Gewerkschaft warnt vor immer extremeren Arbeitszeiten im Gastgewerbe. Umfrage zeige: "Fast jeder Zweite muss in der Freizeit für den Betrieb einspringen"
(ty) Oberbayerns Städte, zu denen Ingolstadt, Pfaffenhofen, Neuburg und Schrobenhausen zählen, verzeichneten im vergangenen Jahr mehr als eine Million Übernachtungen von Gästen aus dem In- und Ausland. Das sind 8,5 Prozent mehr als im Vorjahr – und 40 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren. Das teilte die Gewerkschaft "Nahrung, Genuss, Gaststätten" (NGG) heute mit. Sie beruft sich dabei auf Angaben des statistischen Bundesamtes, das die Beherbergungszahlen der deutschen Reisegebiete ausgewertet hat. NGG-Geschäftsführer Rainer Reißfelder spricht von einer "starken Bilanz – die jedoch nur mit dem starken Engagement der Beschäftigten überhaupt möglich ist".
Allein im Landkreis Pfaffenhofen beschäftige das Gastgewerbe nach Angaben der Arbeitsagentur rund 2000 Menschen, so die NGG. "Allerdings fehlen hier zunehmend Fachkräfte – auch, weil die Branche ein waschechtes Image-Problem hat", sagt Reißfelder. Einen Hauptgrund sehe er in den immer extremeren Arbeitszeiten. Zwar gehöre das Arbeiten am Abend oder am Sonntag für Hotelfachleute und Kellner fest zum Job. "Aber in den vergangenen Jahren sind die Schichten deutlich länger und die Erholungszeiten kürzer geworden. Das macht nicht jeder ewig mit", mahnt der Geschäftsführer der zuständigen NGG-Region Oberpfalz.
Reißfelder kritisiert in einer aktuellen Pressemitteilung insbesondere die Forderungen von Unternehmern, das Arbeitszeit-Gesetz zu lockern. "Geht es nach dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga), dann sollen 13-Stunden-Arbeitstage bald zum Normalfall werden. Aber hier steht die Gesundheit der Beschäftigten auf dem Spiel. Nicht umsonst gibt es gesetzliche Grenzen", betont Reißfelder.
Das Arbeitszeit-Gesetz schreibe eine Regelarbeitszeit von acht Stunden täglich vor; in Ausnahmefällen könne sie auf zehn Stunden ausgedehnt werden. "Nach einer Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin steigt das Unfallrisiko nach der achten Arbeitsstunde exponentiell an", so die NGG. "Und wer oft im Schichtdienst arbeitet, der hat ein erhöhtes Risiko, am Herzen oder an Diabetes zu erkranken."
"Die guten Übernachtungszahlen und steigende Umsätze zeigen, wie groß der Einsatz der Beschäftigten in der Gastronomie und Hotellerie ist", sagt Reißfelder. Im Landkreis Pfaffenhofen arbeiteten gerade gelernte Fachkräfte "längst am Limit", warnt er. Die dürfe man nicht mit "Horror-Arbeitszeiten" verprellen. Schon jetzt falle es der Branche schwer genug, Schulabgänger für eine Ausbildung zu gewinnen.
Die NGG warnt davor, das Gastgewerbe zum "Vorreiter für ausufernde Arbeitszeiten" zu machen. Bei einer aktuellen Branchen-Umfrage der Gewerkschaft gaben – so wurde heute erklärt – 81 Prozent der Befragten an, ihre Arbeitsbelastung habe in den vergangenen Jahren zugenommen. "Fast jeder Zweite muss demnach in der Freizeit für den Betrieb einspringen", so die NGG.
Dabei betreffen laut NGG ungewöhnliche Arbeitszeiten auch viele andere Wirtschaftsbereiche. Bundesweit arbeite mittlerweile jeder vierte Beschäftigte regelmäßig am Wochenende, wird unter Berufung auf den aktuellen Mikrozensus erklärt. Das seien rund neun Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – und 700 000 mehr als noch im Jahr 2010. In der Hotellerie und Gastronomie liege die Quote der Wochenend-Arbeiter sogar bei 86 Prozent, so die NGG mit Verweis auf Erkenntnisse der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.
Hinzu komme die Arbeit auf Abruf, von der im Gastgewerbe jeder Vierte betroffen sei. "Wenn der Chef per WhatsApp in letzter Sekunde die Dienste verteilt, dann können Beschäftigte ihren Alltag kaum planen", kritisiert Reißfelder. Statt längere Arbeitszeiten zu fordern, sollten nach Dafürhalten der NGG Hoteliers und Gastronomen die Branche attraktiver machen: "Das fängt bei einer guten Ausbildungs-Qualität an und reicht bis zur Bezahlung nach Tarifvertrag", so Reißfelder. "Und wenn das Personal Spaß an der Arbeit hat, dann kommen die Gäste auch gern wieder."