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Die „apokalyptischen Reiter“ blasen in Ingolstadt zur Revolution – mehr oder weniger beherzt. 

Ein Kommentar von Michael Schmatoch 

Wollt ihr euch lieben und ehren in guten wie in schlechten Zeiten? Diese Frage aus der katholischen Hochzeits-Zeremonie dürfte man im Ingolstädter Stadtrat wohl nicht stellen, ohne eine ernüchternde Antwort zu bekommen. Weder in guten noch in schlechten Zeiten ist da etwas zu spüren von gegenseitiger Wertschätzung und Achtung. Zynismen und Beleidigungen gehören zum festen Repertoire, sind an die Stelle getreten von sachlicher und fairer Auseinandersetzung. Der Attitüde der Mehrheit, Entscheidungen durchzuboxen, ohne sich ernsthaft mit den Argumenten der Opposition auseinandersetzen zu wollen und auch zu müssen, steht der Frust der Unerhörten gegenüber, die sich zudem auch noch bewusst desinformiert fühlen.

Die politische Kultur, wenn man sie spaßeshalber mal so bezeichnen will, hat sich gewandelt, drastisch verändert, Opposition und Regierungsbank haben sich den Krieg erklärt. Und der wird härter und schmutziger mit jedem Tag, an dem sich die Krise um Klinikum und einzelne Stadträte immer deutlicher zu einem gigantischer Berg auftürmt und der Abgas-Skandal bei Audi und VW das seine tut, auch noch finanzielle Sorgen beizumischen.

Bezeichnend war schon die Weihnachtssitzung des Stadtrats, in der ein Peter Springl von den so genannten Freien Wählern seine Haushaltsrede zu einem Generalangriff auf die SPD missbrauchte und die CSU in Sachen Bürgergemeinschaft nachlegte. Und jetzt die Gegenoffensive der Oppositionsparteien SPD, Bürgergemeinschaft (BGI), Grünen und ÖDP, die mit ihrem Fragenkatalog nicht nur demonstrieren wollen, dass sie sich schlecht bis gar nicht informiert fühlen, sondern zudem auch vor einem Vokabular nicht zurückschrecken, das den Gegenschlag des Imperiums geradezu provoziert. 

Wie lange der Schulterschluss der vier „apokalyptischen Reiter“ hält, muss sich weisen. Denn schon bei der gestrigen Pressekonferenz haben sich Sollbruchstellen aufgetan. Während SPD und BGI nicht davor zurückschrecken, mit dem Wort Korruption auch in Richtung Oberbürgermeister zu operieren, sind die Grünen da eher zurückhaltend. Und die ÖDP fühlt sich ohnehin eher in einer Beobachterrolle, wie Franz Hofmaier es formulierte. Was also eine im neuen Jahr geplante gemeinsame Fraktionssitzung bewirkt, bleibt abzuwarten.

Bei drei der vier Revoluzzer besteht zumindest Einigkeit in einem Punkt: Die politische Kultur ist nicht mehr zu retten. Und: Ein Politikwechsel muss her. Das sagte Petra Kleine von den Grünen unmissverständlich, während Achim Werner (SPD) sozusagen mit der Gesamtsituation unzufrieden ist. Was ungefähr das gleiche ist.

Er war mal der Staatsfeind Nummer 1, bevor er von Christian Lange (BGI) souverän überholt wurde, der sich wortgewaltig in den Stadtrat "gepöbelt" hat. Und Lange steht auch am Anfang einer Entwicklung im Ingolstädter Stadtrat, die mit unangenehmen Fragen und verbissener Nachhaltigkeit dazu beitragen soll, dass der Stadtrat wieder zu dem wird, was er vielleicht in grauer Vorzeit einmal war: zu einem Gremium, in dem Entscheidungen getroffen werden. Die werden längst in Fraktionssitzungen der Koalition, in den Verwaltungsräten der unzähligen Töchter und informellen Besprechungen gefällt. Das Plenum hat, was politische Entscheidungen betrifft, eher eine demokratische Feigenblatt-Funktion. Und da kann sich die Opposition natürlich den Mund fransig reden, bewirken kann sie in den allermeisten Fällen nichts.

Das frustriert auf Dauer gewaltig. Und so ist der „Schulterschluss“ eine nachvollziehbare Reaktion. Auch die, dass sich nach der Bürgergemeinschaft auch die anderen Oppositionellen des BGI-Repertoires bis hin zu juristischen Schritten bedienen, das Christian Lange als erster genutzt hat. Er war es, der die Büchse der Pandora aufgemacht hat. Und er hat seine Prügel dafür bekommen und bekommt sie noch.

Vor den Karren spannen – wie Peter Springl von den FW vermutet – muss Lange die anderen Oppositionellen aber nicht. Die gehen den Weg aus ureigener Frustration mit. Wie es sich anfühlt, vor einen Karren gespannt zu werden, bis die Riemen ins Fleisch schneiden, dass weiß indes keiner besser als Springl, der Haflinger der CSU, der nicht zuletzt deshalb so vehement gegen die Bürgergemeinschaft schießt, weil er spürt, sie könnte die neue FW werden, während er die Freien Wähler mit der Behändigkeit einer Bergziege an die Wand fährt.

Das Anschmiegen an die große Schwester CSU, das hat auch schon Peter Gietl virtuos beherrscht. Bei ihm und Joachim Genosko jedoch war das ein intelligenter Flirt und bei Weitem nicht ein so durchschaubares Anbiedern und Befehlsempfänger-Gebaren. Man muss zwar mit den Wölfen heulen, wenn man mit ihnen fressen will, aber man darf nicht mit ihnen schlafen, sonst wir man gefressen.

Im freien Fall sucht man selbstredend verzweifelt nach der Reißleine. Kleiner Fallschirmspringer-Tipp: Die befindet sich meist am eigenen Fallschirm und nicht an dem der anderen. Springl vermutet nicht ganz zu Unrecht, dass die Freien Wähler bis zur nächsten Kommunalwahl auf eine homöopathische Größe geschrumpft sein und in der politischen Bedeutungslosigkeit versinken könnten. Und es gibt einige, die diesen Kurs bei den FW mit brennender Sorge sehen.

Denn eines hat die Bürgergemeinschaft den Freien Wählen längst voraus: ein eigenes Profil. Ob man das nun mag, ob man sich das Vokabular und die politische Impertinenz von Christian Lange zu eigen macht oder nicht, das ist vollkommen unerheblich. Seinen Marktwert und den der BGI steigert es in jedem Fall. Und ob man ein Fußballspiel mit Fouls gewinnt oder nicht, das zählt am Ende des Tages nicht. Was zählt, sind die Punkte.

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