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Im Fall der neuerlichen Spanner-Vorwürfe gegen den Scheyerer Bürgermeister Albert Müller beantragt seine Anwältin Regina Rick die Einstellung des Verfahrens. "Heimliches Beobachten erfüllt noch keinen Straftatbestand“, sagt sie und verweist auf „höchstrichterliche Rechtsprechung“.

Von Tobias Zell

Der Fall ging durch die Medien. Albert Müller, der Bürgermeister der durch das Kloster weithin bekannten Gemeinde Scheyern, soll sich als Spanner betätigt haben. Konkret wird ihm vorgeworfen, in München auf einer Rolltreppe Frauen unter den Rock fotografiert zu haben. Die Aufregung war groß, zumal schon einmal Spanner-Vorwürfe gegen Müller im Raum standen – damals wurden die Ermittlungen eingestellt. Im aktuellen Fall läuft das Verfahren bei der Staatsanwaltschaft München I. Und die Landesanwaltschaft als zuständige Disziplinarbehörde hat den Rathauschef, wie berichtet, bereits vorläufig seines Dienstes enthoben; zudem wurde ein teilweiser Einbehalt seiner Bezüge angeordnet. Doch nun gibt es Neuigkeiten in dem Fall. Müllers Anwältin Regina Rick, bekannt aus der zweiten Auflage des bundesweit für Schlagzeilen sorgenden Rupp-Prozesses, hat die Einstellung des Verfahrens beantragt. Warum, das erklärt sie gegenüber unserer Zeitung.

Die Polizei hat die Ermittlungen gegen Müller bereits abgeschlossen, wie die Augsburger Allgemeine Zeitung berichtete. Das Verfahren bei der Staatsanwaltschaft München I. läuft indes, wie das Blatt unter Berufung auf Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch vermeldet.

Doch Müllers Anwältin Rick sieht keinerlei Anlass dafür, dass sich die Staatsanwaltschaft überhaupt noch mit der Angelegenheit befasst. „Weitere Ermittlungen wären gar nicht notwendig“, sagte sie heute im Gespräch mit unserer Zeitung. In vergleichbaren Fällen würden ihrer Kenntnis nach nämlich überhaupt keine Strafverfahren eingeleitet.

"Bei der Tatausführung erwischt"

Worum geht es? Albert Müller (55) soll am Vormittag des 20. Juni in München auf einer Rolltreppe am Stachus Frauen mit einer Kamera unter den Rock fotografiert haben. Ein Zeuge soll das beobachtet und die Polizei verständigt haben. Die Beamten rückten an und erwischten Müller „bei der Tatausführung“, so Steinkraus-Koch. Außerdem soll sich Müller bei seiner Festnahme dann heftig widersetzt, um sich geschlagen und dabei einen Beamten getroffen haben. Damit steht womöglich der Vorwurf der  Körperverletzung im Raum. Und nicht zuletzt soll Müller, nachdem er von der Polizei gestellt worden war, versucht haben, seine Kamera, also: mögliche Beweismittel, zu vernichten. Ein Sprecher des zuständigen Polizeipräsidiums sprach laut einem Medienbericht von einer „ganzen Menge tatrelevanter Bilder“, die sich auf der Speicherkarte befunden hätten.

Für Anwältin Rick indes ist die Angelegenheit überhaupt gar kein Fall für die Justiz. „Was meinem Mandanten vorgeworfen wird, erfüllt – selbst wenn es sich so zugetragen hätte, wie behauptet wird – keinen Straftatbestand“, betont sie und ergänzt umgehend: „Das ist höchstrichterliche Rechtsprechung.“ Von daher war ihrer Meinung nach auch das Eingreifen der Polizei nicht rechtmäßig und eine etwaige Gegenwehr  gerechtfertigt – „ganz abgesehen von der Frage, ob die Polizei immer gleich so zulangen muss, wie sie es oft tut“.

Verweis auf Urteile des OLG und des Bundesgerichtshofs

Im Klartext sagt Rick: „Heimliches Beobachten erfüllt noch keinen Straftatbestand.“ Das sei durch das Oberlandesgericht Nürnberg und den Bundesgerichtshof auch klar entschieden worden. Die Anwältin verweist in diesem Zusammenhang auf das Urteil in einem Fall, bei dem ein Mann einer Frau heimlich per Handy unter den Rock fotografieren wollte. Und noch etwas will Rick betont wissen: Der Vorwurf der Beleidigung dürfe nicht als „Auffangtatbestand für Voyeurismus“ dienen.

Auf Basis dieser Einschätzung ergibt sich für Rick auch ein ganz anderer Blick auf den Müller vorgeworfenen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Die Anwältin argumentiert im Gespräch mit unserer Zeitung: „Nachdem sich mein Mandant nicht strafbar gemacht hat, hätten ihn die Polizeibeamten gar nicht festnehmen dürfen.“ Aus diesem Grund müsse man das, falls es sich denn überhaupt so zugetragen habe, als gerechtfertigte Gegenwehr bewerten.

"Schwerwiegendes außerdienstliches Dienstvergehen"

Während die Staatsanwaltschaft noch in dem Fall ermittelte, hat die Landesanwaltschaft, wie berichtet, relativ schnell Fakten geschaffen. Müller wurde vorläufig des Dienstes enthoben. Zudem ist ein teilweiser Einbehalt seiner Bezüge verfügt worden. „Wir werten sein Verhalten als schwerwiegend“, sagte Oberlandesanwältin Simone Widmann damals gegenüber unserer Zeitung. Sie sprach von einem „schwerwiegenden außerdienstlichen Dienstvergehen“ und verwies auf die Vorbildfunktion eines Bürgermeisters. Zudem sei es „nicht hinnehmbar“, dass Müller bei einer Rückkehr durch sein Verhalten den Dienstbetrieb störe. Von Rückkehr sprach sie deshalb, weil sich Müller nach Bekanntwerden der Spanner-Vorwürfe krank gemeldet hatte.

Das Verfahren der Landesanwaltschaft gegen Müller ist zugleich mit Blick auf die strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihn ausgesetzt worden. Will sagen: Die Disziplinarbehörde will nun erst einmal abwarten, was die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ergeben. Auch dazu vertrat Müllers Anwältin Regina Rick schon eine andere Auffassung: „Die Vorwürfe gegen meinen Mandanten würden, selbst wenn sie richtig wären, eine vorläufige Dienstenthebung nicht rechtfertigen“, befand sie.

Die Landesanwaltschaft ist die zuständige Disziplinarbehörde für die meisten Staatsbeamten. Sie führt das Disziplinarverfahren, wenn die Ahndungsmöglichkeiten des Dienstvorgesetzten nicht ausreichen und erkennt selbst auf bestimmte Disziplinarmaßnahmen (zum Beispiel Kürzung von Dienstbezügen oder Ruhegehalt, vorläufige Dienstenthebung) oder erhebt Disziplinarklage zum Verwaltungsgericht. Aber eben nicht nur disziplinarrechtlich steht Müller im Visier von Ermittlungen.

Hinzu kommt, dass eine 25-jährige Frau Strafanzeige gegen Müller gestellt hat. Sie war offenbar eines der mutmaßlichen Opfer der Spanner-Attacke auf der Münchner Rolltreppe. Müller selbst hat bei der polizeilichen Vernehmung nach seiner Festnahme keine Angaben zu den Vorwürfen gegen ihn gemacht.

Schon einmal Spanner-Vorwürfe gegen Müller

Die Vorwürfe gegen den Scheyerer Bürgermeister Albert Müller rufen die Erinnerungen an den Fall von 2009 wieder wach. Damals sah sich der heute 55-Jährige schon einmal mit Spanner-Vorwürfen konfrontiert. Ihm wurde vorgehalten, sich in einer Damentoilette auf einem Parkplatz an der A9 bei Paunzhausen als Spanner verdingt zu haben. Verkleidet mit einer blonden Perücke soll er mit Hilfe eines Spiegels versucht haben, in eine WC-Kabine zu spähen. Das angebliche Opfer dieser Spanner-Attacke, eine 26-jährige russische Studentin, soll daraufhin schreiend aus dem Toiletten-Gebäude gelaufen sein. Ihre beiden Begleiter haben sich, so hieß es weiter, das Autokennzeichen des Unholds notiert – und das führte die Beamten zu Alfred Müller. Bei ihm zu Hause, wo die Polizisten wenig später vorstellig wurden, fand man eine Videokamera sowie offenbar heimlich gemachte Aufnahmen von einer spärlich bekleideten Frau.

Müller indes hatte damals für alles eine Erklärung: Auf dem Rastplatz gewesen zu sein, bestritt er ohnehin nie. Aber nicht er sei auf dem Frauen-WC gewesen, sondern eine Anhalterin, die er mitgenommen habe. Ausfindig gemacht wurde die allerdings ebenso wenig wie die russische Studentin. Dass Zeugen aussagten, die blonde Person – ihrer Meinung nach ein Mann mit Perücke – sei nach dem Vorfall ins Auto gestiegen und weggefahren, begründete  Müller sinngemäß so: Ihm sei es an dem Tag nicht so gut gegangen, deshalb habe er die Anhalterin ans Steuer seines Wagens gelassen und sich selbst auf die Rückbank zurückgezogen. Die Spanner-Aufnahmen auf der Videokamera erklärte er einmal damit, dass er das Gerät seinem inzwischen gestorbenen Bruder geliehen habe. Ein anderes mal teilte er mit, er habe die Kamera einem Bekannten geborgt. 

Die Ermittlungen wurden damals in beiden Fällen eingestellt. Dass Müller das pikante Video gemacht habe, war nicht zweifelsfrei nachzuweisen. Und auch die angebliche Spanner-Aktion im Autobahnklo blieb ohne Folgen. Die Staatsanwaltschaft fand keinen Straftatbestand, den sie hätte verfolgen können – einen Spanner-Paragrafen gibt es nicht. Strafrechtlich war der Fall damit erledigt. Nicht aber dienstrechtlich. Denn die Landesanwaltschaft als oberste Disziplinarbehörde für Beamte bewertete die Lage anders und legte den Fall nicht zu den Akten. Die Disziplinarkammer am Verwaltungsgericht befand Müller für schuldig und brummte ihm drei Jahre lang eine Gehaltskürzung um 20 Prozent auf.

Doch Müller zog vor den Verwaltungsgerichtshof – und bekam im Dezember vergangenen Jahres Recht. „Die Geschichte mit der Anhalterin wirkt konstruiert“, wurde der Richter zitiert, aber es sei nicht „völlig ausgeschlossen“, dass sie stimme. Und dass es, wie Müller behauptete, sein inzwischen verstorbener Bruder war, der das besagte Filmchen gedreht hatte, sei auch nicht widerlegbar. Und da es „im Zweifel für den Angeklagten“ heißt, war die Gehaltskürzung vom Tisch.


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