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Beim ersten Verhandlungstag mit Getränkemarkt-Mord von Pfaffenhofen mahnt der Angeklagte Stefan S. massiven Erinnerungslücken an, die ihn jedoch noch nicht einmal entlasten 

(ty) „Irgendwer muss es ja gewesen sein.“ Dieser Satz stammt erstaunlicher Weise nicht vom vorsitzenden Richter Jochen Bösl, sondern vom Angeklagten Stefan S., der seit heute vor dem Landgericht steht, weil ihm zu Last gelegt wird, am 13. Juli 2013 den 61-jährigen Inhaber des Getränkemarktes Fristo in Pfaffenhofen aus Habgier ermordet zu haben. „Mord in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge, “ so lautet die Anklage. Weil Stefan S. „einen Menschen aus Habgier und zur Ermöglichung einer Straftat“ umgebracht haben soll.

Und das bestreitet der 39-jährige Angeklagte nicht einmal, der seit dem 19. Juli vergangenen Jahres – also nur wenige Tage nach der Tat – in Kaisheim in Untersuchungshaft sitzt. Zugeben indes tut er es auch nicht. Er kann sich schlicht nicht erinnern. Und weil die Bilder in seinem Kopf verschwimmen und ineinaderfließen, lautet seine häufigste Antwort denn auch „Es kann sein . . .“ oder „Es ist gut möglich, dass meine Erinnerungen falsch sind“. Am ersten Verhandlungstag zeigte er sich unerwartet kooperativ, nahm gut drei Stunden zu den Vorfällen Stellung und schilderte, was ihm noch in Erinnerung ist. Und das ist eben nicht gerade viel.

Zuvor hatte Jürgen Staud den Tathergang aus Sicht der Staatsanwaltschaft geschildert. Demnach wurde Dieter H. an jenem Samstag im Juli 2013 mit 17 Faustschlägen und Schlägen mit einem unbekannten Gegenstand im Kopfbereich massiv verletzt. Hinzu kamen ein tiefer Messerstich in den Unterbauch bis zum Lendenwirbel und weitere drei Stiche in die Brust, von denen einer das Herz und die Hauptschlagader verletzt hatte. „Das Opfer starb in wenigen Minuten“, so Staud. 2916,12 Euro waren aus dem Getränkemarkt verschwunden nach dem Mord, die Tageseinnahmen ebenso wie die persönlichen Barmittel des Marktbetreibers.

Der Tathergang scheint relativ klar und wurde vom Angeklagten zumindest mit kleinen Mosaiksteinchen immer wieder untermauert. Stefan S. hinterließ heute vor Gericht nicht den Eindruck, etwas vertuschen oder leugnen zu wollen. Er wirkte phasenweise wirklich bemüht, die Ereignisse jenes Tages rekonstruieren zu wollen. An manches konnte er sich auch ziemlich präzise erinnern. Bei anderen Fragen hingegen verschwammen seine Erinnerungen. Oder aber er macht Gedächtnislücken geltend. Nicht aber, wie man erwarten könnte, bei den Fakten, die ihn belasten würden. Denn teilweise hat sich Stefan S. heute auch selbst belastet.

Aus Sicht des hochgradig spielsüchtige und in finanziell extrem angespannten Verhältnissen lebenden Münchners – Vater einer Tochter, für die er auch unterhaltspflichtig ist – hat sich der Tag des Mordes etwa so abgespielt. Stefan S. war gegen 13 Uhr nach Pfaffenhofen gefahren in der Absicht, Getränke zu kaufen in dem Getränkemarkt, den er selbst im Jahr 2009 für mehrere Monate geleitet hatte. Zudem hat er auch die Hoffung, in diem Getränkemarkt vielleicht wieder Arbeit zu finden. Doch bereits in diesem Punkt weiß er nicht, ob das wirklich ein Motiv war oder ob er sich damit „selbst belogen“ hat.

Es kam jedenfalls zum Getränkekauf für rund 90 Euro. Und auch wieder nicht. Denn die Kontokarte von Stefan S. war nicht gedeckt und so verweigerte der Kartenleser den Deal. Früher – das wusste Stefan S. noch aus eigener Erfahrung –  gab es in dem Getränkemarkt keine Online-Abfrage des Kontostandes. Einer der Gründe, warum er ausgerechnet in Pfaffenhofen seine Getränke kaufen wollte.

Nun also musste er umdisponieren. Stefan S. verließ den Getränkemarkt um – wie er sagte – schnell Bargeld abzuheben. Draußen zog sich der Mann in der schlampigen Jogginghose schnell eine andere Hose drüber, die in seinem Auto lag, kam zurück und versicherte dem Marktleiter offenbar glaubhaft, dass er ein Testkäufer der Firma Fristo sei. Zu dem Zeitpunkt hatte er allerdings schon bemerkt, dass das spätere Opfer die Kassenschublade die ganze Zeit offen stehen ließ. Was offenbar seine Begehrlichkeiten geweckt hatte. Denn wie hoch die Umsätze waren, das wusste er aus eigener Erfahrung. Aber auch hier schränkte der Angeklagte ein. „Ich habe da mehrere Bilder vor Augen, ob die Kasse offen oder zu war.“

„Es war, wie wenn man zusammenarbeiten würde“ beschreibt er die Stunden danach. Denn Stefan S. blieb bis zum Ladenschluss im Getränkemarkt, arbeitete mit, führte Fachgespräche und gab offenbar glaubhaft den Testeinkäufer. Kurz vor Ladenschluss habe er dann bei einem Gang zur Toilette spontan den Entschluss gefasst, den Marktleiter zu überfallen, nachdem die ganzen Stunden zuvor sein Plan, mal eben unbemerkt in die Kasse zu greifen, nicht funktioniert hatte. „Das war so ein Impuls.“

In diesem Getränkemarkt geschah die Bluttat.

„Überfall, Hände auf den Kopf.“ Mit diesen Worten soll er den letzten Akt dann in der Küche des Getränkemarktes eingeleitet haben. „Es könnte aber auch anders gewesen sein“, schiebt er nach. Stefan S. war unbewaffnet und hatte sich nach eigenem Bekunden keine Gedanken gemacht, wieso ihm der Marktleiter die Nummer mit dem Überfall überhaupt abkaufen sollte. Der habe das – so der Angeklagte – erst auch gar nicht realisiert und habe ihn nur irritiert angesehen.

Plötzlich hat Dieter H. dann wohl ein Messer in der Hand, in dessen Klinge der Angeklagte beim Abwehrversuch gefasst haben muss. Denn seine rechte Hand war massiv zerschnitten, weswegen er ja Tage später in einem Münchner Klinik auch operiert werden musste. Ab diesem Zeitpunkt jedenfalls werden die Erinnerungen von Stefan S. immer unpräziser. An eine Rangelei kann er sich erinnern. Auch habe er ein Bild im Kopf, wie er mit dem Messer in der Hand an der Wand der Küche des Getränkemarktes saß und der Marktleiter tot gewesen sei.  Dass er ihn zuvor aber massiv geschlagen und mehrfach zugestochen habe, daran kann er sich nicht erinnern. „Ich weiß nicht genau, was passiert ist“, meinte er nur, „ich kann mich nicht an die Messerstiche erinnern und auch nicht, auf ihn eingeschlagen zu haben. Das Bild fehlt mir komplett.“

„Ich will nicht sagen, dass die Vorwürfe nicht stimmen, aber ich kann sie nicht bestätigen“, so der Angeklagte weiter. Auch wie er nach Hause gefahren ist, scheint ihm nicht mehr präsent. Nur dass er sich unterwegs irgendwann komplett ausgezogen und seine Kleider in eine Mülltonne geworfen hat, daran hat er eine Erinnerung. Genauer an eine rote Mülltonne, die man mit beiden Händen bedienen musste. Und dann sagte er wieder: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich in Unterhosen durch München gefahren bin.“ Ist er aber offenbar. In Unterhosen und Socken. Alle anderen Kleider hatte er entsorgt.

Trotz umfangreicher Suchmaßnahmen rund um den Tatort fehlt von der Tatwaffe, vermutlich ein Messer, nach wie vor jede Spur.

Und das Messer, die Tatwaffe, die nie gefunden wurde?  „Ich gehe davon aus, dass ich das Messer mitgenommen haben müsste“, lautet sein Kommentar in diesem Punkt, „ich will mich nicht rausreden.“ Auch ob der die fehlenden gut 2900 Euro eingesteckt hat, weiß Stefan S. nicht mehr. Ihm war, wie er heute sagte, klar gewesen, nachdem er die Berichterstattung in den Online-Medien verfolgt habe nach der Tat, dass er irgendwann erwischt werden würde. Und wenn nicht? „Ich hätte mich über kurz oder lang gestellt.“

Eine kuriose Situation. Denn das Gericht muss Stefan S. an den insgesamt 15 angesetzten Verhandlungstagen einen Mord nachweisen, den er noch nicht einmal bestreitet. „Irgendwer muss es ja gewesen sein“, meint der Angeklagte. Er behauptet einfach, es nicht zu wissen. Oder er weiß es wirklich nicht. Denn Stefan S. könnte ebenso ein Trauma davongetragen haben an jenem Tag wie es möglich wäre, dass ein hochgradig spielsüchtiger Mann, der immer wieder sogar Gewinne von mehreren tausend Euro eingefahren hat in den diversen Spielotheken, einfach anders tickt. „Die Gedankengänge sind andere, wenn man spielt“, sagte Stefan S. heute im Lauf seiner opulenten Aussage einmal.

Vielleicht sind sie auch anders, wenn man einen Menschen mit einem Küchenmesser erstochen hat und eine gewisse Trauma-Konstellation legt eine partielle Amnesie über die belastenden Ereignisse. Denn eines muss man Stefan S. nach seinen heutigen Einlassungen zugestehen. Er hat in der Tat nicht versucht, sich herauszureden. Oder aber er ist so gerissen, dass er mit einem taktischen Gedächnisverlust hofft, aus der Mordanklage eine Totschlagsnummer machen zu können. Denn dazwischen liegt lediglich ein schmaler Grat. 


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