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Die oberbayerischen Kreise sehen sich angesichts des nicht abreißenden Zustroms von Flüchtlingen "am Anschlag" – bis Jahresende müssen aber wohl weitere 36 000 Asylbewerber untergebracht werden

Von Tobias Zell

„Wie soll das denn weitergehen?“, wird der Fürstenfeldbrucker Landrat Thomas Karmasin (CSU) angesichts des nicht abreißenden Zustroms von Flüchtlingen und der damit verbundenen Herausforderungen immer wieder gefragt. Bei einem Pressegespräch in Siebenecken bei Pfaffenhofen räumte er heute freimütig ein: „Ich habe noch nie bei einem Thema so dauerhaft keine Antwort gewusst.“ 

Martin Wolf (CSU), sein Pfaffenhofener Amtskollege, kündigt derweil an, er stehe in seinem Landkreis vor der Belegung von Turnhallen und könne außerdem bei der Unterbringung von Flüchtlingen künftig nicht mehr auf die gerechte Verteilung in den 19 Gemeinden achten. Karmasin wiederum hat in und um Fürstenfeldbruck die Turnhallen bereits durch, wie er berichtet. Die, die in Frage kämen, seien schon belegt. Aktuell prüfe man notgedrungen, ob eine Tiefgarage als Not-Unterkunft in Frage kommt.

70 000 Flüchtlinge in zwei Wochen

Christoph Hillenbrand, der Regierungspräsident von Oberbayern, liefert die Zahlen. 70 000 Flüchtlinge seien in den vergangenen zwei Wochen allein am Hauptbahnhof in München angekommen. Seit der Einführung der Grenzkontrollen seien es zwar „nur“ mehr 1000 am Tag, doch das sei nicht mehr als „angespannte Ruhe“. Aktuell seien in Oberbayern 34 600 Flüchtlinge untergebracht. Lege man die Prognose zugrunde, wonach heuer insgesamt eine Million Flüchtlinge nach Deutschland kommen, dann würde das für den Bezirk bedeuten, dass bis Ende des Jahres weitere 36 000 Plätze geschaffen werden müssten – binnen 3,5 Monaten, wohlgemerkt. 

„Landräte sind nicht gewählt, um wehleidige Statements abzusondern“, sagt der Fürstenfeldbrucker Kreischef Karmasin. „Aber wir sind alle an einem Punkt angelangt, an dem wir die Grenze der Belastungsfähigkeit unserer Ämter und Landkreise erreicht haben.“ Karmasin ist zugleich der Vorsitzende des oberbayerischen Bezirksverbands im bayerischen Landkreistag. Der trifft sich alle zwei, drei Monate und war heute vor den Toren Pfaffenhofens zusammengekommen.

"Reizen die letzten Möglichkeiten aus"

Die geplante Tagesordnung – unter anderen hätte es um Gebühren für verkehrsrechtliche Anordnungen bei Treibjagden gehen sollen – wurde beiseite geschoben. Es ging angesichts der aktuellen Lage einzig und allein um die Themen Asyl und Zuwanderung. Karmasin sprach bei der anschließenden Pressekonferenz für die 20 oberbayerischen Kreise, als er sagte: Man wisse nicht mehr, wie man angesichts der Geschwindigkeit des Zustroms die Flüchtlinge menschwürdig unterbringen solle. „Wir reizen die letzten Möglichkeiten aus.“ 

„Wir sind am Anschlag“, sagt Karmasin. Mehrfach fällt diese Formulierung im Laufe dieser Pressekonferenz. Und das sei auch das Signal, das die oberbayerischen Landkreise unmissverständlich aussenden wollten: „Wir sind am Anschlag.“ Man sei dankbar für die eingeführten Grenzkontrollen, die würden den Zustrom eventuell verlangsamen. Doch Karmasin will eines auch klar sagen: Die Frage sei doch nicht, ob es eine Million Flüchtlinge in Deutschland geben werde – sondern lediglich wann. Denn Prognosen beziehen sich auf Kalenderjahre. Die Kriege und Konflikte aber, wegen denen die Menschen zu Hunderttausenden ihre Heimat verlassen, die enden ja nicht an Silvester.

"Würden uns erkennbare Richtung wünschen"

Deshalb fordert man klare Bekenntnisse, vor allem von der Bundesregierung. Die müsse den Kommunen Perspektiven aufzeigen: wie, wann, und wie lange. Die pauschale Behauptung „Wir schaffen alles“ sei jedenfalls mit der Realität nicht in Einklang zu bringen, so Karmasin. „Wir müssen vor Ort massiv handeln“, rief er der großen Politik zu. Und dazu brauche man Rückendeckung. Dem schließt sich der Pfaffenhofener Landrat Wolf an: „Wir würden uns eine klare, erkennbare und strategische Richtung wünschen, die für ganz Deutschland gilt.“ 

Entscheidend sei, „dass wir handlungsfähig gemacht werden“, fordert Karmasin. Wenn man die Menge der nötigen Flüchtlings-Unterkünfte tatsächlich generieren wolle, dann müsse man sich von gewissen baurechtlichen Vorgaben verabschieden. Das fordere auch der bayerische Landkreistag, wie dessen Vize-Geschäftsführerin Maria Wellan betonte.

"Können das nie und nimmer einhalten"

Nächstes Handlungsfeld: Die Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. „Wir sind weitest entfernt davon, die Standards zu erfüllen, die das Jugendhilferecht vorsieht“, sagt Karmasin. „Wir können das nie und nimmer einhalten.“ Entweder man müsse die geforderten Standards ändern oder die Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen anderen Regelungen unterstellen.

Regierungspräsident Hillenbrand hat grundsätzlich eine klare Botschaft vor dem Hintergrund der angespannten Lage. Es gelte, bei der Unterbringung von Flüchtlingen alle Möglichkeiten zu nutzen – von Jugendherbergen bis hin zu leerstehenden Supermarkthallen, im Notfall Turnhallen oder Thermozelte. Er unterstrich auch, wie hoch der Zeitdruck sei: „Manchmal geht es um Stunden.“ 

Durch die eingeführten Kontrollen verschiebe sich die Lage nun an die Grenze, berichtete Hillenbrand. Freilassing werde zum wichtigen Punkt. Während des Oktoberfests gelte es, die Flüchtlinge möglichst an München vorbeifahren zu lassen, sie mit Sonderzügen oder „humanitären Regelzügen“ in zwei Verteilzentren in Deutschland zu bringen. 

100 000 Syrer auf Wohnungssuche in Oberbayern?

Hillenbrand denkt aber auch schon wieder einen Schritt weiter und hat die Wohnungssituation in Oberbayern im Visier. Den Prognosen zufolge kommen heuer alleine 30 000 syrische Flüchtlinge nach Oberbayern. Die werden schnell anerkannt und dürfen damit aus ihren Asyl-Unterkünften ausziehen. „Sie suchen dann nach Wohnraum in Oberbayern.“ Weil in der Regel die Familien nachgeholt werden dürfen, müsse man die Zahl der Personen mit drei oder vier multiplizieren. Hillenbrand veranschaulicht: „Eine Großstadt wie Ingolstadt ist dann allein in Oberbayern auf Wohnungssuche.“

Man brauche Geld und Rahmenbedingungen, um Wohnraum zu schaffen, so Hillenbrand. Wellan, die Vize-Geschäftsführerin des bayerischen Landkreistags, kann das nur untermauern. Bei zirka 80 000 nötigen Wohnungen im Freistaat sehe man einen Förderbedarf von drei Milliarden Euro. Sie bestätigt zudem den Personalmangel in den Behörden zur Bewältigung des Flüchtlings-Zustroms. Auch sie sieht „alle am Anschlag“. Und dann geht es ja auch noch um die Integration.

Weiterer Beitrag zum Thema:

"Uns steht die Belegung einer Turnhalle ins Haus"


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