SPD, Grüne, Bürgergemeinschaft und ÖDP stellen knallharte Fragen und wollen im Grunde den Machtwechsel in der Stadt
(ty) Die Opposition probt in Ingolstadt den Aufstand. Und das ganz massiv mit Fragen, die ans Eingemachte gehen. Ist der amtierende Oberbürgermeister von Ingolstadt korrupt? Diese Frage wollen die Oppositions-Parteien SPD, Grüne, Bürgergemeinschaft (BGI) und ÖDP beantwortet wissen. Zwar haben sie sich in ihrer heutigen gemeinsamen Pressekonferenz lange gewunden und waren sich auch nicht einig, ob sie das wirklich so knallhart formuliert wissen wollen. Am Ende aber war es doch eine der Erkenntnisse, die sich die vier Parteien von der Beantwortung ihres umfangreichen Fragenkatalogs erwarten, dessen ersten Teil sie heute vorgestellt haben. "Wenn sie es so formulieren, die Frage stellen wir", sagte Achim Werner (SPD) wörtlich. Und Petra Kleine von den Grünen, obschon sie beim Thema Korruption meinte, die Frage hätte sie so nicht formuliert, ging im Grunde noch weiter. Denn sie fordert in Ingolstadt nicht weniger als einen politischen Machtwechsel. Denn mit dem präpotenten Gebaren von CSU und FW sei die politische Kultur in Ingolstadt nicht mehr zu retten.
Achim Werner sagte eindeutig: „Wir stellen das ganze System in Frage. Wir werden nicht mehr hinnehmen, was uns da vorgekaut wird. Unser Bestreben ist es, dass die Öffentlichkeit merkt, dass es auch etwas anderes gibt als die Von-oben-herab-Politik, wie sie seit Jahren im Rathaus betrieben wird.“ Und die nannte der SPD-Mann „Filzokratie“ und „Vetternwirtschaft“.
Auch Werner stellte den Ingolstädter Oberbürgermeister Christian Lösel (CSU) gehörig in Frage. Es sei merkwürdig, dass ein OB sich zum Chefaufklärer aufschwinge und die Verwaltung auffordere, mit der Staatsanwaltschaft zusammenzuarbeiten. "Ja, was sollen die denn sonst tun?", fragt er rhetorisch. "Vielleicht will er damit ablenken von seiner eigenen Rolle, die er in dem ganzen Skandal spielt. Wir werden es ihm nicht durchgehen lassen, dass er sich da einfach auf die Seite stellt."
Alt-OB Alfred Lehmann (CSU) habe Lösel als engsten Mitarbeiter in die Verwaltung geholt, habe zusammen mit ihm und den beiden Ehefrauen ein Unternehmen gegründet mit einem Stammkapital von einer Million Euro. „Die sind ganz eng beieinander. Lösel hat eigens eine neue Position für Lehmann geschaffen, einen weiteren stellvertretenden Vorsitzenden des Verwaltungsrats der IFG. Den hat es vorher nicht gegeben. Und wie Lehmann seine Positionen benutzt hat, das ist Gegenstand der staatsanwaltlichen Untersuchungen.“
Lehmann und Lösel machten gemeinsam Geschäfte. Und wenn man dem einen Partner vorwerfe, dass er seine Ämter ausgenutzt habe, um Geschäfte zu machen, dann müsse man natürlich die Frage stellen: Was hat der andere damit zu tun?
Für Petra Kleine ist der „Schulterschluss“ der Opposition die logische Konsequenz der letzten eineinhalb Jahre. „Der Rücktritt von Alfred Lehmann als Stadtrat ist eine der schwersten Erschütterungen in der Ingolstädter Stadtrats-Geschichte.“ Und neben dem juristischen sieht sie auch politischen Handlungsbedarf. „Das ist nicht nur eine Krise der CSU, sondern der politischen Kultur.“ Begünstigt durch gewisse politische Fehlentwicklungen, die Hybris von CSU und FW und durch die kontinuierliche Aushöhlung des Stadtrats.“
Als einzigen Ausweg sieht Kleine einen Politikwechsel, denn mit CSU und FW sei weder ein Kurswechsel, noch ein anderer Umgang oder eine streitbare politische Kultur möglich. Koalition und die Spitze der Verwaltung setzten nur noch auf Beleidigungsrhetorik und Machtgebaren. „Und spielt auch noch in der schweren politische Krise die beleidigte Leberwurst.“
Kleine wolle künftig jeden Stadtratsbeschluss, der nicht zeitgerecht umgesetzt werde, über dienstaufsichtrechtliche Prüfungen thematisieren. „Jetzt helfen nur noch juristische Mittel“, betonte sie. Lösel wünsche sie einfach nur „mehr Rückgrad“.
Eine Vertrauenskrise sieht auch Christian Lange von der Bürgergemeinschaft, der es nach eigenen Worten leid ist, dass in Ingolstadt Nicht-Öffentlichkeit zum Verheimlichen und Vertuschen genutzt werde. „Wenn es darum geht, das System Ingolstadt als korruptes System vermutlich zu entlarven, dann müssen wir die Öffentlichkeit mitnehmen“, meinte er. „Wir fordern, dass der Stadtrat wieder das entscheidende Gremium wird und nicht irgendwelche Vorbesprechung in Hinterzimmern.“ Lange: „Wenn jemand seine Macht missbraucht, dann ist das eben Korruption.“
Was wollen die vier Parteien nun von Oberbürgermeister Lösel eigentlich genau wissen? Im nachfolgenden Fragenkatalog, den sie heute dem OB übergeben haben, geht es um die ominösen Geschäfte mit der Headhunteragentur Labbé und die gemeinsame Firma von Christian Lösel, Alfred Lehmann und deren Ehefrauen. Ein zweiter, ähnlich umfangreicher Fragenkatalog soll in der kommenden Woche zum Thema Klinikum folgen.
Die Fragen im Wortlaut zur Headhunter-Agentur Labbé und der Rolle von Alfred Lehmann:
1. Wann wurde erstmals ein Headhunter ergänzend zur öffentlichen Ausschreibung einer Stelle bei der Stadt Ingolstadt oder ihrer Tochterunternehmen beauftragt?
2. Wann und von wem wurde Labbé & Cie. GmbH zum ersten Mal als Headhunter empfohlen?
3. Wie wurden die Aufträge an die Labbé & Cie. GmbH vergeben (freihändig/Ausschreibungsverfahren)?
4. Ist die Art und Weise der Vergabe der Aufträge an Labbé & Cie. GmbH mit der städtischen Vergabeverordnung vereinbar?
5. Bei wie vielen Stellenbesetzung der Stadt Ingolstadt oder ihrer Tochterunternehmen wurde die Labbé & Cie. GmbH seit der ersten Beauftragung bis dato eingeschaltet?
6. Seit wann besteht Kenntnis der Stadt Ingolstadt über die geschäftliche Beziehung zwischen der Labbé & Cie. GmbH und Herrn Dr. Alfred Lehmann?
7. War Labbé & Cie. GmbH ausschließlich bei der Suche nach Personal für die Stadt und das Klinikum tätig oder auch auf anderen Geschäftsfeldern, und wenn ja auf welchen?
8. Welche städtischen Mandatsträger in den entscheidenden Gremien/Gesellschaftsorganen hatten positive Kenntnis davon, dass Personalvorschläge von der Labbé & Cie. GmbH stammten? Zu welchen Zeitpunkten bestand jeweils diese positive Kenntnis?
9. Hatten weitere städtische Mandatsträger Kenntnis davon, ob ein Kandidat von Labbé & Cie. GmbH vorgestellt worden war (beispielsweise Bürgermeister, Fraktionsvorsitzende oder Ausschusssprecher)? Wenn ja, wer hatte positive Kenntnis bei welcher Stellenbesetzung?
10. Bei welchen Stellenbesetzungen wurden die von Labbé & Cie. GmbH vorgestellten Bewerber nach dem Auswahlverfahren eingestellt?
11. Welche Vergütungen (Einzelaufstellung und Gesamtsumme für alle Beauftragungen) zahlte die Stadt Ingolstadt im Laufe der Jahre für welche Leistungen an Labbé & Cie. GmbH?
12. Wie hoch war die Vergütung für Labbé & Cie. GmbH im Falle des vom Stadtrat gewählten Baureferenten Alexander Ring?
13. Wie hoch waren die Vergütungen für Labbé & Cie. GmbH bei der Neubesetzung des Rechtsreferenten, wann wurde Labbé & Cie. GmbH genau beauftragt, welche Leistung wurde beauftragt und wann war die Rechnungstellung?
14. Zu welchem Zeitpunkt erlangte Oberbürgermeister Dr. Christian Lösel Kenntnis von der Tätigkeit Dr. Alfred Lehmanns für Labbé & Cie. GmbH als assoziierter Senior Advisor?
15. Zu welchem Zeitpunkt erlangte der Personalreferent der Stadt, Christian Siebendritt, Kenntnis von der Tätigkeit Dr. Alfred Lehmanns für Labbé & Cie. GmbH als assoziierter Senior Advisor?
16. Wer hat überprüft, ob die von der Stadt an Labbé & Cie. GmbH gezahlten Honorare und Vergütungen marktüblich sind, wie wurde diese Marktüblichkeit geprüft und zu welchem Ergebnis hat diese Prüfung geführt? Wurden Vergleichsangebote eingeholt?
17. Zu welchem Zeitpunkt erlangte Oberbürgermeister Dr. Christian Lösel Kenntnis von der Tatsache, dass Herr Dr. Lehmann für seine Tätigkeit bei Labbé & Cie. GmbH bezahlt wurde?
18. Ist der Stadt bekannt, dass laut der Website www.gehalt.de in Bayern ein Senior Advisor im Durchschnitt etwa 6000 Euro monatlich verdient?
19. Ist der Stadt Ingolstadt bekannt, ob und in welcher Höhe Dr. Alfred Lehmann nach der Besetzung der Stelle des Baureferenten ein zusätzliches (Erfolgs-)Honorar von Labbé & Cie. GmbH erhalten hat?
20. Hätte sich Dr. Alfred Lehmann an der Wahl des Baureferenten beteiligen dürfen, wenn zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen wäre, dass Dr. Alfred Lehmann für seine Vermittlungstätigkeit zugunsten von Labbé und Cie. GmbH bezahlt wird?
21. Sind auch andere Headhunter/Personalvermittlungsunternehmen von der Stadt Ingolstadt oder ihren Tochterunternehmen mit der Suche und der Vorstellung geeigneter Kandidaten beauftragt worden?
22. Falls Frage 21 mit ja beantwortet wird: Für welche Position haben andere Headhunter/Personalvermittlungsunternehmen Kandidaten vorgestellt, welche Honorare bzw. Vergütungen wurden in allen Fällen gezahlt und durch wen wurden diese Unternehmen beauftragt? Wurden diese Aufträge freihändig vergeben oder wurden diese ausgeschrieben?
Die Fragen im Wortlaut zur gemeinsamen Firma von Alfred Lehmann und Christian Lösel:
23. War Dr. Alfred Lehmann ab Mai 2014 bei Grundstückgeschäften als Vermittler für die Stadt Ingolstadt und auch für Unternehmen, an denen die Stadt unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, tätig und wenn ja, bei welchen Grundstücksgeschäften war dies der Fall?
24. Wurde die gemeinsam im Besitz des Oberbürgermeisters und Dr. Alfred Lehmanns befindliche Firma Arbor GmbH & Co. KG (HRA 2975) jemals für die Stadt Ingolstadt oder im Auftrag der Stadt tätig?
25. Fanden zwischen der Firma Arbor GmbH & Co. KG bzw. der persönlich haftenden Gesellschafterin der Arbor Verwaltungs-GmbH (HRB 7498) und der Stadt Ingolstadt oder ihre Tochtergesellschaften Rechtsgeschäfte statt? Wenn ja, welche?
26. Hat die Firma Arbor GmbH & Co. KG bzw. die persönlich haftende Gesellschafterin, die Arbor Verwaltungs-GmbH, mit der Stadt Ingolstadt oder mit einer städtischen Tochter oder mit einem Unternehmen, an dem die Stadt Ingolstadt unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, derzeit Geschäftsbeziehungen bzw. in der Vergangenheit Geschäftsbeziehungen gehabt?
27. Hat der Geschäftsführer der Arbor Verwaltungs-GmbH mit der Stadt Ingolstadt oder mit einer städtischen Tochter oder mit einem Unternehmen, an dem die Stadt Ingolstadt unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, derzeit Geschäftsbeziehungen bzw. in der Vergangenheit Geschäftsbeziehungen gehabt?
28. Hat die Firma Arbor GmbH & Co. KG mit einer anderen Kommune oder mit der Tochter einer anderen Kommune oder mit einem Unternehmen, an dem eine andere Kommune unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, derzeit Geschäftsbeziehungen bzw. in der Vergangenheit Geschäftsbeziehungen gehabt?
29. Hat diese Firma Arbor GmbH & Co. KG mit der VIB Vermögen AG, Neuburg a. d. Donau (Mitgesellschafterin der städtischen ISG Infrastrukturelle Gewerbeimmobilien GmbH) oder mit einer Tochter der VIB Vermögen AG oder mit einem Unternehmen, an dem die VIB Vermögen AG unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, derzeit Geschäftsbeziehungen bzw. in der Vergangenheit Geschäftsbeziehungen gehabt?
30. Gibt es andere Unternehmen, die gemeinsam im Besitz des Oberbürgermeisters und Dr. Alfred Lehmanns sind und wenn ja, wurden diese jemals im Zusammenhang mit einem Geschäft der Stadt Ingolstadt oder eines städtischen Tochterunternehmens oder eines Unternehmens, an dem die Stadt Ingolstadt unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, tätig bzw. bestehen mit diesen Unternehmen derzeit Geschäftsbeziehungen bzw. bestanden in der Vergangenheit Geschäftsbeziehungen?
31. Hat diese Firma Arbor GmbH & Co. KG mit einem Unternehmen, das Mitgesellschafter eines Tochterunternehmens der Stadt Ingolstadt ist (zum Beispiel der Klinikum Ingolstadt GmbH oder deren Töchter, der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft Ingolstadt GmbH, der IFG Ingolstadt AöR, der LGI Logistikzentrum im GVZ Ingolstadt Betreibergesellschaft mbH, der GVZ Konsolidierungszentrum Betreibergesellschaft mbH, der IN-Campus GmbH) oder mit einer Tochter dieses Mitgesellschafters oder mit einem anderen Unternehmen, an dem dieser Mitgesellschafter unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, derzeit Geschäftsbeziehungen bzw. in der Vergangenheit Geschäftsbeziehungen gehabt?
32. Gibt es andere Unternehmen, die im Besitz des Oberbürgermeisters sind oder an denen er beteiligt ist und wurden diese jemals im Zusammenhang mit einem Geschäft der Stadt Ingolstadt oder eines städtischen Tochterunternehmens oder eines Unternehmens, an dem die Stadt Ingolstadt unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, tätig bzw. bestehen mit diesen Unternehmen derzeit Geschäftsbeziehungen bzw. bestanden in der Vergangenheit Geschäftsbeziehungen?
33. Gibt es andere Unternehmen, die im Besitz von Dr. Alfred Lehmann sind oder an denen er beteiligt ist und wurden diese jemals im Zusammenhang mit einem Geschäft der Stadt Ingolstadt oder eines städtischen Tochterunternehmens oder eines Unternehmens, an dem die Stadt Ingolstadt unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, tätig bzw. bestehen mit diesen Unternehmen derzeit Geschäftsbeziehungen bzw. bestanden in der Vergangenheit Geschäftsbeziehungen?
Inzwischen hat die Stadtverwaltung bereits einige Fragen beantwortet; lesen Sie dazu: Und die Antwort ist: Acht Mal "Nein"