Aber mit jedem einzelnen Fahrzeug, das auf die Straße kommt, verändert sich die „Chemie“ der Stadt
Von Veronika Hartmann
Mit 18 hat man noch Träume. Meine Klassenkameraden träumten vom Führerschein und dem ersten eigenen Auto. Ich von Interrail und Flugreisen. Sehr viel hat sich daran nicht geändert. Die meisten haben sich ihren Traum bald erfüllt, so auch ich, als ich per Bahn, Schiff und Flugzeug fast ganz Europa bereiste. Bis heute habe ich keine Fahrerlaubnis, sie hat mir auch nie gefehlt.
Stattdessen sticht mir ins Auge, wie sehr sich die Städte aber auch die Menschen selber am Auto orientieren. Ein Leben ohne motorisiertes Fahrzeug kann sich kaum jemand vorstellen, in Ingolstadt schon gar nicht. Wie soll man sonst ins Grüne kommen oder in den Bioladen? Zurück zur Natur will man mehr denn je, aber nach wie vor lieber nicht zu Fuß. Der vegane Einkauf verschwindet ebenso im Kofferraum des Pkw, der gar nicht so abgasfrei ist, wie gedacht, wie die Wanderausrüstung für den nächsten Ausflug in die Berge.
Das ist natürlich nicht unverständlich und gerade in einer Stadt wie Ingolstadt, die ihr gesamtes Schicksal an einen Autobauer geknüpft sieht, nicht gerade erstaunlich. Doch mit jedem einzelnen Fahrzeug, das auf die Straße kommt, verändert sich die „Chemie“ der Stadt – und ich rede nicht von Umweltverschmutzung. Viel mehr davon, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten der gesamte Alltag so umstrukturiert hat, dass er ohne Auto kaum noch zu bewältigen ist. Angefangen damit, dass es in Ingolstadt einen eher verbesserungsfähigen öffentlichen Nahverkehr gibt. Das Streckennetz ist schlecht ausgebaut und die Busse fahren so selten, dass man, wenn man ihn gerade verpasst hat, es zu Fuß innerhalb des Stadtgebiets genau so schnell zum Zielort schafft. Bei den gesalzenen Preisen für eine Fahrt eine echte Alternative, noch dazu so gesund.
Dadurch, dass immer mehr Menschen einen eigenen fahrbaren Untersatz haben, ändert sich auch das Kauf- und Freizeitverhalten. Während man früher auf den Tante-Emma-Laden an der Ecke angewiesen war, locken heute eher die großen Supermärkte oder die Discounter am Stadtrand mit ihrem riesigen Angebot. Statt kleiner, tragbarer Mengen, spart man heute durch Großpackungen. Was das für Tante Emma bedeutet, wissen wir alle. Ähnlich verhält es sich auch mit der Innenstadt, die gegen die riesigen Malls mit ihren unendlichen Parkmöglichkeiten, Kinderbetreuung und Warenangebot kaum noch eine Chance hat – ist die Bevölkerung mobil, ist sie nicht angewiesen, in die verhältnismäßig gut angebundene Innenstadt zu fahren. Das Sterben der Innenstädte ist eine Folge davon. Aber durch das Verschwinden der fußläufig zu erreichenden Geschäfte steigt auch der Zwang das Auto zu nutzen.
Übrigens verdrängt die Konzentration auf den Individualverkehr nicht nur Infrastruktur, die auf Fußgänger angewiesen ist, sondern auch ganz konkret rauben die Autos viel Platz für anderes. In Ingolstadt gibt es rund 6600 Parkplätze, dabei sind das noch nicht einmal ausreichend viele, klagen Autofahrer. Geht man davon aus, dass jeder Stellplatz über zehn Quadratmeter groß ist, ist das eine enorme Fläche, welche der Allgemeinheit verloren geht. Wer weiß, wie viele Menschen man ernähren könnte, wenn man darauf nachhaltige Landwirtschaft betreiben würde. Mit einiger Kreativität könnte man sich tolle Utopien über die autofreie Stadt ausdenken, denn sie ist keine Unmöglichkeit, sondern die Zukunft, davon bin ich überzeugt. Wie anders, wie entspannt könnte es sein: Ohne Stau, ohne Parkplatzsorgen und ohne Unfallopfer!
Und keine Angst: Wer an Vorsprung durch Technik glaubt, der findet auch eine Alternative zum Autobau. Wer weiß? Vielleicht ja Straßenbahnen, fliegende Skateboards oder Ufos!
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Veronika Hartmann ist freie Journalistin und Übersetzerin. Nach ihrem Abitur am Christoph-Scheiner-Gymnasium in Ingolstadt zog es sie in die große, weite Welt: Über München und Bremen führte es die gebürtige Göttingerin an den Bosporus. Heute lebt sie in Istanbul und Ingolstadt, frei nach dem Motto: „Auf einem Bein kann man nicht stehen.“