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Die studierte Medizinerin Tatjana Lee stellt im Rathaus von Ilmmünster bemerkenswerte Gemälde aus

Von Tobias Zell

In der Kunst gilt generell: Man lasse sich bloß nicht irritieren von Ausstellungs-Titeln. Das kann einem hier, im Rathaus von Ilmmünster, aber kaum passieren. „Spiegelbilder“. Oder eben doch? Spiegelbilder ist, sagen wir es mal wertfrei, eine Überschrift, die in der Kunst irgendwie immer geht. Es muss aber deshalb noch nichts Schlimmes bedeuten, wenn eine Künstlerin – in diesem Falle Tatjana Lee aus Pfaffenhofen – dieses Motto wählt, um ihre Werke – in diesem Fall Gemälde – zu exponieren. Spiegelbilder also. Und die Frage: Ist nicht im Grunde jedes Werk eines Künstlers in gewissem Sinne ein Spiegelbild? Seines Schaffens. Seiner Zeit. Seiner Gemütslage. Oder gerne auch andersrum: Ist nicht das, was wir als Betrachter in einem Kunstwerk sehen, auch immer ein bisschen Spiegelbild unserer eigenen Situation? Ein Kunstwerk kann uns, wenn wir es in verschiedenen Gefühlslagen beäugen, immer wieder andere Dinge offenbaren – je nach Tagesform, Stimmung, Lebenserfahrung oder Alkoholpegel.

„Spiegelbilder“ lautet jedenfalls der Titel der Ausstellung von Tatjana Lee, die jetzt im Rathaus von Ilmmünster präsentiert wird. „Der Mensch ist ein Lebewesen, das von Geburt an die Mimik seines Gegenübers spiegelt. Dafür sorgen so genannte Spiegelneuronen im Gehirn, die essentiell für das Erlernen des Sozialverhaltens und der zwischenmenschlichen Kommunikation sind.“ So erklärt die Künstlerin, studierte Medizinerin mit deutsch-koreanischen Wurzeln, das Thema ihrer Bilderschau.

Gestern Abend war Vernissage. Mit Prosecco und Häppchen. Die Stimmung gut und erfreulich unverspannt. Für Musik sorgten zwei Töchter der Künstlerin, sangen französische Lieder, die natürlich kaum einer verstand – was aber irgendwie weltläufig wirkt im beschaulichen Ilmmünster, wo vom gegenüberliegenden Döner-Laden der internationale Duft herüberweht. Bürgermeister Anton Steinberger (CSU) begrüßte die Gäste, wies darauf hin, dass dies schon die siebte Ausstellung in dem erst im Sommer 2013 eröffneten neuen Rathaus ist, und ließ wissen, dass es seine Stellvertreterin Brigitte Wallner (CSU) war, die Tatjana Lee samt ihrer Werke hierhergelockt hat. Steinberger schwang sich – Schuster, bleib bei Deinen leisten – auch gar nicht erst auf, über die Exponate zu philosophieren. Man will ihm keinesfalls Unrecht tun, vielleicht hat er sogar Ahnung und hält sich nur gern zurück – die Erfahrung lehrt allerdings, dass es allzu oft in einem rechten Geschwurbel endet, wenn Bürgermeister über Kunst reden (wollen). 

Nein, dieses Feld wurde am gestrigen Abend Alexander Bálly überlassen, dem Holledauer Heimat-Autor, der unter anderem durch den Krimi „Der Tote am Maibaum“ mindestens regionale Bekanntheit erlangt hat. Der Ausstellungs-Titel „Spiegelbilder“ sei Programm, stimmte er auf die Bilder von Tatjana Lee ein, fabulierte ein bisschen über Spiegel und deren Magie, nicht ohne sich zuweilen in seinem roten Faden zu verheddern. Auch ihm muss man aber nicht Unrecht tun, weil das, was er da proklamierte, schon ganz gut passte und gedanklich durchaus den Weg zu der anschließenden Begutachtung der Werke ebnete. Zumindest für die, deren Intention über das bloße Anschauen hinausgeht.

„Spiegel haben uns Menschen zum Menschen gemacht“, verstieg sich Bálly in eine – er merkte es selbst – „steile These“, um ein wenig zu relativieren: Menschen erkennen sich im Spiegel, was in der Tierwelt zum Beispiel nicht jedes Geschöpf hinkriegt. Spiegel helfen uns, eröffnen aber auch den fließenden Übergang zur Eitelkeit. Spiegel seien wahrhaftig, aber sie zeigten halt auch immer nur einen Ausschnitt beziehungsweise die Oberfläche.

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Die Bilder von Tatjana Lee sind für Bálly  ein „Spiegel der Seele“.  Dieser Diagnose mag der angetane Betrachter durchaus zustimmen. Der weniger Begeisterte wird zumindest einräumen müssen, dass das Gegenteil schwer beweisbar sein dürfte.  Bálly attestierte den dargestellten Gesichtern „wenig Individuelles“ und prophezeite dem Betrachter deshalb eine Korrelation zur eigenen Gefühlslage, zur eigenen Empfindung. Er lud schließlich sogar zu einer Entdeckungsreise zum eigenen Ich.

Tatjana Lee wurde 1972 in München geboren. Durch die koreanische Mutter und den deutschen Vater hatte sie die Möglichkeit, im Spannungsfeld zweier Kulturen aufzuwachsen. Die promovierte Medizinerin gelangte über Corporate Design und Webdesign letztlich zur bildenden Kunst und widmet sich seit 2008 ganz ihrer künstlerischen Tätigkeit. Ihr Ziel sei es, sagt sie, Gefühle in Bilder zu fassen und den Betrachter dadurch zu berühren. Als Werkzeug dient ihr dabei neben Leinwand und Farbe auch medizinisches Hintergrundwissen, etwa im Bereich der Psychologie und Neurologie.

Die zumeist mit Acrylfarbe dargestellten Gesichter mit emotionsreichen Ausdrücken sollen herausfordern, sich mit der unterbewusst hervorgerufenen Spiegelung auseinanderzusetzen, sie zuzulassen oder sich dagegen zu wehren. „Der Betrachter ist Teil des jeweiligen Bildes“, sagt Lee. „Je nachdem, in welcher Stimmungslage der Besucher die Ausstellung betritt, erscheinen ihm die Bilder freundlich oder bedrohlich und verstärken die mitgebrachten Gefühle in die eine oder andere Richtung.“ Neben dem Gesichtsausdruck ist es auch die Farbe der Werke, die das Unterbewusstsein kitzelt. Ein aggressives Rot ruft freilich andere Gefühle hervor als ein beruhigendes Braun. Man weiß das spätestens aus den Ratgebern, die einem sagen, welches Zimmer man am besten in welcher Farbe streicht.

Hinzu kommt das handwerkliche Können von Tatjana Lee. Unterm (Pinsel-)Strich gelingt es ihr, eben nicht zu portraitieren, sondern Gefühle einzufangen. Und ja, wer mag, der kann das als Spiegel zur Seele apostrophieren. Vor allem die großformatigen Werke eröffnen indes noch eine zusätzliche Dimension: Die Betrachtung aus der Nähe lässt verschwimmen und verwirrt mitunter, offenbart aber eher den Schaffensprozess. Tritt man dagegen ein paar Schritte zurück, eröffnet sich eine neue Perspektive auf das Ganze, Verwirrungen lösen sich auf, Unklares wird klarer, Diffuses bekommt Konturen.

Warum aber gerade Gesichter? „Ein Gesicht zu lesen ist überlebenswichtig für den Menschen“, erklärt die Künstlerin. „Er ist so trainiert darauf, dass er selbst in Kaffeeflecken oder in einer Holzmaserung ein detailliertes Gesicht erkennen kann.“ In Sekundenbruchteilen habe man Mitmenschen eingeschätzt und es genüge ein kurzes Zucken der Mundwinkel oder einer Augenbraue, um seine Meinung zu revidieren oder sein eigenes Seelenleben zu offenbaren. „Ich denke, es ist diese wortlose, unbewusste und unverfälschbare Kommunikation, die mich an Gesichtern fasziniert.“

Die Ausstellung „Spiegelbilder“ von Tatjana Lee ist bis 8. Januar montags bis mittwochs und freitags von 8 bis 12 Uhr sowie donnerstags von 14 bis 18 Uhr im Rathaus von Ilmmünster (Freisinger Straße 3) zu sehen. Der Eintritt ist frei. Die Bilder sind zu erwerben; Preislisten liegen aus. Weitere Infos zur Künstlerin unter: tatjanalee.com


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