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Im Kreis Pfaffenhofen sucht man ohnehin händeringend nach Wohnungen für Flüchtlinge – doch der zusätzliche Familiennachzug von anerkannten Asylbewerbern droht zur Mega-Herausforderung zu werden. Einen Lösung hat offenbar niemand – am Ende könnte es die Gemeinden treffen.

Von Tobias Zell

Am Pfaffenhofener Landratsamt spricht man von einer Situation „mit stark zunehmendem Problem-Potenzial“. Hohenwarts Rathauschef Manfred Russer (CSU), der Sprecher der Bürgermeister im Landkreis, gibt sich da weniger diplomatisch. „Das wird uns nicht nur überfordern, sondern an den Rand der Katastrophe führen“, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung. Es geht um den Familiennachzug von anerkannten Asylbewerbern und die Frage nach Wohnraum für diese zusätzlichen Menschen.

Damit kein Missverständnis entsteht: Die Sorge richtet sich nicht gegen die Leute, die da kommen. Die bange Frage, die heute auch bei der Dienstbesprechung der Bürgermeister im Raum stand, lautet vielmehr: Wie verhindert man, dass Hunderte von anerkannten Asylbewerbern mitsamt ihren nachgeholten Familien-Angehörigen angesichts des angespannten Wohnungsmarkts im Landkreis Pfaffenhofen auf der Straße stehen? Denn wer eins und eins zusammenzählt, der kommt unweigerlich zu der Erkenntnis: Hunderten von Flüchtlingsfamilien droht die Obdachlosigkeit. 

Und genau das könnte wiederum zu einem gefühlt unlösbaren Problem für die Gemeinden werden. Denn während die Unterbringung von Flüchtlingen eigentlich keine kommunale Aufgabe ist, aber längst bei ihnen angekommen ist, liegt die Zuständigkeit für Obdachlose in erster Linie bei den Gemeinden. Doch die wissen bekanntlich jetzt schon kaum mehr, wie sie noch Plätze für Flüchtlinge beschaffen sollen. Und nun blüht ihnen obendrein die Mammut-Herausforderung, unzählige anerkannte Asylbewerber mitsamt ihrer Familien unterzubringen, falls die – was sehr wahrscheinlich ist – keine Wohnung finden. Denn anerkannte Asylbewerber müssten eigentlich aus ihren gestellten Unterkünften ausziehen; aber dazu später noch. 

Bürgermeister planen Resolution

Man muss jedenfalls kein Insider sein, um zu wissen, dass sich die Kommunen von der Bundespolitik im Stich gelassen fühlen. „Wir erkennen die prekäre Situation vor Ort“, sagt Russer – „was scheinbar in Berlin nicht der Fall ist.“ Deshalb will er nun in seiner Funktion als Kreisvorsitzender des bayerischen Gemeindetags auf den sich breit machenden Unmut aufmerksam machen. Gegenüber unserer Zeitung kündigt er eine Resolution der Bürgermeister im Landkreis an – „um ein klares Zeichen nach oben, an die Bundesregierung, zu setzen“.

Russer gibt sich nach der heutigen Bürgermeister-Besprechung auch überzeugt davon, dass seine 18 Amtskollegen ihre Unterschrift unter den Text setzen werden, den er nun ausarbeiten will. Es könne nicht sein, sagt er, dass den Gemeinden die Bewältigung einer Aufgabe aufgebürdet werde, die eigentlich Sache der Bundesregierung sei. Das sei von den Kommunen organisatorisch schon gar nicht zu leisten – und finanziell gleich zwei Mal nicht. „Da müssen ein paar Dinge dringend geklärt werden.“ 

Wer ist überhaupt zuständig?

Klärungsbedarf sieht man aber offenbar auch, was die formale Zuständigkeit angeht. Nach Informationen unserer Zeitung soll – nicht zuletzt auf Anregung des Pfaffenhofener Bürgermeisters Thomas Herker (SPD) – nun geprüft werden, ob im Zusammenhang mit dem Familiennachzug von anerkannten Asylbewerbern im Falle einer Obdachlosigkeit die Gemeinden denn überhaupt zuständig sind. Denn in diesem Fall – so wird dem Vernehmen nach argumentiert – sei die Obdachlosigkeit ja sozusagen eine Folge der Bundespolitik.

Auch der Wolnzacher CSU-Abgeordnete Karl Straub hat indes die Initiative ergriffen. Er regte in seiner Landtagsfraktion an, einen Dringlichkeitsantrag einzubringen, der den Bund auffordert, sich dem Thema Familiennachzug zu stellen. Denn „das Gesetzes-Paket zur geplanten Verschärfung des Asylrechts, das neben schnelleren Abschiebungen und gesonderten Zentren für Flüchtlinge mit geringer Bleibe-Perspektive insbesondere einen erschwerten Familiennachzug beinhaltet, wird vor Weihnachten nicht mehr im Bundestag beschlossen werden“, informiert er in einem aktuellen Schreiben an Landrat Martin Wolf (CSU) und die Landkreis-Bürgermeister, das unserer Zeitung vorliegt. 

Straub: "Wird uns mit voller Wucht treffen"

„Jeder Monat des Aufschubs ist jedoch ein weiterer Monat, der die Kommunen vor riesengroße zusätzliche Herausforderungen stellt“, schreibt Straub. Es könne „einfach nicht angehen, dass unsere Kommunen diese zusätzlichen Lasten der Verzögerung auch noch schultern müssen“. Auch im Kreis Pfaffenhofen komme es zu den ersten Fällen syrischen Familiennachzugs. Momentan handle es sich noch um Einzelfälle, „aber in spätestens einem halben Jahr werden uns die Problematik des Familiennachzugs und die Knappheit des verfügbaren Wohnraums mit voller Wucht treffen“, prophezeit er.

Mit seinem Vorstoß will Straub zum einen eine öffentliche Diskussion im Landtag über die Problematik des Familiennachzugs erreichen. Zum anderen beinhalte der Antrag, dass die bayerische Regierung sich dafür einsetzen soll, „dass der Bund die Kommunen in Bezug auf den Familiennachzug insbesondere in finanzieller Hinsicht, aber auch was die Schaffung von Wohnraum anbelangt, schnell unterstützt“. Für Straub, der auch Pfaffenhofener CSU-Kreischef ist, steht außer Frage, dass die bayerischen Kommunen mit Recht entsprechende Forderungen stellen. „Die finanzielle Zuständigkeit ist aber hier eindeutig dem Bund zuzuordnen“, betont er. 

Anerkannte Flüchtlinge müssten eigentlich ausziehen 

Asylbewerber, die anerkannt sind, müssten eigentlich aus den ihnen zur Verfügung gestellten Unterkünften ausziehen und sich selbst auf dem freien Wohnungsmarkt eine Bleibe suchen. Aber angesichts des angespannten Immobilienmarkts finden viele keine – oder zumindest keine bezahlbare – Wohnung. Damit sie nicht auf der Straße stehen, werden sie bislang in den Asyl-Unterkünften geduldet – und heißen dann Fehlbeleger.  Diese Duldung wird angesichts des nicht abreißenden Zustroms von Flüchtlingen aber möglicherweise bald an ihre Grenzen stoßen: „Die Plätze in den Unterkünften werden dringend für neu ankommende Asylbewerber und Flüchtlinge benötigt“, bestätigt Landratsamt-Sprecher Karl Huber.

Verschärfen wird sich diese Situation, weil vielen anerkannten Asylbewerbern vermutlich Familienangehörige nach Deutschland folgen dürfen – und die haben freilich erst recht keine Wohnung, wenn sie ankommen. Das Landratsamt verzichte derzeit darauf, diesen Personenkreis an die nach dem Gesetz zuständige Obdachlosenbehörde – also die jeweilige Gemeinde – zu verweisen. „Die Regierung von Oberbayern hat jedoch schon mehrfach angekündigt, eine Unterbringung in staatlichen Asylbewerber-Unterkünften nicht auf Dauer hinnehmen zu wollen“, sagt Huber.

Familiennachzug: Landratsamt rechnet mit bis zu 650 Personen 

Im Landkreis Pfaffenhofen gibt es laut Landratsamt bereits heute 156 Asylbewerber mit Flüchtlings-Anerkennung, die einen Familiennachzug beanspruchen können. 123 weitere Personen stünden in laufenden Asylverfahren mit hinreichender Aussicht auf Anerkennung. Insgesamt rechnet die Kreisbehörde allein auf Basis dieser Zahlen damit, dass im Rahmen des Familiennachzugs  500 bis 650 weitere Personen im Landkreis untergebracht werden müssen. Nur wie und wo? Und wer kümmert sich? 

„Die Wohnungen dafür haben wir gar nicht“, sagt Bürgermeister-Sprecher Russer. Und die Gemeinden hätten auch sicher nicht das Geld, um dafür zu bauen. „Weder der Bund noch der Freistaat Bayern fühlen sich für dieses Problem zuständig“, sagt wiederum Landratsamt-Sprecher Huber. Deshalb werde mittelfristig eine andere Lösung zu suchen sein. „Wobei es dem Landkreis an sich gesetzlich verwehrt ist, dauerhaft und in großem Umfang selbst eine Obdachlosen-Unterbringung zu organisieren“, so Huber. Für Russer scheidet ein Landkreis-Engagement mit Bautätigkeit im großen Stil abgesehen davon schon deshalb aus, weil das über die Kreisumlage am Ende auch wieder zu Lasten der Kommunen ginge. 

Die einzige Maßnahme, die nach Meinung von Russer zur Lösung des sich anbahnenden Problems beitragen würde, formuliert er so: „Wir brauchen Cash vom Bund, und zwar in vollem Umfang für die nötigen Maßnahmen.“ Mit Zuschüssen, Förderprogrammen oder verbilligten Darlehen komme man angesichts der Dimension dieser Herausforderung nicht weiter. „Und wir müssen den Flüchtlings-Zustrom stoppen, sonst ist das nicht mehr zu händeln“, sagt er. Russer sieht dringend die Bundesregierung in der Pflicht: „Das ist der absolute Wahnsinn und es gibt keinen Plan.“

Weitere Hintergründe zum Thema:

Hunderten Flüchtlingen droht die Obdachlosigkeit


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