschlossen war. Dreimal antwortet sie: „Ja, ganz sicher.“ Doch die Beamten beschließen, keine Anzeige zu erstatten. „Wir haben uns die Katze angesehen und sie wirkte auf uns nicht besonders panisch. Wir glauben daher, dass sie sich beim Spielen selbst in der Wäschespinne verfangen hat“, erklärt ein Sprecher der Polizei Eichstätt.   Maria glaubt nicht daran. Sie sagt den Beamten, sie habe Angst und möchte nicht, dass ihre dreijährige Tochter so etwas zu sehen bekomme. Die Beamten versuchen ihr die Angst zu nehmen: „In Eichstätt passieren so gut wie keine Straftaten, und die Kinder in der dritten Welt sehen jeden Tag tote Menschen. Ihre Tochter wird die Katze in der Wäschespinne überleben.“ Maria fühlt sich nicht ernst genommen und beschließt, ihre Geschichte in der Facebook-Gruppe „Eichstätter Kleinanzeigen“ zu posten: „Passt auf eure Katzen auf! Anscheinend rennt ein Irrer herum.“ 

In sozialen Netzwerken auf Verbrechen aufmerksam zu machen, ist ein Trend, dem in letzter Zeit immer mehr Menschen folgen. Sie versuchen über Facebook oder Twitter mit ihren Posts Gerechtigkeit zu schaffen.  Selbstjustiz im Netz nennt sich das Phänomen, wenn Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, obwohl es doch eigentlich Sache der Justiz ist.Dieser Trend kann eine enorme Schlagkraft annehmen, wie ein Beispiel aus Wilhelmshaven zeigt:  Eine Gruppe Jugendlicher verprügelt ein Mädchen. Jemand filmt die Tat. Er hält fest, wie die Gruppe auf das Mädchen einprügelt, eintritt und es beschimpft. Das Video landet im Internet. Auf Facebook verbreitet es sich in rasender Geschwindigkeit mit dem Kommentar: „Wer kennt einen dieser Menschen?“ Tatsächlich wird einer der Jugendlichen erkannt und seine Adresse öffentlich gemacht. Innerhalb von Minuten befinden sich 40 Menschen vor seinem Haus. Wenig später muss die Polizei die Straße räumen und sperren.

Die Polizei weiß um den Erfolg der sozialen Netzwerke und greift selbst immer darauf zurück, um auf ähnliche Weise Informationen zu sammeln. In Niedersachsen fahndet die Polizei deswegen seit 2012 gezielt mit einer Facebook-Seite. Um den Datenschutz zu wahren, posten sie fast ausschließlich Links zu ihrer eigenen Homepage. Doch in vielen Fällen genügt das schon. „Wir stellen definitiv fest, dass die Fahndungsergänzung über Facebook sehr erfolgreich ist“, sagt Nadine Bunzler, Pressesprecherin des Landeskriminalamt Niedersachsen.  „Wir erreichen innerhalb kürzester Zeit sehr viele Menschen und erhalten eine Vielzahl von Hinweisen, die bei den weiteren Ermittlungen helfen und oftmals zum Erfolg führen.“ Die Polizei kennt aber auch die Gefahren. Deswegen sind nicht alle Polizeistationen in Deutschland von der Fahndung über soziale Netzwerke überzeugt. „Wir haben im Moment aus rechtlichen Gründen keinen Facebook-Auftritt, wegen des Datenschutzes.“, sagt Hans-Peter Kammerer, Leiter des Polizeipräsidiums Oberbayern-Nord, „Ich sehe eine Facebook-Seite aber auch sehr problematisch, da die digitalen Medien viel zu langsam sind.“  Wer ein Problem hat, sollte die Polizei über 110 rufen, meint Kammerer. Das wäre schneller und bedeutend sicherer.

Die Arbeit von Polizei und Privatermittlern unterscheidet die nötige Objektivität. Während die Beamten in der Regel sorgfältig recherchieren und niemanden vorverurteilen, bleibt bei den Hobbyfahndern oftmals die Rachsucht nicht aus, was die Suchenden in die falsche Richtung führen kann.So etwa passierte es vor zwei Jahren im niedersächsischen Emden. Nach der Ermordung eines Mädchens verhaftete die Polizei einen Verdächtigen – in den Köpfen der Bürger stand aber bereits fest, dass der Festgenommene Schuld am Tod des Mädchens habe. So startete der 17-jährige Cornelius D. einen Aufruf auf Facebook: Haut das Schwein tot! Kurze Zeit später vor der Emdener Polizei: Proteste, Lynchparolen, um die 50 Menschen demonstrierten. Doch nur wenige Tage später ist klar, dass der Tatverdächtige nicht der Täter sein kann. Die Anschuldigungen auf Facebook hatten sich da aber schon weit verbreitet. „Das ist natürlich fatal, denn das Internet vergisst nicht“, sagt der Anwalt für Medienrecht Ernst Fricke. 

Wie dieses Beispiel zeigt, kann die Suche im Internet eine Eigendynamik annehmen, die im realen Leben kaum mehr zu kontrollieren ist. Auch wenn Selbstjustiz an sich nicht bestraft wird  kann man sehr wohl für ihre Folgen bestraft werden. „Mit jedem Akt der Selbstjustiz begeht man automatisch eine andere Straftat“, sagt Fricke. Das bedeutet:  Man wird nicht für die Selbstjustiz bestraft, sondern für die Tat, durch die man Selbstjustiz verübt. Meist sind das medienrechtliche Probleme. 

Selbstjustiz beginnt also nicht erst, wenn man einen Täter im realen Leben stellt oder ihn aus eigener Hand für seine Tat bestraft, sondern bereits, wenn man auf Facebook Informationen sammelt und veröffentlicht. Wer Videos, Fotos oder auch nur vage Beschreibungen von Anderen ins Netz stellt, verletzt – sobald die Beschuldigten erkennbar sind – deren Persönlichkeitsrecht und muss mit einer Strafe rechnen. Sogar das Teilen solcher Beiträge ist bereits strafbar, auch wenn das wegen der großen Masse an geteilten Beiträgen eher selten verfolgt wird. Jeder zählt so lange als unschuldig, bis das Gericht zweifelsfrei das Gegenteil festgestellt hat. Auch verurteilte Straftäter haben schließlich noch Persönlichkeitsrechte. Selbst die Polizei braucht einen gerichtlichen Beschluss, um Fahndungsfotos rauszugeben. 

Auch bei Maria in Eichstätt dauerte es keine fünf Minuten, bis die ersten Kommentare zu ihrer Geschichte in Facebook veröffentlicht werden. Schnell stellt sich heraus: Marias Katzen sind nicht die einzigen Opfer. Über den Täter werden erste Vermutungen angestellt: Er ist männlich, hat keinen Akzent und stammt aus der Nähe. Er soll die Katzen die er fängt essen. Bei den Beschreibungen jedoch bleibt es nicht. Schnell fallen erste Drohungen: Der sollte mir mal zwischen die Finger kommen den hänge ich dann mit ner aufgeschnitten Brust auf! schreibt eine Frau, So ein Schwein, mit dem gehört das gleiche gemacht wie er es mit den Katzen gemacht hat!, kommentiert eine andere. „Die User drohen dem Täter in den Kommentaren sehr offen“, sagt Fricke. „Wenn sich der Täter jetzt stellt, dann könnte er gegen alle klagen, die ihn in den Kommentaren auf Facebook bedroht haben.“ 

Angst, verklagt zu werden,  hat Maria aber nicht: „Es wird sowieso niemand gefasst, also ist das kein Problem. Das hatte ich aber schon befürchtet.“ Doch will sie ihre Mitmenschen zumindest warnen: „Jemand, der so etwas macht, sorgt schon dafür, dass ihn keiner dabei beobachtet. Aber ich hoffe mal, dass die Leute jetzt besser auf ihre Tiere aufpassen.“ 

*Name geändert

 


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