In Zusammenhang mit den Spanner-Vorwürfen gegen den vorläufig seines Dienstes enthobenen Bürgermeister von Scheyern macht die Staatsanwaltschaft ernst – dessen Anwältin bleibt dabei: Sie sieht keinen Straftatbestand und beruft sich auf "höchstrichterliche Rechtsprechung"
Von Tobias Zell
In Zusammenhang mit den neuerlichen Spanner-Vorwürfen gegen den deshalb auch vorläufig seines Dienstes enthobenen Scheyerer Bürgermeister Albert Müller (WGS) hat die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl wegen Beleidigung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung beantragt. Das bestätigte Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch von der zuständigen Staatsanwaltschaft München I heute gegenüber unserer Zeitung.
Albert Müller (55) soll am Vormittag des 20. Juni in München auf einer Rolltreppe am Stachus Frauen mit einer Kamera unter den Rock fotografiert haben. Ein Zeuge soll das beobachtet und die Polizei verständigt haben. Die Beamten rückten an und erwischten Müller „bei der Tatausführung“, so Steinkraus-Koch. Außerdem soll sich Müller bei seiner Festnahme heftig widersetzt, um sich geschlagen und dabei einen Beamten getroffen haben. Damit steht der Vorwurf der Körperverletzung im Raum. Und nicht zuletzt soll Müller, nachdem er von der Polizei gestellt worden war, versucht haben, seine Kamera, also: mögliche Beweismittel, zu vernichten. Ein Sprecher des zuständigen Polizeipräsidiums sprach laut einem Medienbericht von einer „ganzen Menge tatrelevanter Bilder“, die sich auf der Speicherkarte befunden hätten.
Ein Richter entscheidet nun, ob der von der Staatsanwaltschaft beantragte Strafbefehl erlassen wird. Über dessen Höhe wurde nichts bekannt. Wenn Müller den Strafbefehl – falls er erlassen wird – akzeptiert, dann werde die Summe auch nicht veröffentlicht, erklärte Steinkraus-Koch. Mit Annahme des Strafbefehls wäre die Angelegenheit für Müller strafrechtlich erledigt. Allerdings käme das in gewissem Sinne auch einem Schuldeingeständnis gleich.
Müllers Anwältin Regina Rick, die bekanntlich bereits die Einstellung des Verfahrens gegen ihren Mandanten beantragt hat, kann sich indes mit dem Strafbefehl in der nun beantragten Form nicht anfreunden. „Einen Strafbefehl, der den Tatbestand der Beleidigung verwirklicht sieht, kann man aus meiner Sicht nicht akzeptieren“, erklärte sie heute gegenüber unserer Zeitung.
Anwältin Regina Rick findet: Die ganze Angelegenheit Müller ist eigentlich gar kein Fall für die Justiz. Sie beruft sich dabei auf höchstrichtlerliche Rechtsprechung.
Die höchstrichterliche Rechtsprechung sei eindeutig, betont Rick noch einmal. „Heimliches Beobachten erfüllt noch keinen Straftatbestand.“ Das sei durch das Oberlandesgericht Nürnberg und den Bundesgerichtshof klar entschieden worden. Die Anwältin verwies bereits auf das Urteil in einem Fall, bei dem ein Mann einer Frau heimlich per Handy unter den Rock fotografieren wollte. Und noch etwas will Rick betont wissen: Der Vorwurf der Beleidigung dürfe nicht als „Auffangtatbestand für Voyeurismus“ dienen.
Die Staatsanwaltschaft habe, so Rick weiter, indes angekündigt, eine Verurteilung wegen Beleidigung bis zum Oberlandesgericht – in diesem Fall die höchste Instanz – zu verfolgen. „Ich habe große Zweifel daran, ob dies die Sache wert ist“, sagt die Anwältin. „Schließlich werden gleichartige Vorwürfe normalerweise überhaupt nicht von der Staatsanwaltschaft behandelt.“ Sie fragt sich deshalb, „warum ausgerechnet mein Mandant so verfolgt wird“, erklärt aber zugleich: „Dazu muss man allerdings wissen, dass die Staatsanwälte – anders als die Richter – weisungsgebunden sind. Wer verfolgt wird und wer nicht, ist also oftmals auch eine politische Entscheidung.“
Rick sieht aber in der ganzen Angelegenheit überhaupt keinen Fall für die Justiz. „Was meinem Mandanten vorgeworfen wird, erfüllt – selbst wenn es sich so zugetragen hätte, wie behauptet wird – keinen Straftatbestand“, betonte sie bereits vor Wochen unter Verweis auf die oben genannte „höchstrichterliche Rechtsprechung“. Auf Basis dieser Einschätzung ergibt sich für sie auch ein ganz anderer Blick auf den Müller vorgeworfenen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte: „Nachdem sich mein Mandant nicht strafbar gemacht hat, hätten ihn die Polizeibeamten gar nicht festnehmen dürfen“, argumentiert sie. Aus diesem Grund müsse man das, falls es sich denn überhaupt so zugetragen habe, als gerechtfertigte Gegenwehr bewerten – „ganz abgesehen von der Frage, ob die Polizei immer gleich so zulangen muss, wie sie es oft tut“.
Über mögliche dienstrechtliche Konsequenzen für Müller sagt die Frage nach dem Strafbefehl nicht zwingend etwas aus. Die Landesanwaltschaft als zuständige Disziplinarbehörde hat Müller nach dem Vorfall in München wegen eines „schwerwiegenden außerdienstlichen Dienstvergehens“ vorläufig seines Amtes enthoben und einen teilweisen Einbehalt seiner Bezüge angeordnet. „Wir werten sein Verhalten als schwerwiegend“, erklärte Oberlandesanwältin Simone Widmann damals und verwies auf die Vorbildfunktion eines Bürgermeisters.
Das Verfahren der Landesanwaltschaft gegen Müller ist mit Blick auf die strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihn ausgesetzt worden. Will sagen: Die Disziplinarbehörde will nun erst einmal abwarten, wie sich die Angelegenheit strafrechtlich entwickelt. Auch dazu vertritt Müllers Anwältin übrigens eine ganz andere Auffassung: „Die Vorwürfe gegen meinen Mandanten würden, selbst wenn sie richtig wären, eine vorläufige Dienstenthebung nicht rechtfertigen.“
Ungeachtet aller strafrechlichen oder dienstrechtlichen Konsequenzen für den vorläufig seines Dienstes enthobenen Bürgermeister Müller, steht er kommunalpolitisch bereits auf dem Abstellgleis. Die Wählergruppe Scheyern (WGS), der er angehört, hat vergangene Woche ihren Bürgermeisterkandidaten aufgestellt: der 37-jährigen Gerhard Eisinger. Damit ist klar: Müller steht vor dem politischen Aus. Da er auch nicht auf der Gemeinderatsliste der WSG auftaucht, wird er in den sechs Jahren nach der Kommunalwahl im März – zumindest im Namen der WSG – kein Mandat innehaben und damit politisch wohl auch keine Rolle spielen.
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