Ignorierter Baustopp, schlechte Karten und ein Erfolg für den Nachbarn: Das Verwaltungsgericht befasste sich heute vor Ort mit dem umstrittenen Giebel des Pfaffenhofener Landratsamt-Neubaus, den sich die Kreisbehörde als Ausnahme selbst genehmigt hatte
Audio-Podcast: "Das Landratsamt hat den Baustopp ignoriert"
Von Tobias Zell
Die Szenerie war an sich schon bemerkenswert bis krass. Unten marschierten heute Nachmittag die Richter des Münchner Verwaltungsgerichts im Rahmen ihres Ortstermins vorbei, während oben am Neubau des Pfaffenhofener Landratsamts die Arbeiter auf dem Gerüst fleißig am Werkeln waren. Dabei hatte das Gericht doch schon am 30. Januar per Eilentscheidung einen Baustopp für genau diesen so genannten Bauteil B verhängt. Einen Baustopp, den ein Nachbar erwirkt hatte, weil er den Schatten, den der neue Landratsamt-Giebel auf sein Mietshaus am Hofberg wirft, nicht hinnehmen will und juristisch dagegen vorgeht. Und einen Baustopp, den man im Landratsamt ignoriert oder falsch ausgelegt und somit "schwarz" weitergebaut hat. Was dann auch die Vorsitzende Richterin Cornelia Dürig-Friedl für „mehr als gewagt“ befand und meinte, so etwas habe sie „noch nicht erlebt“. Der Anwalt des Klägers äußerte sich nicht weniger deutlich, während der Rechtsbeistand des Landratsamt ein Missverständnis geltend machen wollte. Aber dazu später noch
Um das Wichtigste gleich vorwegzunehmen: Der umstrittene Giebel kommt weg. Er wird abgerissen. Im Fachjargon nennt man das Rückbau – das klingt zwar vielleicht harmloser, ist aber dasselbe und genauso peinlich. Denn unterm Strich bleibt die Nachricht, dass ausgerechnet das Landratsamt praktisch sich selbst etwas genehmigt hat, was nicht in Ordnung ist. „Wir fühlen uns in unserer Eilentscheidung bestätigt“, proklamierte Richterin Dürig-Friedl dann auch nach dem Ortstermin und einer kurzen Besprechung mit ihren vier Kollegen, zwei Berufsrichter (Wolfgang Lohhuber und Josef Beil) und zwei ehrenamtliche Richter (Josef Lausch und Elke Mutter). Und spätestens jetzt war klar: Hier gibt es für den Landkreis nicht mehr viel zu holen.
Zusammenkunft vor dem Landratsamt: Das Verwaltungsgericht kam heute zum Ortstermin und zur mündlichen Verhandlung.
Das Landratsamt wird für rund 17 Millionen Euro saniert und erweitert. Auf der vom Hauptplatz abgewandten Seite, also zum Hofberg hin, wird ein Neubau errichtet mit dem umstrittenen Giebel am so genannten Bauteil B. Für dieses Nebengebäude gab es zunächst im Juli vergangenen Jahres einen Plan, dem der besagte Nachbar auch zugestimmt hat. Doch dann, im November, wurde im Landratsamt umgeplant: Man heckte ein Satteldach mit dem Giebel aus und erhöhte dadurch die Firsthöhe um rund vier Meter. Dieser Tektur verweigerte der Nachbar aber wegen der Schattenwirkung auf sein Haus die Unterschrift – doch das Landratsamt sah baurechtlich keine Bedenken und genehmigte (sich) das. Daraufhin reichte der Nachbar Klage ein. Und weil die zumindest Aussicht auf Erfolg hatte, wurde Ende Januar per Eilentscheidung der Baustopp verhängt. Weil seither alles seinen juristischen Gang ging und keine außergerichtliche Einigung glückte, war nun heute das Verwaltungsgericht zwecks Ortstermin und mündlicher Verhandlung in Pfaffenhofen.
Und dieser Verwaltungsgerichtstermin war heute spannend, teilweise gar hitzig. Da ging es um Nebenkriegsschauplätze, um einen möglichen Verkauf, um Umplanungen und andere schmale Gassen, um Ausnahmen und ein Ignorieren des Baustopps, um angebliche Missverständnisse und den Schatten – am Ende zeichnete sich dann doch eine Lösung ab, mit der beide Seiten leben können beziehungsweise müssen.
Zunächst wurde noch einmal kurz thematisiert, dass der Landkreis bekanntlich das Problem mit dem Nachbarn in der Form zu lösen versuchte, dass man ihm sein Haus kurzerhand abkauft. Deshalb hatte das Landratsamt ein Wertgutachten anfertigen lassen. Das hat, so wurde heute bekannt, 370 000 Euro ergeben. Diese Offerte lehnte aber der Hausbesitzer ab. Für diesen Preis bestehe kein Interesse an einem Verkauf, hieß es von Seiten des Klägers. Und dessen Anwalt, Patrick Bühring von der renommierten Münchner Kanzlei Labbé & Partner, machte auch schnell klar: „Ich denke, dass wir derzeit nicht zusammenkommen.“ Man habe doch gar keine Gegenforderung erhalten, entgegnete Kreiskämmerer Walter Reisinger. Das sehe man auch nicht unbedingt als Aufgabe an, konterte Bühring. Zudem deutete er an, dass in der Expertise ausgerechnet der umstrittene Giebel am benachbarten Landratsamt wertmindernd für das Gebäude seines Mandanten angesehen werde.
Ortstermin: Auf der Rückseite, wo der umstrittene Giebel steht.
So kam die ganze Debatte in Fahrt. Auch, weil Bühring sich empörte, dass der gerichtlich verhängte Baustopp überhaupt nicht eingehalten werde. „Ein starkes Stück“, befand er – gerade von einem Landratsamt, das ja selbst Baubehörde ist. Auf der Gegenseite rechtfertigte man das Weiterlaufen der Arbeiten damit, dass man gedacht habe, der Baustopp beziehe sich nur auf den umstrittenen Giebel. Doch die Vorsitzende Richterin stellte recht schnell klar, dass sich dieser Baustopp keineswegs nur auf das Dach beziehe. „Wir haben den Beschluss anders gelesen“, hielt der von Landkreis-Seite engagierte Anwalt Andre Schneeweiß dagegen. Da konnte sein Berufskollege von der Gegenseite nur noch den Kopf schütteln: „Mir ist schleierhaft, wie sowas passieren kann.“
Jedenfalls stand nun der eigentliche Ortstermin an. Und als sich der Tross vom Haupteingang des Landratsamts auf den Weg zur Rückseite machte, um den streitgegenständlichen Giebel in Augenschein zu nehmen, sahen dann alle schon einmal die Arbeiter auf dem Gerüst emsig werkeln, die unmissverständlich dokumentierten, dass hier von einem kompletten Baustopp am Bauteil B nun wirklich keine Rede sein kann. Richterin Cornelia Dürig-Friedl diktierte dann der Protokollführerin haarklein in den Block, dass der Bau inzwischen fast fertiggestellt sei, dass im Untergeschoss bereits Fenster eingebaut sind, dass aktuell Bauarbeiten stattfinden – und dass das Gericht darauf hinweist, dass ein Baustopp vorliegt, der sich genau auf diesen Bauteil erstreckt.
Aber an dem umstrittenen Giebel selbst sei doch nicht gearbeitet worden, hielt man von Seiten des Landratsamts dagegen. Bühring zückte indes ein Foto vom Februar und veranschaulichte noch einmal, was seither – trotz Baustopps – alles vorwärtsgegangen sei auf der Baustelle. Auch der Innenausbau sei bereits weit fortgeschritten, war zu erfahren. Das treffe zu, räumte man seitens des Landratsamts ein, aber man habe doch wirklich nur unterhalb des Giebels gearbeitet.
So schaut's aus: Links der umstrittene Giebel, rechts davon das Haus des Klägers, der die Verschattungswirkung nicht hinnehmen will.
Baurechtlich interessiere nur das Äußere, meinte Dürig-Friedl bezüglich einer Besichtigung der Innenräume. Beide Seiten erklärten dann – ausnahmsweise mal übereinstimmend –, dass die Bebauung hier eine für Pfaffenhofen typische innenstädtische sei. Und von Seiten des Landratsamts wollte man darauf hingewiesen wissen, dass es im Altstadt-Bereich noch schmälere Gässchen gebe, in denen die Abstands-Situation noch enger sei. Allerdings konnte man unschwer erkennen, dass sich Dürig-Friedl & Co. weniger für die Struktur der Pfaffenhofener City interessierten, sondern einzig und allein für den aktuell zu behandelnden Fall.
Deshalb versuchte man von Seiten des Landratsamts noch ein anderes Argument zu platzieren und teilte eine Verschattungs-Studie aus. Die sollte zeigen, dass es schatten-mäßig kaum einen Unterschied macht, ob der Giebel stehen bleibt oder die vorgeschriebenen Abstandsflächen durch ein Zurücksetzen desselben eingehalten werden. Doch auch damit konnte man nicht punkten, denn Dürig-Friedl stellte klar, dass das nicht Gegenstand des Verfahrens sei. In der Tat hat das Verwaltungsgericht ja nicht mögliche Optionen und Varianten zu bewerten, sondern die bestehende Situation. Und Kläger-Anwalt Bühring warf sinngemäß gleich noch ein, dass selbst ein zurückgesetzter Giebel erst einmal genehmigungsfähig sein müsse.
So war dann nach etwa 45 Minuten der Ortstermin beendet und nach einer kurzen Pause zur Besprechung und Beratung begann die eigentliche mündliche Verhandlung. Und in der ließ die Vorsitzende Richterin schon nach wenigen Augenblicken keinen Zweifel daran, wie sie die Lage sieht: Das Gericht fühle sich in seiner Eilentscheidung vom Ende Januar bestätigt. Und die Auslegung in der Kreisbehörde, dass derzufolge im Tenor weitergebaut werden dürfe, hielt sie „für mehr als gewagt“, und habe sowas auch „noch nicht erlebt“.
Kläger-Anwalt Bühring wollte jetzt endlich eine Erklärung von Seiten des Landkreises hören, dass der Baustopp beachtet und nicht mehr weitergebaut wird. Sollte diese Ansage nicht kommen, drohte er, das eben mit einem weiteren Eilverfahren sicherzustellen. „Ich bin sprachlos“, schimpfte er und hatte nur noch einen Rat ans Landratsamt: Dann solle man das bislang Gebaute abreißen und so errichten, wie es in dem genehmigten Plan vorgesehen sei.
Es ging um Schatten, doch die Vorsitzende Richterin Cornelia Dürig-Friedl stand erst einmal in der Sonne. Links Andre Schneeweiß, der Rechtsbeistand des Landratsamts mit Landrat Martin Wolf (Dritter von links) und Kreiskämmerer Walter Reisinger (rechts hinten).
Was jetzt am Hofberg passiert und was auf Basis der Genehmigung passieren dürfte, „das sind zwei verschiedene Bauvorhaben“, monierte Bühring. Denn bei der Ortsbesichtigung war zudem herausgekommen, dass auch unterhalb des Giebels nicht alles so zu werden scheint, wie der damals vom Kläger unterzeichnete Plan vorsieht. Dürig-Friedl wagte einen Vorstoß: Wäre es eine Option, dass der umstrittene Giebel wegkommt und dafür im unteren Bereich alles so bleiben kann? Anwalt Bühring ließ nicht locker: Er sei inzwischen soweit, dass alles so gebaut werden solle, wie es in der ursprünglichen Genehmigung stehe.
Immerhin rang man sich nun von Seiten des Landratsamts durch, die geforderte Erklärung abzugeben: Man werde in dem dem Baustopp unterliegenden Bauteil ab sofort keine weiteren Arbeiten mehr durchführen lassen. Zur Sicherheit ließ man sich von der Vorsitzenden Richterin anhand der Pläne erklären, wo man nun noch werkeln dürfe und wo nicht.
Und dann kam auch noch ein Vorschlag von den Vertretern des Landratsamts: Wie wäre es, wenn man den Giebel abbrechen und durch eine Dachschräge ersetzen würde? Das könne man sich vorstellen, so Bühring. Unter gewissen Bedingungen würde man dem zustimmen. Zwischendurch fragte Kreiskämmerer Reisinger noch einmal, ob denn ein Verkauf des Hauses noch ein Thema sei – doch dazu wollte sich der Kläger aus dem Stand nicht äußern.
Die Vertreter des Bauherrn schlugen nun vor: Der Giebel wird zurückgebaut und durch eine Dachschräge mit weniger als 45 Grad Neigung und ohne Gaube ersetzt. Das Landratsamt – hier nun als Genehmigungsbehörde – signalisierte, man habe baurechtlich keine Bedenken und würde der Kläger-Seite die entsprechenden Pläne auch umgehend zukommen lassen. Damit könnte die Gegenseite leben. Unter zwei Bedingungen. Erstens: Die Pläne müssen vor der Genehmigung vorgelegt und goutiert werden, dann würde man – wenn alles passt – auch einen Rechtsmittelverzicht erklären. Zweitens: Das Landratsamt muss die Anwaltskosten des Klägers übernehmen.
Sollte das nun tatsächlich alles so kommen und diese „ausgehandelte“ Tektur vom Kläger akzeptiert werden, dann könnte das Landratsamt – auf Basis dieser Veränderungen – weiterbauen und das Verfahren hätte sich erledigt. Ein Urteil gab es also heute von Seiten des Verwaltungsgerichts nicht, doch das Landratsamt ist dennoch der Verlierer. Denn der umstrittene Giebel kommt weg. „Mit dieser Lösung kann man leben“, meinte der Kläger gegenüber unserer Zeitung. Er sei froh. Die weitere fachliche Kommentierung wollte er seinem Anwalt, Patrick Bühring, überlassen.
Landrat Martin Wolf (CSU), der sowohl den Ortstermin als auch die mündliche Verhandlung verfolgt hat, ohne sich zu Wort zu melden, betonte hinterher auf Anfrage: „Ich stelle mich voll vor meine Verwaltung.“ Das Baurecht sehe Ausnahmen in der Abstandsregelung vor. Seine Verwaltung habe sorgfältig abgewogen und die Ausnahme bei dem Giebel noch als rechtskonform angenommen. „Das Gericht hat das heute anders gesehen, das müssen wir akzeptieren.“
Der Landrat versucht nun, das Positive zu sehen. Erstens, dass das Gericht noch vor der Sommerpause nach Pfaffenhofen gekommen sei. Und zweitens, dass noch während der Verhandlung eine konsensfähige Alternative gefunden wurde. Man werde diese nun dem Bau- und Vergabeausschuss des Kreistags vorschlagen, und Wolf geht nach eigenen Worten davon aus, dass man die Zustimmung bekomme. Dann könnten die Baumaßnahmen zügig weitergehen.
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