Im Gegensatz zu unseren Eltern und Großeltern, die noch wussten, wie man Brot backt, Gemüse einlegt und Obst einkocht, haben heute viele den Umgang mit frischen Lebensmitteln verlernt.
Von Veronika Hartmann
Wer an den Orient denkt, der denkt an Basare. Und tatsächlich, sie sind ein Augenschmaus: In jedem Stadtviertel verwandeln sich mindestens ein Mal in der Woche ganze Straßenzüge in ein üppiges Meer aus Obst und Gemüse, das liebevoll auf Verkaufsständen aufgebaut wird. Zwischen den lauten Rufen der Händler, die ihre Waren anpreisen, prüfen die Kunden die Qualität der massenhaft feilgebotenen Obst- und Gemüsesorten. Kiloweise wandern die Feldfrüchte in die Rollwagen, mit denen die meisten Frauen zum einkaufen gehen. Die Auswahl ist überwältigend, obwohl nur Produkte der Saison angeboten werden. Wer hier im Sommer Orangen sucht wird enttäuscht, findet dafür aber herrliche reife Feigen oder Pfirsiche.
Ein Gang durch einen der vielen Ingolstädter Supermärkte ist nicht weniger beeindruckend. Regal an Regal drängt sich durch die angenehm klimatisierten Verkaufsräume, meterweise reihen sich bunte Verpackungen mit schmackhaft angepriesenen Produkten. Dennoch: „Wo sind denn hier die Lebensmittel?“, wundere ich mich mit einem skeptischen Blick auf einen Bund Petersilie, der hinter einer Plastiktüte weggesperrt sein Leben ausgehaucht zu haben scheint, und einige Tomaten, die in ihrem Kunststoffschälchen eher an das wächserne Abbild von etwas erinnern, was sie nicht sind.
Diese Tomaten sind zwar weit gereist, doch Lebensmittel müssen wachsen: Obst, Gemüse und Korn ebenso wie Fleisch oder Fisch. Meist muss man es verarbeiten, bevor man es genießen kann. Das ist mühsam, war aber das, was einst den Menschen zum Menschen gemacht hat. Der Weg vom Korn zum Mehl ist ein weiter, und es ist viel Arbeit Tomaten einzukochen, damit man ihr sonnenverwöhntes Aroma und ihre Vitamine auch im Winter genießen kann. Deswegen ist es so verlockend, Brot beim Bäcker zu kaufen und Tomaten aus der Dose.
Doch die Lebensmittel in den bunten Verpackungen in den Regalen, bestehen schon lange nicht mehr aus Zutaten, die gewachsen sind, und sie werden nicht hergestellt, um dem Menschen zu nutzen. Profitmaximierung steht im Zentrum, deswegen müssen die Waren billig zu produzieren, lange haltbar und einfach zu lagern sein. Bei der Auswahl der Zutaten bedeutet das nicht nur viel billiges Fett und Industriezucker, auch Geschmacksverstärker und Zusatzstoffe. Im Klartext heißt das: Die Sinne des Konsumenten werden hinters Licht geführt. „Naturidentisch“ heißt „künstlich“.
Die wachsende Zahl an Allergien und Lebensmittelunverträglichkeiten ist eine sichtbare Reaktion darauf. Denn im Gegensatz zu unseren Eltern und Großeltern, die noch wussten, wie man Brot backt, Gemüse einlegt und Obst einkocht, haben viele Menschen den Umgang mit frischen Lebensmitteln verlernt. Backmischungen wandern statt Mehl in den Einkaufswagen und der Kartoffelbrei wird aus Flocken angerührt – die Werbung verspricht, dass das einfacher sei. Wer das regelmäßig tut, verlernt den Geschmack von Selbstgemachtem und begibt sich in Abhängigkeit der Lebensmittelindustrie.
Deswegen wird in vielen Elternhäusern gebacken, eingelegt, eingekocht und getrocknet und genießt man das Wintergemüse mit seinem hohen Anteil an Vitamin C, während man sich im Sommer über leichte Sommersalate und Obst freut. Diese Familien wünschen sich, dass auch Schulen und Kindergärten eine Vorbildfunktion übernehmen. Schulgärten und Schulküchen sind dafür ein Muss. Denn im Mittelpunkt der Ernährung sollte der Mensch stehen, nicht wirtschaftliche Interessen.
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Veronika Hartmann ist freie Journalistin und Übersetzerin. Nach ihrem Abitur am Christoph-Scheiner-Gymnasium in Ingolstadt zog es sie in die große, weite Welt: Über München und Bremen führte es die gebürtige Göttingerin an den Bosporus. Heute lebt sie in Istanbul und Ingolstadt, frei nach dem Motto: „Auf einem Bein kann man nicht stehen.“