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Manchmal tut es gut, wenn man sich daran erinnert, dass nicht alles selbstverständlich ist. Nicht nur, um mehr Dankbarkeit für das eigene Leben zu empfinden. Sondern auch als Aufforderung zum Handeln.

Von Veronika Hartmann

Die Sonne lacht und mit ihr die Menschen auf der Straße. Das Zitrone-Basilikum-Eis zergeht auf der Zunge und schmeckt köstlich. Paare flanieren die Fußgängerzone entlang, die von liebevoll restaurierten Häuschen umrahmt ist. Kinder spielen am Brunnen mit dem Wasser und ein Dackel, der kurzfristig sein Herrchen aus den Augen verloren hatte, rast ihm auf sein Rufen hin mit riesigen Sprüngen hinterher. Auf den Bänken, gleich neben den besonders kreativ und reizvoll bepflanzten Kübeln, sitzen zwei ältere Damen und machen Rast, die sie mit einem kleinen Schwätzchen verkürzen. Ingolstadt an einem normalen Sommertag ist echte Idylle – und die Menschen genießen sie zu Recht. Gesprächsfetzen dringen an mein Ohr: Man spricht über den Urlaub, das neue Auto oder den jüngst angeschafften Gartengrill.

Dass es in anderen Ecken der Welt nicht so idyllisch zugeht, ist hinlänglich bekannt. Krieg, Hunger oder diktatorische Regime verhindern, dass die Menschen entspannt ihr Leben genießen. Auch die Türkei befindet sich momentan an der Grenze zum Krieg: Gegen den Islamischen Staat (IS) in Syrien haben insbesondere kurdische Kämpfer der verschiedenen Organe der PKK Stellung bezogen. In den von ihnen auf syrischem Territorium eroberten Gebieten lassen sie ihre Utopie eines Staates entstehen.

Das Regime von Präsident Erdogan nimmt das als eine Bedrohung wahr, die nicht weniger gefährlich ist, als die mörderischen Truppen des IS. Daher lässt die Türkei Stellungen der PKK in Syrien bombardieren. Durch das harte Durchgreifen gegen die Kurden hofft Präsident Erdogan außerdem, die Stimmen der Nationalisten bei den bevorstehenden Neuwahlen zu gewinnen. Der Konflikt zwischen Kurden und Türken, für den in den vergangenen Jahren eine friedliche Lösung in Sicht gewesen zu sein schien, flammt dieser Tage erneut auf. 

Lauscht man Gesprächen in Istanbul, dann geht es meist um Politik und die Angst davor, dass es neue Tote geben wird. Schon jetzt sterben täglich Zivilisten, Polizisten, Soldaten und Terroristen. Täglich werden die Sicherheitsvorkehrungen verschärft und verdächtige Pakete und Gepäckstücke kontrolliert gesprengt. Wer kann, meidet die belebten Plätze. 

Noch vor zwei Jahren hätte in der Türkei niemand geglaubt, dass das Land an der Grenze zum Krieg stehen könnte. Man genoss die Sommertage und die Idylle vor historischer Kulisse. Niemand sollte sich vom Weltgeschehen den Sommer verderben lassen, die Freude am leckeren Eis oder dem schönen Urlaub verlieren. Aber manchmal tut es ganz gut, wenn man sich daran erinnert, dass nicht alles selbstverständlich ist. Nicht nur, um mehr Dankbarkeit für das eigene Leben zu empfinden. Sondern auch als Aufforderung zum Handeln. 

Wenn man heute durch die Fußgängerzone von Ingolstadt geht, stechen mehr dunkle Gesichter als früher ins Auge und natürlich drängt sich der Gedanke auf, dass es sich dabei um Flüchtlinge handelt. Menschen also, in deren Heimat seit langem kein Platz mehr für Gespräche über den Sommerurlaub und köstliche Eiskreationen ist. Vielleicht ist das der Grund, warum ihre Anwesenheit so viele Emotionen und Ängste auslöst: Sie erinnert daran, dass Frieden jederzeit kippen kann, und macht deutlich, wie unterschiedlich gerecht das Glück verteilt ist.

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Veronika Hartmann ist freie Journalistin und Übersetzerin. Nach ihrem Abitur am Christoph-Scheiner-Gymnasium in Ingolstadt zog es sie in die große, weite Welt: Über München und Bremen führte es die gebürtige Göttingerin an den Bosporus. Heute lebt sie in Istanbul und Ingolstadt, frei nach dem Motto: „Auf einem Bein kann man nicht stehen.“


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