Grant und Wahlkampf: Wie ein Artikel in der überregionalen Presse die Pfaffenhofener Gemüter erhitzt
Von Tobias Zell
Der polarisierende Liedermacher Hans Söllner hat seine Bayern und die politische Landschaft schon immer kritisch beleuchtet. Mit viel Wortwitz, beißender Ironie zuweilen und seiner Gitarre. „Mia san no so richtige Bayern, mia stingan noch Kuahstoi und Schnaps. Mia saufan wia de Lecha, und 60er Fans sama a“, dichtete er in einem seiner bekanntesten Songs.
Söllner darf das. Weil er ist Künstler, Rastalockenträger und zu keiner Zeit bereit, sich in irgendein Raster pressen zu lassen – und vor allem ist er Bayer. Und als Bayer, da darfst du freilich mit den weiß-blauen Klischees spielen. Weil du ja dazugehörst. Selbstironie plus künstlerische Freiheit. Mit den Preußen schaut’s da anders aus.
Söllners Bayern-Lied geht so weiter: „ Aufd Nacht, do geh ma zum Fensterln, mit Haferlschuah und Huat. Und a Preiß wenn bloß sei Mei aufmacht, dann hod a Pech g’habt, dann spuckt a Bluad.“
"Selten so verarscht worden"
Der nach Kuhstall stinkende Bayer, der über den Tag verteilt 17 Weizen kippt und sich abends in die Lederbuxn brunzt. Und wenn er mal bloß 13 Bier säuft, dann freilich bloß deshalb, weil er noch schnackseln will. Und erst der bayerische Politiker: Verfilzt, immer mit einem Bein im Zuchthaus, eine Hand wäscht die andere und so weiter. Weil mia san mia. Klischees sind etwas Wunderbares.
Ausgerechnet ein preußischer Journalist war am 1. und 2. Mai in Pfaffenhofen, um für die bekannte überregionale Zeitung „Die Welt“ eine Reportage zu machen. Unter dem Titel „Stefan ohne Erkan in der bayerischen Lokalpolitik“ veröffentlichte der junge Mann aus Berlin, was er so erlebt und recherchiert hat, als er den hiesigen SPD-Bundestagskandidaten Florian Simbeck (bekannt als Stefan aus dem Proll-Duo „Erkan und Stefan“) und den SPD-Landtagskandidaten Markus Käser begleitet hat. Dieser Artikel sorgt nun bei manchem auf bayerisch für an g’scheiden Grant und auf gut deutsch für Zündstoff.
In Facebook überschlagen sich die Kommentare. „Selten ist der Landkreis so verarscht worden“, wettert einer. „Dieser Artikel ist einer der schlechtesten, die ich je gelesen habe“, poltert ein anderer. Journalismus müsse nicht gefallen, sondern polarisieren, findet der nächste. „Bisschen viel Klischees“, analysiert die belesene Frau eines Pfaffenhofener SPD-Stadtrats und Schriftstellers, „aber Chapeau, Markus und Flo.“
Selbstironie: Durch-und-durch-Sozi Käser vor einem CSU-Schrein, in dem im Artikel übrigens auch die Rede ist. Das Bild hat übrigens Simbeck gemacht.
Das mit den Klischees ist freilich so eine Sache. Käser wird in dem Artikel als „astreiner Typ mit Pausbacken“ beschrieben. Über eine DGB-Kundgebung heißt es: „Um zehn Uhr geht’s los (...) Fähnchen schwenken, vielleicht das erste Bier trinken und den Morgendunst wegklatschen.“ Weiter unten steht dann: „Nach zwei Stunden ist die Veranstaltung mit Kaffee und Apfelschorle runtergespült. Das Tschingderassabumm der Kapelle erklingt ein letztes Mal. Gemeinsam singen alle ‚Brüder, zur Sonne, zur Freiheit’. Simbecks Stimme ist dunkel, bassig, es ist sexy irgendwie, dass er so tief singt.“
Auf der Fahrt vom Flughafen München nach Pfaffenhofen kam der Welt-Reporter an Orten mit „putzigen Namen“ vorbei. Claus Hipp sei „natürlich auch“ aus Pfaffenhofen, bemerkt er. Und übers Maibaumaufstellen in Niederscheyern steht: „Die ganze Gemeinde des kleinen Ortsteils ist da. Die Burschen in Lederhosen. Diese Tunnelohrringe sind auch bei ihnen angekommen. Junge Männer mit ausgeprägter Muskulatur. Irgendwie stärker als die ganzen Kreativen in der Hauptstadt. Aber das ist ja immer so, Jungs auf dem Land haben einfach mehr Kraft. Vielen tragen Tätowierungen an den Unterarmen, einige sogar am Hals. ‚Schluckimpfung’, ruft einer.“
Ein Weizen um neun Uhr und ein paar Fehler
Die Terminierung des Besuchs beim Spargelpapst Josef Plöckl im Schrobenhausener Land erfahren wir so: „Es ist neun, als Markus sich ein Weizen bestellt.“ Das Komma fehlt übrigens im Originaltext, aber das ist nicht die einzige orthographische Schludrigkeit. Und auch sachlich sind dem Reporter ein paar bemerkenswerte Fehler unterlaufen. Da wird der Stadtrat Käser flugs zum „Landrat der Stadt Pfaffenhofen“ und die Gemeinde Schweitenkirchen zur Stadt. Die Landtagswahl hat der Autor auf den 15. August verlegt, die Bundestagswahl auf den 22. August. Gewählt wird freilich jeweils einen Monat später.
„Einige Fakten, Orte und Termine hat er scheinbar nicht ganz sauber recherchiert“, meint Käser. Ansonsten seien die Gedanken und der Journalismus bekanntlich frei, ergänzt der SPD-Landtagskandidat. Er kann mit der Story offensichtlich gut leben, während sich sein CSU-Konkurrent Karl Straub gar nicht mehr einkriegt. „Dieser Bericht auf dem Niveau eines Viertklässler-Aufsatzes ist für unsere Heimatregion eine Schande“, schimpft er auf Facebook. „Die angesehene Zeitung ‚Die Welt’ lässt einen Praktikanten aus Berlin einfliegen, um Hofberichterstattung über den SPD-Bundestagskandidaten und seinen ‚Buddy’ zu halten.“ Der Text strotze vor Fehlern.
CSU-Konkurrent Straub ist auf der Palme
„Wir brauchen hier keine drittklassigen Schreiberlinge aus Berlin, die sich im Grunde genommen zwischen den Zeilen nur über die Bürgerinnen und Bürger aus den ‚Orten mit den putzigen Namen’ lustig machen“, ätzt CSU-Landtagskandidat Straub. Und schon einmal in Fahrt, watscht er auch gleich die beiden SPD-Protagonisten Simbeck und Käser mit ab. „Und noch viel weniger brauchen wir hier Politik-Clowns, die meinen, sich das auch noch billigst zu Nutze machen zu können“, wettert er. „Wann macht die Landkreis-SPD endlich seriöse Politik?“ Sie habe ja noch nicht mal verstanden, dass sie sich mit dem Artikel selbst geschadet habe; „ein Verriss par excellence von SPD-Kandidaten und unserer Region“.
Simbeck indes freute sich über eine „ganze Seite“ in der überregionalen Presse. „Etwas geschmäcklerisch und ein paar Kleinigkeiten stimmen nicht“, räumt er ein, „ aber dem erst 24-jährigen Journalisten verzeih ich das gerne.“ Inzwischen hat sich der SPD-Kandidat aber doch noch einmal zu Wort gemeldet. Anlässlich des Artikels und der „vielen einschlägigen Kommentare“ dazu wolle er mit zwei offenbar weit verbreiteten Missverständnissen aufräumen. „Erstens: Ich bekomme kein Gehalt für meine Kandidatur oder mein politisches Engagement. Zweitens: Ich bin beruflich und finanziell sehr gut versorgt und sehe in der Politik nicht meine ‚letzte Chance’. Danke für Eure Aufmerksamkeit.“
Spargelpapst und Mindestlohn
Die Aufmerksamkeit von Straub ist ihm schon mal gewiss. Der lässt an den in der Reportage geschilderten Auftritten von Simbeck und Käser kein gutes Haar. „Die bekennenden und teils exzessiv autofeindlichen Kandidaten der SPD chauffieren den Nachwuchsreporter im SUV (nicht CO2-neutral) durch die Gegend, um Orte aufzusuchen, die definitiv nicht zu ihrer Gesinnung passen – Ausnahme ist natürlich die DGB-Kundgebung“, so Straub. Er verstehe auch nicht, dass man, nur „weil es so schön zum Wahlkampf passt“, einen amtsenthobenen CSU-Bürgermeister (gemeint ist Spargelpapst Plöckl) besucht, der dann auch noch keine genaue Auskunft darüber geben könne, ob den Spargelerntehelfern der „von den beiden Politikgrößen geforderte“ Mindestlohn von 8,40 Euro bezahlt werde oder doch nur 6,40 Euro.
Der Fall Plöckl wird übrigens in dem Artikel so beschrieben: „25 Jahre war der Papst Bürgermeister für die CSU in Schrobenhausen, bis er zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt wurde. Aus der Gemeindekasse hatte er private Geburtstagsfeiern finanziert, den Hof vom örtlichen Roten Kreuz teeren lassen. Veruntreuung heißt das dann vor Gericht, mir san mir, nennen’s die Bayern.“
"Frust-Atheist und sein Bundestags-Azubi"
Straub ist aber noch nicht fertig. In Richtung Käser giftet er: „Was treibt einen Landtagskandidaten und bekennenden Frust-Atheisten zusammen mit seinem Bundestags-Azubi plötzlich zu den Benediktiner-Mönchen ins Kloster Scheyern? Die Hoffnung auf Absolution?“ Und Simbecks Bundestags-Ambitionen kommentiert Straub so: „Ich finde es sehr entlarvend und komisch, dass jemand, der nach Berlin will, diese Stadt als versifft bezeichnet, oder sich total freut, dass seine Tochter aufs Gymnasium kommt, aber die Partei das Schulsystem in die Tonne tritt.“
Wer die beiden SPD-Männer kennt, der weiß: Die Schelte des CSU-Konkurrenten wird an ihnen abprallen. An Käser mehr, an Simbeck weniger – aber dafür hat letzterer ja eine Riesenstory über sich in der Welt, an der er sich erfreuen kann. Von der kann man nun halten, was man will - der Wahlkampf jedenfalls hat begonnen. Das belegt schon der Wirbel, den der Artikel ausgelöst hat.
„Mia san nu so richtige Bayern, und hart wie deutscher Stahl. Mia san fia jeden Scheiß zum hom, Beweis: die letzte Wahl“, sing Söllner. „Mia san nu so richtige Bayern, mit Muskeln, Charme und Grips. Jeden Fehler machma zwar drei moi, jo aba lerna, he, lerna dean ma nix.“