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Heute 55-Jähriger soll die damals 22-Jährige überwältigt, stundenlang missbraucht, lebensgefährlich verletzt und im Wald verscharrt haben. Er ist für die Polizei kein Unbekannter.

(ty) Knapp 30 Jahre nach der Tat ist es Aschaffenburger Kripo und der Staatsanwaltschaft gelungen, ein schweres Gewalt- und Sexualverbrechen an einer damals 22-Jährigen aufzuklären. Der 55-jährige Tatverdächtige sitzt seit gestern in Untersuchungshaft. Die Ermittlungen – auch dazu, ob der Beschuldigte weitere Sexual- oder Gewaltstraftaten begangen haben könnte – dauern noch an.

Die Tatsache, dass Mord strafrechtlich nicht verjährt, ist auch für die Ermittler der Kripo immer wieder Anlass für so genannte Cold-Case-Ermittlungen. Dabei geht es darum, die Unterlagen und Beweismittel dieser zum Teil Jahrzehnte zurückliegenden Fälle immer wieder einer neuen Betrachtung zu unterziehen, um neue Ermittlungsansätze zu gewinnen. Regelmäßig werden im Zuge dessen auch Asservate erneuten Spurensicherungsmethoden nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft unterzogen.

So nahmen sich Anfang Januar 2015 Beamte der Kripo Aschaffenburg in enger Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft eines ungeklärten Sexual-und Gewaltverbrechens aus dem Jahr 1988 erneut an. 

An jenem Montag, 4. Januar 1988, hatte eine damals 22-Jährige aus dem Raum Offenbach eine Diskothek in der Aschaffenburger Innenstadt besucht. Als sie gegen 2 Uhr das Lokal verlassen hatte und in ihren in der Heinsestraße geparkten Mitsubishi einsteigen wollte, wurde sie von dem Täter mit einem Stichwerkzeug bedroht und überwältigt. Der Mann zwang die junge Frau in der Folge in ein abgelegenes Waldstück in Richtung Haibach zu fahren. Dort vergewaltigte sie der Täter über mehrere Stunden und stach letztlich mehrfach auf sie ein. „Sich des Todes der Frau sicher, verscharrte er das Opfer oberflächlich und flüchtete mit deren Pkw“, heißt es von der Polizei.

O-Ton eines Polizei-Sprechers.

Die 22-jährige Schwerstverletzte konnte sich aber befreien, rettete sich zur Haibacher Straße und wurde dort kurz nach 5 Uhr von einem Autofahrer gefunden. Die junge Frau wurde in eine Klinik eingeliefert, notoperiert und überlebte das Kapitalverbrechen nur knapp. Der Klinik-Aufenthalt dauerte mehrere Wochen. Die Kriminalpolizei übernahm die weiteren Ermittlungen.

Unverzüglich war damals eine Großfahndung mit zahlreichen Einsatzkräften eingeleitet worden. Mit Hochdruck fahndete die Polizei nach dem Tatverdächtigen, der auf zirka 25 Jahre geschätzt worden war. Außerdem suchte man unter anderem am Tatort, im Wald am „Hasenkopf“, intensiv nach den Kleidungsstücken und anderen verschwundenen Gegenständen des Opfers. Am Morgen des Tattags, gegen 10.30 Uhr, wurde der Mitsubishi der Frau am Wittelsbacher Ring sichergestellt. 

Trotz intensiver Fahndungs- und Ermittlungsmaßnahmen gelang es der Sonderkommission damals allerdings nicht, einen Tatverdächtigen zu ermitteln. Zahlreiche Medienveröffentlichungen, unter anderem mit einem Phantombild und der Auslobung von 5000 Mark führten zwar zu mehreren Hinweisen, jedoch war der entscheidende nicht darunter. Auch Anwohner-Befragungen und das Verteilen von Flugblättern in über 40 Gaststätten blieben ergebnislos. Letztlich musste das Verfahren von der Staatsanwaltschaft zunächst wegen unbekannter Täterschaft eingestellt werden. 

Die äußerst brutale Vergewaltigung und der Mordversuch ließen die Ermittler allerdings – wie in allen noch ungeklärten Verbrechen – nicht ruhen. So schließt sich der Kreis wieder zur Gegenwart: Auch mit Unterstützung der „Operativen Fallanalyse“ (OFA Bayern) und des Landeskriminalamts wurde der Fall erneut aufgerollt. Man führte umfangreiche und intensive Nachuntersuchungen von Asservaten hinsichtlich von DNA-Spuren durch. „Tatsächlich erhärtete das Ergebnis dieser Untersuchungen dann den dringenden Tatverdacht gegen den jetzt 55-Jährigen mit Wohnsitz im Landkreis Aschaffenburg“, wurde heute mitgeteilt.

Auf Grundlage der Erkenntnisse der 15-köpfigen Ermittlungskommission „Hasenkopf“ beantragte die Staatsanwaltschaft am 19. Oktober dieses Jahres dann einen Untersuchungshaftbefehl wegen des dringenden Tatverdachts des versuchten Mordes. Der Tatbestand der Vergewaltigung sei zwar seit 2008 verjährt, könne aber sehr wohl im Falle einer Verurteilung wegen „Verdeckungsmords“ bei der Strafzumessung berücksichtigt werden, heißt es von der Polizei. 

Am Sonntag wurde der Beschuldigte im Rahmen einer Durchsuchungs- und Verhaftungsaktion, an der neben zwei leitenden Staatsanwälten auch über 35 Polizeibeamte teilnahmen, aufgrund des erwirkten Haftbefehls in seiner Wohnung widerstandslos festgenommen und in eine Haftzelle gebracht. Gesprächsweise habe der 55-Jährige gegenüber dem Leitenden Oberstaatsanwalt die Vergewaltigungstat eingeräumt, nicht aber den versuchten Mord. Zu einer förmlichen Beschuldigten-Vernehmung sei er nicht bereit gewesen. 

Gestern nun wurde der Beschuldigte dem Ermittlungsrichter vorgeführt, der die Aufrechterhaltung des Haftbefehls wegen versuchten Mordes anordnete. Bei der Haftbefehls-Eröffnung „machte der nunmehr durch einen Rechtsanwalt vertretene Beschuldigte keine Angaben zur Sache“, so ein Polizei-Sprecher. 

Der 55-Jährige ist laut Polizei bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. So wurde er im Jahr 2005 vom Amtsgericht Aschaffenburg wegen Vergewaltigung, versuchter sexueller Nötigung und Körperverletzung zu zwei Jahren Freiheitsstrafe mit Bewährung verurteilt, die er nach Bewährungswiderruf bis zum 10. Juni 2008 verbüßte. Seitdem sei der wegen Eigentumsdelikten und Sachbeschädigung verurteilt worden. 

Die Ermittlungen – auch zu er Frage, ob der 55-Jährige für weitere bislang nicht aufgeklärte Sexualstraftaten und Tötungsdelikte als Täter in Frage kommt – dauern an. „Diesbezüglich werden auch nach der Verhaftung des Tatverdächtigen sichergestellte mögliche Beweismittel überprüft“, wurde heute mitgeteilt.


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