Beim Bürgerdialog der Pfaffenhofener CSU zum Thema Asyl wurde gestern Abend klar: Der Zustrom von Flüchtlingen schwillt weiter an, die Unterbringung wird zur Herausforderung – und man hofft auf Antworten aus der großen Politik, bevor die Stimmung in der Bevölkerung kippt
Audio-Podcast: "Jetzt wird es konkrete Realität" – Interview mit Landrat Wolf
Von Tobias Zell
Dass der Zustrom von Asylbewerbern nicht abreißt und damit auch den Landkreis Pfaffenhofen vor zunehmende Herausforderungen stellt, ist nichts Neues. Im Interview mit unserer Zeitung hatte Landrat Martin Wolf (CSU) ja bereits vor einigen Tagen erklärt, dass die Unterbringung von Flüchtlingen in landkreiseigenen Turnhallen bevorsteht. Bei einem Bürgerdialog zum Thema Asyl, zu dem die Kreisstadt-CSU gestern Abend wurden weitere Details und Zahlen bekannt, die einmal mehr verdeutlichen. Die Situation wird noch viel dramatischer. „Was wir bisher hatten, war der Kindergarten – jetzt geht die harte Realität los“, sagte der Wolnzacher Landtagsabgeordnete Karl Straub (CSU). Er machte auch wenig Hoffnung auf eine Europa-Quote zur Verteilung der Flüchtlinge auf die verschiedenen Länder.
Rund 50 Leute waren gestern Abend zu der CSU-Veranstaltung im Pfaffelbräu am Hauptplatz gekommen, um sich von Wolf und Straub informieren zu lassen sowie mit ihnen zu diskutieren. Der Ortsvorsitzende Florian Schranz stellte gleich zu Beginn klar: „Wir wollen die beste Versorgung unserer Flüchtlinge.“ Doch die Unterbringung und die Betreuung der Asylbewerber vor Ort ist nur eine Dimension. Die andere sind die Fragen: Wie die nicht abebbenden Flüchtlingswellen denn künftig überhaupt noch zu bewältigen sein sollen und was man dagegen – in der großen Politik – tun könnte oder müsste.
Immer wieder wurde auch an diesem Abend wieder deutlich, dass das Mega-Thema Asyl- und Flüchtlingspolitik vor allem auf zwei Ebenen stattfindet. Zum einen auf der bundes-, europa- und weltpolitischen – im Sinne der Frage: Was kann man tun, damit eben nicht mehr Tausende aus ihrer Heimat flüchten? Und zum anderen auf der lokalen Ebene, wo sich viel praktischere Fragen stellen – und zwar vor allem eine: Wo sollen die Flüchtlinge untergebracht werden, die dem Landkreis Pfaffenhofen zugewiesen werden?
Landrat Wolf skizzierte noch einmal die Rahmenbedingungen und lieferte Zahlen. Er wiederholte damit weitgehend die Daten, die er bereits im besagten Gespräch mit unserer Zeitung dargelegt hatte. Aktuell seien im Landkreis 860 Asylbwerber untergebracht. Man ging bislang davon aus, dass es bis zum Jahresende rund ein Prozent der Landkreis-Bevölkerung sein werden, also etwa 1200. Somit gilt es noch Plätze für 340 Flüchtlinge zu schaffen. Bei der Verteilung auf die Gemeinden wird derzeit auch in etwa nach dieser Ein-Prozent-Marke vorgegangen. Von den 19 Kommunen im Kreis haben bislang zwei – Geisenfeld und Münchsmünster – diesbezüglich ihr Soll erfüllt.
Verteilt auf etwa 50 Häuser sowie in der Max-Immelmann-Kaserne in Oberstimm (100 Leute) und auf dem Gelände der ehemaligen Patriot-Stellung der Bundeswehr im Feilenmoos (150) sind die Flüchtlinge derzeit untergebracht. Doch der Zustrom von Asylbewerbern reißt nicht bloß nicht ab, er nimmt zu. Deshalb geht Wolf jetzt schon davon aus, dass der Landkreis bis zum Jahresende mehr als die besagten 1200 Flüchtlinge aufnehmen muss. Und er rechnet damit, dass man bis Mitte kommenden Jahres wohl schon bei zwei Prozent der Bevölkerung sein werde, also bei 2400 Asylbewerbern im Landkreis.
„Wir stehen vor einer Weichenstellung“, betonte Wolf. Häuser und Wohnungen zur dezentralen Unterbringung der Flüchtlinge seien zunehmend schwer zu finden. Bislang sei der Landkreis bei der Einquartierung der Asylbewerber – nicht zuletzt dank der Kasernen – gut dabei und nicht im Verzug. Doch die Lage verschärft sich; denn ab sofort bekommt der Landkreis jede Woche sieben bis zehn Asylbewerber zugewiesen – und zwar ohne zeitlichen Spielraum. Angesichts dieser Aussicht befürchtet nicht nur Wolf, dass man mit dem Suchen und Finden von Häusern und Wohnungen schlicht nicht hinterherkommt – auch, weil der Markt freilich zunehmend leerer wird. Der Landrat bat auch gestern wieder darum, zur Verfügung stehende Gebäude und Räumlichkeiten dem Landratsamt anzubieten.
Können nicht genügend Immobilien angemietet werden, ist klar, was passiert: „Wir werden dann auf Turnhallen und Gewerbebauten ausweichen müssen“, bekräftigt Wolf. Zwar habe man bereits einige gewerbliche Objekte im Visier, doch dass man nicht um die Nutzung von Sporthallen herumkommen werde, daran ließ der Landrat keinen Zweifel. „Das zeichnet sich konkret ab.“ Und Wolf weiß freilich auch: „Wenn wir Turnhallen belegen, bekommen wir eine andere Diskussion.“ Mit dieser Prophezeiung dürfte er Recht haben. Denn wenn Turnhallen plötzlich nicht mehr für den Sportunterricht oder für Vereine zur Verfügung stehen, bekommt die Asyl-Thematik eine bisher nicht erlebte Greifbarkeit im Landkreis.
Und der Abgeordnete Straub wollte da auch nicht drumherum reden. Er geht davon aus, dass im Falle einer Turnhallen-Belegung diese dann auch „sehr, sehr lange“ bestehen bleibt. Nicht nur Manfred „Mensch“ Mayer, Stadtrat von Pfaffenhofen (GfG), sieht „großes Konfliktpotenzial“ in der Bevölkerung, wenn Turnhallen belegt werden. Er fordert einen Notfallplan und sofort Wohnungen für die Bedürftigen. Für Straub wäre die Belegung von Turnhallen eine „Katastrophe“. Er weiß aber auch, dass man zum Beispiel für die Unterbringung von 30 Flüchtlingen 20 Container bräuchte; und den geeigneten Platz dafür.
Straub, der im Landtags-Ausschuss für Verfassung und Recht sitzt und hier speziell für Asylthemen zuständig ist, weiß auch, dass die Ankerkennungsquote bei Asylbewerbern bei 40 bis 50 Prozent liegt. Allerdings gebe es derzeit auch 600 000 nicht anerkannte Asylbewerber, deren Rückführung nicht möglich sei, weil ihr Heimatland unbekannt ist. Wenn Flüchtlinge ihre Mitwirkung verweigern, dann würde Straub ihnen die Leistungen kürzen; nach dem Motto: „Wenn du mir nicht sagst, wo du herkommst, bekommst du 30, 40, 50 Euro Sozialleistungen weniger.“
Er mache aber keinem Flüchtling einen Vorwurf, betonte Straub mehrfach. Doch die Situation in Bayern sei angesichts des Zustroms bereits „extrem angespannt“. Anfang des Jahres sei man noch davon ausgegangen, dass 250 000 Flüchtlinge nach Deutschland kommen; inzwischen habe das zuständige Bundesamt die Zahl auf 450 000 korrigiert – wobei man in politischen Kreisen eher von 500 000 bis 550 000 ausgehe. Und für das nächste Jahr rechne man gar mit bis zu einer weiteren Million Asylbewerbern, die nach Deutschland kommen. Bayern hat davon bekanntlich nach dem Verteilungsschlüssel gut 15 Prozent aufzunehmen.
„Wir diskutieren am unteren Ende der Kausalkette“, sagte Altlandrat Rudi Engelhard (CSU) mit Blick auf die „kriminelle Energie“ der Flüchtlings-Schleuser. Da herrschen seiner Meinung nach „mafiöse Strukturen“ – und die Welt schaue zu. Außerdem habe er, der immer wieder in Namibia ist, selbst gesehen, wie man in Afrika mit schwarzen Arbeitern umgehe – dagegen sei die Einquartierung in einer Turnhalle Luxus.
„Diese Leute dürfen nicht auf Schiffe steigen“, sagte Straub. Die Ablehnungsquote von Asylbewerbern aus Afrika liege bei 99 Prozent. Natürlich müsse man die Bootsflüchtlinge retten, stellte er klar. „Aber wir können sie auch retten und in die Heimathäfen zurückbringen.“ Man könne sich auch dort um sie kümmern. Straub jedenfalls stellt sich sinngemäß auch die Frage: Wie viele Flüchtlinge trage die Bevölkerung noch mit?
Diese Frage stellte auch ein Bürger gestern Abend. Es gebe bereits einen „Schwelbrand in der Bevölkerung“. Und wenn der zu einem Feuer werde, dann würden die Menschen bei der nächsten Wahl ihr Kreuz möglicherweise „ganz woanders machen“. Diese Sorge treibt auch den Abgeordneten Straub um. Man dürfe keinesfalls zulassen, dass rechte Lager aus der Flüchtlings-Problematik Kapital schlagen.
Aber was tun? „Wir können nicht die Fragen beantworten, die Frau Merkel beantworten muss“, betonte Landrat Wolf und machte Mut, die sich vor Ort stellenden Fragen anzupacken. „Wir müssen mehr auf Helfer-Modus umstellen“, lautet sein Appell an die Bürger. „Wir bringen das schon hin, wenn niemand die Nerven verliert.“
Der Pfaffenhofener Menschenrechtler Bernd Duschner räumte ein, dass die wachsende Zahl von Flüchtlingen auch ihm Sorgen bereite. Es gelte, adäquate Lebensverhältnisse für zu bieten, Sprache zu vermitteln und Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen; ansonsten entstünden „Brennpunkte“. Dennoch sieht Duschner in den Flüchtlingen „Chancen für unsere Gesellschaft“.
Eine zeitweise hitzige Diskussion entwickelte sich zwischen Duschner und Straub. Ersterer wollte die weltpolitische Lage erörtern, um klarzumachen, dass man an die Ursachen der Flucht heranmüsse. Die Flüchtlinge seien durch kriegerisches Eingreifen – zum Beispiel im Irak – „produziert worden“, sagte er und führte eine Reihe von Beispielen auf. „Wir schicken niemand in ein Kriegsgebiet zurück“, warf Straub ein. Er forderte aber eine Antwort von Duschner auf die Frage, wie man denn mit nicht anerkannten Flüchtlingen verfahren solle. Straub sinngemäß: Wenn man die nicht anerkannten Asylbewerber zurückführen könne, dann hätte man auch mehr Platz für die, die dringend Hilfe und Zuflucht bräuchten. „Wir werden dem Kosovo nicht helfen, wenn alle jungen Familien von dort nach Deutschland kommen“, so der CSU-Abgeordnete.
Angesichts der anstehenden Belegung von Turnhallen und der immer schwierigeren Frage nach der Unterbringung der Flüchtlinge regte ein Bürger an, man müsse „mehr Druck nach oben“ machen auf die große Politik – „ziviler Ungehorsam“, lautete die Stoßrichtung. Denn es könne doch nicht sein, dass einige Länder von der EU und von EU-Geldern profitieren, aber keine Asylbewerber aufnehmen beziehungsweise sie schlecht behandeln. Straub machte, wie gesagt, wenig Hoffnung auf eine Europa-Quote zur Verteilung der Flüchtlinge. Und auch mit der freiwilligen Aufnahme von Asylbewerbern sehe es bei vielen EU-Ländern schlecht aus. „Absagen durch die Bank“, fasst Straub zusammen.
Deutlich wurde an diesem Abend einmal mehr: Auf lokaler Ebene sind die großen Fragen nicht zu lösen. Aber gerade auf lokaler Ebene muss man die Antworten finden – vor allem bezüglich der Unterbringung von immer mehr Flüchtlingen. „Wir hoffen, dass wir das Mandat der Menschlichkeit und Ihr Mandat bestmöglich vertreten“, sagte Landrat Wolf zum Abschluss der rund zweistündigen Veranstaltung an die Adresse der Zuhörer.
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