Logo
Anzeige
Anzeige

Die Mutter des Angeklagten im Ingolstädter Obdachlosenmord-Prozess sagte heute vor Gericht aus 

(ty) Irgendwann hat sie dann gesagt: „Pack Dein Zeug und verschwinde.“ Heute war die Mutter des Angeklagten im Obdachlosenmord-Prozess an der Reihe.  Und sie zeichnete ein erschreckendes Bild von der Kindheit und Jugend des heute 19-Jährigen Kai Kevin H.. Immer schon sei er schwierig und auffällig gewesen, habe ein riesiges Alkoholproblem. Aber auch den Behörden und Ärzten machte sie unterschwellig Vorwürfe. Weil niemand ihr geholfen habe, niemand sie unterstützt habe im Kampf um ihren Sohn. „Ich liebe ihn über alles“, sagte sie heute vor Gericht. Dennoch habe sie ihn, als sie irgendwann mit den Nerven am Ende war, aus dem Haus geworfen. Das war kurz bevor es dann zu dem Totschlag in der Alban-Berg-Straße gekommen war. Er hatte am 9. September 2013 den 33-jährigen Hans Jürgen B. mit einer Bierflasche und mit Fäusten und Tritten so schwer verletzt, dass er starb.

Natürlich geht es letztlich um die Frage, ob Kai Kevin H. schuldfähig ist und eine Gefängnisstrafe zu erwarten hat, oder die Unterbringung in einem psychiatrischen Bezirkskrankenhaus droht. Nach den Aussagen seiner Mutter sei er in seiner Kindheit überaus hilfebereit und nett gewesen, bis eben eines Tages der Alkohol ins Spiel kam. Wann genau das passierte, das konnte sich indes nicht sagen. „Wir haben es nicht gemerkt“, meinte sie.

Der Werdegang von Kai Kevin H. war dabei schon einigermaßen symptomatisch. Schon im Kindergarten sei das Scheidungskind auffällig gewesen, nachdem es zuvor während der Trennungsphase der Eltern ein Jahr bei seiner Tante verbracht hatte. Die Auffälligkeiten häuften sich auch in der Schule, weswegen er in einem Heim in Augsburg landete, später dann im Kinderdorf in Marienstein bei Eichstätt. „Irgendwann ist er uns dann entglitten“, schildert die Mutter, die wieder verheiratet ist und noch zwei Töchter hat. Bei ihr und seinem neuen Stiefvater hatte Kai Kevin H. in Eichstätt gelebt. Und der hat ihn sogar adoptiert.

Geholfen habe die neue Familie aber auch nicht. Denn irgendwann haben die Eltern dann doch gemerkt, das er ein massiven Alkoholproblem hat. Es kam zu Ausfällen im Vollrausch, zu einer Szene, bei der er die Haustür eintreten wollte und alles, was er in seinen Taschen trug durchs Zimmer warf. Unter anderem ein Tapetenmesser, mit der unbeabsichtigt die eigene Mutter verletzte.

Es folgten Klinikaufenthalte unter anderem in Neuburg. Das Urteil der Ärzte, das schilderte die Mutter nicht ohne Vorwurf: „Ihrem Sohn kann man nicht mehr helfen.“ Sie fühlt sich nachhaltig im Stich gelassen, von Ärzten, Psychologen, vom Jugendamt. „Muss denn erst etwas passieren, damit man tätig wird?“, fragte sie im Hinblick auf das Totschlagsdelikt. „Keiner hat mir geholfen. Ich habe mir von Geburt an Sorgen um mein Kind gemacht und bin von Pontius zu Pilatus gelaufen.“

Den ganzen Umfang seiner Alkoholsucht habe sie erst bemerkt, nachdem er von zuhause ausgezogen war und sie beim Aufräumen seines Zimmers unzählige Limoflaschen gefunden hatte, die alle nach Schnaps gerochen hätten. Im Juli 2013 habe sie das letzte Mal etwas von ihm gehört. Dann erst wieder von seinem Pflichtverteidiger. Da war es indes bereits zu spät.

Dass das Alkoholproblem von Kai Kevin H. überaus massiv ist, das hatte zuvor auch der Gutachter der Forensik bestätigt, der anhand von Haarproben diagnostiziert hatte, dass bei dem Angeklagten über einen längeren Zeitraum massiv Alkohol im Spiel war. „Das ist kein soziales Trinken mehr gewesen“, so der Gutachter. Die ermittelten Werte deuteten auf einen regelmäßigen und sehr starken Alkoholkonsum hin.

Das bestätigte im Maßen auch Bruder Martin, der heute ebenfalls als Zeuge geladen war. In dessen Straßenambulanz war Kai Kevin H. oft und regelmäßig zu Gast, schlug schon auch mal betrunken auf, sei aber nie aggressiv gewesen. Zwar habe es immer wieder Gerüchte gegeben um angebliche Schlägereien. Selbst aber habe Bruder Martin derartiges nie beobachtet.

Auch am Tag vor dem Totschlag war der Angeklagte in der Straßenambulanz gewesen. Wie auch das spätere Opfer Hans-Jürgen B. Und der sei an diesem Tag sehr aufgewühlt gewesen, weil er Stress gehabt habe mit einem Zimmernachbarn. Er hatte jedenfalls den Eindruck, Hans-Jürgen B. habe massive Angst gehabt. Vor wem, das konnte Bruder Martin nicht sagen. Stunden später war Hans-Jürgen B. dann tot, erschlagen auf einer Wiese in der Alban-Berg-Straße.

Ein Sittengemälde der besonderen Art gaben vier Obdachlose beziehungsweise Berufsalkoholiker ab, die Richterin Sibylle Dworazik geladen hatte, um etwas über Täter, Opfer und deren Beziehung zueinander zu erfahren. Außer ein wenig derber Komödiantik hatten die vier Zeugen jedoch wenig Erhellendes beizutragen. Denn wenn ein Zeuge auf die Frage, wann er das Opfer Hans-Jürgen B. zuletzt gesehen habe, anmerkt, das wäre vor dem Totschlag gewesen, so ist das sicherlich korrekt, aber nicht unbedingt überraschend.

Bei einem der Zeugen hatte das spätere Opfer beispielsweise neuneinhalb Monate gewohnt. Was ihn aber dennoch zu der Aussage ermunterte: „Wenn der bei mir geschlafen hätte, das hätte ich gemerkt.“ Da scheint der Alkohol mitunter schon deutliche Spuren hinterlassen zu haben.

Weitere Artikel:

„Ich sag gar nix“

Wie starb Hans-Jürgen B.?


Anzeige
RSS feed