Festgenommener 53-Jähriger gilt als dringend tatverdächtig. Er schweigt bislang, doch die Beweislage scheint erdrückend.
(ty) Die bundesweite Erpressung verschiedener Handelskonzerne, die am 16. September mit einer E-Mail an mehrere Unternehmen und weitere Adressaten – darunter die Polizei – begonnen hatte, endete – so jedenfalls die große Hoffnung – gestern gegen 16 Uhr mit der vorläufigen Festnahme eines 53-Jährigen im Kreis Tübingen. Der Mann gilt als dringend tatverdächtig und die Ermittler gehen davon aus, dass es sich um den Täter handelt, nach dem mit Hochdruck gefahndet wurde. Allerdings könne noch keine endgültige Entwarnung geben werden, was das Vorhandensein eventuell weiterer vergifteter Lebensmittel im Handel angeht, wurde heute Nachmittag erklärt.
Die Ermittlungsbehörden waren im Laufe des gestrigen Tages auf die Spur des dringend Tatverdächtigen gekommen, nachdem aufgrund der im Bundesgebiet und im benachbarten Ausland veranlassten Öffentlichkeitsfahndung mehrere konkrete Hinweise auf die gesuchte Person beim Callcenter des Polizeipräsidiums Konstanz eingegangen waren. Das wurde heute Nachmittag bei der Pressekonferenz dargelegt und auch in einer gemeinsamen Mitteilung der Staatsanwaltschaft Ravensburg und des Polizeipräsidiums Konstanz erklärt.
Insgesamt gingen demnach bei der Polizei etwa 1500 Anrufe und zirka 400 E-Mails ein. In den meisten Fällen handelte es sich bei den Anrufern und Absendern um besorgte Bürger, die nachfragten, worauf sie beim Einkauf von Lebensmitteln achten sollten. Allerdings seien auch rund 300 Hinweise eingegangen, die priorisiert an die Sonderkommission weitergeleitet wurden. Mehrere der Hinweise hätten sich auch auf den inzwischen festgenommenen Mann bezogen. Neben der Hinweis-Aufnahme beim Polizeipräsidium stand auch das Ministerium für ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg als Ansprechpartner für die Verbraucher im Umgang mit Lebensmitteln zur Verfügung.
„Die konkreten Hinweise aus der Bevölkerung führten zu zielgerichteten Ermittlungs- und Überprüfungsmaßnahmen, die letztlich in der vorläufigen Festnahme des 53-Jährigen durch Spezialkräfte der Polizei des Landes Baden-Württemberg mündeten“, heißt es weiter. Anschließend sei der Tatverdächtige der Sonderkommission in Friedrichshafen überstellt worden. Während der dringend tatverdächtige 53-Jährige sich bislang zu den gegen ihn im Raum stehenden Vorwürfen ausschweige, haben die Ermittler offenbar erdrückende Beweise verschiedener Art gegen ihn.
Wie es heißt, wurden nach der Festnahme des Mannes im Zuge einer Durchsuchung in der Wohnung des 53-Jährigen Beweismittel aufgefunden und sichergestellt, welche die Staatsanwaltschaft dazu veranlasst haben, beim zuständigen Amtsgericht einen Haftbefehl wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung gegen den Festgenommenen zu beantragen. Möglicherweise wird dem Mann zudem ein versuchtes Tötungsdelikt zur Last gelegt. Nachdem die Handschellen geklickt hatten, habe sich der Tatverdacht gegen den 53-Jährigen praktisch „von Stunde zu Stunde weiter verdichtet“, hieß es auf der Pressekonferenz.
„Noch ist viel Ermittlungsarbeit erforderlich, um diesen bedeutsamen Erpressungsfall aufzuarbeiten“, erklären Polizei und Staatsanwaltschaft. Unter anderem laufen derzeit noch Untersuchungen beim Landeskriminalamt sowie weitere Auswertungen. Wie bei der Pressekonferenz bekanntgegeben wurde, fanden die Ermittler bei der Durchsuchung der Wohnung des Tatverdächtigen ein Behältnis, das noch etwa zur Hälfte mit dem giftigen Stoff gefüllt war, der in Gläschen mit Babynahrung festgestellt worden war. Wie berichtet, waren in verschiedenen Friedrichshafener Einkaufsmärkten vergiftete Lebensmittel-Produkte in Gläschen in Verkaufsregalen platziert worden, wo sie aber nach seinem Hinweis von Angestellten und der Polizei aufgefunden werden konnten.
Seit heute Nacht, etwa 2 Uhr wissen die Ermittler angesichts der Labor-Ergebnisse, dass sie bei der Durchsuchung in der Wohnung des Mannes Ethylenglycol gefunden haben. Die Rede ist von zirka 500 Millilitern. Man gehe davon aus, dass mit der anderen Hälfte die besagten Babygläschen kontaminiert worden waren. Man könne zwar nicht sicher ausschließen, dass der Tatverdächtige noch mehr von der Substanz in seinem Besitz hatte, gehe aber derzeit eher nicht davon aus. Zudem geht die Polizei derzeit davon aus, dass der mutmaßliche Erpresser alleine agiert hat.
Wie weiter erklärt wurde, haben die Beamten in einem Altkleider-Container in der Nähe des Wohnorts des Verdächtigen Gegenstände gefunden, die mutmaßlich von dem 53-Jährigen stammen. Offenbar wollte er sie verschwinden lassen, um seine Identifizierung zu erschweren beziehungsweise um Beweise zu vernichten. Die Rede ist von schwarzen Schuhen und einer Umhänge-Tasche – beides soll den Sachen, die der Mann auf dem veröffentlichten Fahndungsfoto trägt, sehr ähnlich sehen. Außerdem fanden die Polizisten in dem Altkleider-Container auch einen Laptop, der mutmaßlich dem Mann gehört. Er wird derzeit ebenfalls ausgewertet.
Zu Spitzenzeiten waren in der "Besonderen Aufbauorganisation des Polizeipräsidiums" (BAO Apfel), die eigens zur Klärung dieses Aufsehen erregenden Erpressungs-Falls eingerichtet worden ist, weit über 200 Beamte tätig. Rund um die Uhr wurde mit einem sehr hohen Aufwand an diesem Fall gearbeitet, um Gefahren für die Verbraucher zu verhindern und den mutmaßlichen Erpresser festzunehmen, wurde heute Nachmittag betont. Die Ermittlungsbehörden bedankten sich zugleich ausdrücklich für die vielen Hinweise aus der Bevölkerung, ohne deren Mithilfe, dieser rasche Ermittlungserfolg nicht möglich gewesen wäre.
Leider könne allerdings, so heißt es weiter, noch keine endgültige Entwarnung geben werden, was das Vorhandensein eventuell weiterer vergifteter Lebensmittel im Handel angeht. „Bislang ist nicht sicher bekannt, ob der mutmaßliche Täter nicht doch weitere Produkte vergiftet und in den Handel gebracht hat“, wird erklärt. Die Bürger werden daher weiterhin um erhöhte Aufmerksamkeit beim Kauf von Lebensmittel-Produkten gebeten. Bei Verpackungen sei nach wie vor auf eventuelle Beschädigungen zu achten. Jetzt schon eine komplette Entwarnung zu geben, wäre vorschnell, hieß es.
Update
Der mutmaßliche Erpresser hat bei der heutigen Vorführung beim Amtsgericht Ravensburg die im Haftbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft Ravensburg genannten strafrechtlichen Vorwürfe eingeräumt. Das wurde am Abend in einer weiteren gemeinsamen Pressemitteilung von Polizeipräsidium und Staatsanwaltschaft erklärt. Darüber hinaus habe der 53-Jährige vor dem Haftrichter angegeben, keine weiteren vergifteten Lebensmittel in den Handel gebracht zu haben. Gegen den mutmaßlichen Erpresser wurde die Untersuchungshaft angeordnet, der Mann wurde in eine Justizvollzugsanstalt eingeliefert.
Erstmeldung zum Thema:
Warnung vor vergifteten Lebensmitteln: Fahndung nach mutmaßlichem Erpresser