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Frauen unter den Rock fotografiert: So lief das Gerichtsverfahren gegen Scheyerns Bürgermeister Albert Müller, an dessen Ende eine Verurteilung zu 5250 Euro Geldstrafe wegen Beleidigung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung stand

Audio-Podcast: "Für etwas bestraft, was nicht strafbar ist" – Interview mit Verteidigerin Regina Rick

Von Tobias Zell

Er selbst sagt während der mehrstündigen Verhandlung in Raum A 224 des Münchner Amtsgerichts so gut wie gar nichts. Bespricht sich hin und wieder mit seiner Anwältin, verfolgt ansonsten stumm und mit zunehmend rotem Kopf, was um ihn herum passiert. Angaben macht er lediglich zur Person und zu seinen Lebensverhältnissen. Ansonsten wirkt er oft abwesend, teils fassungslos, phasenweise erschüttert ob des ganzen Wirbels und zwischendurch sieht es immer wieder so aus, als würde er beten, wenn er den Kopf senkt und seine zehn Finger ineinander verzahnt. Zu den Vorwürfen aber schweigt er konsequent. Kein Wort kommt dazu über seine Lippen. Nur ganz am Schluss, als ihm als Angeklagtem das letzte Wort gebührt, betont er sinngemäß, er habe sich bei den Polizisten mehrfach entschuldigt und er sei doch keiner, der anderen Menschen etwas antue. Mehr war an diesem Dienstagnachmittag nicht zu hören von Albert Müller, dem vorläufig seines Dienstes enthobenen Bürgermeister von Scheyern, der sich nach 2009 nun zum zweiten Mal mit Spanner-Vorwürfen konfrontiert sieht und diesmal schuldig gesprochen wurde.

5250 Euro Geldstrafe, 75 Tagessätze à 70 Euro, wurden dem 55-jährigen Albert Müller aufgebrummt, dessen Amtszeit als Rathauschef am Sonntag auf jeden Fall endet – weil seine eigene Wählergruppe (WGS) längst einen anderen Bürgermeisterkandidaten nominiert hat. Seine politische Karriere ist damit wohl beendet. Auch mit den negativen Schlagzeilen um seine Person und dem Stempel, ein „Spanner“ zu sein, wird er leben müssen. Denn dass er diesmal Frauen unter den Rock fotografiert hat, wurde nicht einmal von ihm selbst oder seiner Verteidigerin bestritten.

Albert Müller mit seiner Anwältin Regina Rick vor der Verhandlung.

Der Richter befand Müller wegen Beleidigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung für schuldig. Gegen das Urteil können Rechtsmittel eingelegt werden. Müllers Anwältin Regina Rick – bekannt geworden durch die Neuauflage des bundesweit für Aufsehen sorgenden Rupp-Prozesses – erklärte, sie müsse sich erst mit ihrem Mandanten besprechen, würde aber empfehlen, den Rechtsweg weiter zu beschreiten. Müller sei nämlich für etwas bestraft worden, was nicht strafbar sei, sagte sie am Dienstagabend im Gespräch mit unserer Zeitung.

Damit hat Rick die zentrale Frage, die über der mit Spannung erwarteten Verhandlung schwebte, auf einen einfachen Nenner gebracht: Ist es strafbar, Frauen unter den Rock zu fotografieren, oder nicht? Einen Spanner-Paragrafen kennt das Strafgesetzbuch nicht, weshalb man sich in solchen Fällen auf den Tatbestand der Beleidigung (auf sexueller Basis) beruft. Aber geht das? Hier scheiden sich wieder einmal die Geister.

Es ging also bei alledem gar nicht um die Frage, ob Albert Müller Frauen unter den Rock fotografiert hat. Auf der von der Polizei kassierten Speicherkarte aus der Digitalkamera des Angeklagten fanden sich auch 99 entsprechende Bilder und 27 Filme. Dass Müller das alles nicht war, davon war in der Verhandlung kein einziges mal die Rede. Nein, hier ging es in erster Linie um die Frage: Ist es im juristischen Sinne eine Beleidigung, wenn man Frauen unter den Rock fotografiert oder filmt? Das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg sagte in einem vergleichbaren Fall, auf den sich Verteidigerin Rick („eine höchstrichterlichen Entscheidung“) beruft: Nein. Der Richter am Amtsgericht München sagte jetzt aber: Ja. Und distanzierte sich damit klar und auch ausdrücklich von der genannten OLG-Entscheidung, die er, wie er wissen ließ, ohnehin nicht nachvollziehen kann.

Denn der Münchner Amtsrichter Thomas Müller kann in dem Fotografieren unter Frauenröcke „sehr wohl eine herabsetzende Bewertung“ des Opfers erkennen. Das möge vielleicht nicht das Hauptmotiv gewesen sein, sei aber billigend in Kauf genommen worden. „Fragen Sie doch mal das Opfer, ob das eine Beleidigung war“, meinte er. Und: Es könne nicht sein, dass man auf diese Weise „zur Masturbationsvorlage eines nicht kontrollierbaren Personenkreises“ werde. Er sieht hier die Frau „zum reinen Objekt degradiert“. Und um die Schwere dieser „Beleidigung“ einzuordnen, veranschaulichte er: Das sei schon was anderes, als wenn man in einer Konflikt-Situation jemanden als Arschloch bezeichne.

Albert Müller kurz vor Beginn der Verhandlung.

So schwer allerdings ordnete der Richter den Fall dann offenbar doch wieder nicht ein, wie ein Blick auf das Strafmaß zeigt. Der beantragte Strafbefehl, den Müller abgelehnt hatte, weshalb es überhaupt erst zu der Verhandlung kam, lautete auf 75 Tagessätze. Der Richter verdonnerte Müller nun ebenfalls auf 75 Tagessätze. Dabei war durchaus davon auszugehen, dass sich das Strafmaß erhöht, denn beim Strafbefehl wird die Geständigkeit des Beschuldigten angenommen. In der Verhandlung nun gestand Müller aber gar nichts, sondern schwieg – und bekam trotzdem „nur“ 75 Tagessätze. So sehr also die Müller-Verurteilung an sich mit Blick auf die höchstrichterlichen Rechtsprechung des OLG Nürnberg nun manchen verwunderte, so überraschte dann aber auch das vergleichsweise geringe Strafmaß. Der Richter blieb damit sogar unter der Forderung der Staatsanwältin, die auf 90 Tagessätze plädierte.

Albert Müller hatte am 20. Juni vergangenen Jahres um die Mittagszeit in München auf einer Rolltreppe am Stachus Frauen unter den Rock fotografiert und/oder gefilmt. In der rechten Hand, so schilderten die Zeugen übereinstimmend, hatte er die Digitalkamera, in der linken einen Stoffbeutel, wohl zum Verdecken der Kamera. Ein Zeitungsverkäufer hatte ihn bei dem voyeuristischen Treiben beobachtet und die Polizei verständigt. Vier Beamte rückten an; Müller wurde von ihnen gegen 12.20 Uhr bei einer konkreten Tatausführung erwischt – sein Opfer in diesem Fall, eine junge Sozialpädagogin, Jahrgang 1988, sagte auch als Zeugin aus. Sie hatte Müller zwar gesehen, wie sie erklärte, doch dass sie sein Voyeurismus-Opfer wurde, bekam sie nicht mit – da der Täter unbemerkt hinter ihr auf der Rolltreppe agierte. Von Müllers Treiben wurde sie erst wenig später von der Polizei in Kenntnis gesetzt, der gegenüber sie dann auch erklärte, sie wolle Strafanzeige stellen.

„Schockiert“ sei sie gewesen, als sie erfahren habe, was da zuvor mit ihr geschehen sei, sagte die junge Frau. „Eine Frechheit.“ Sie denke immer wieder an diesen Vorfall, erklärte sie– und betonte, dass das Geschehen nachhaltige Auswirkungen auf ihr Verhalten in der Öffentlichkeit habe. Sie räumte allerdings auch ein, dass sie sich auf keinem der Fotos auf der sichergestellten Speicherkarte erkannt hat. Offensichtlich hat Müller von ihr also keine Aufnahmen gemacht.

Müller dreht sich in einer Verhandlungspause zur Wand, damit die Medienvertreter sein Gesicht nicht fotografieren oder filmen können.

Der Angeklagte hat sich an dem besagten 20. Juni 2013 den Polizisten – sie haben sich allesamt nach eigenen Worten mündlich und durch Zeigen des Dienstausweises als solche zu erkennen gegeben – widersetzt, um sich geschlagen und dabei, vermutlich mit dem Ellbogen, auch einen Beamten am linken Oberkörper getroffen. Deshalb wurde Müller auch Körperverletzung vorgeworfen. Der verletzte Polizist erlitt eine Rippenprellung und musste ein bis zwei Wochen lang Schmerzmittel nehmen.

In dem Gerangel ließ Müller auch – so schilderten es die Polizisten – seine Kamera fallen und versuchte, auf sie zu treten. Offenbar wollte er den Fotoapparat bzw. den Chip mit den Bildern zerstören. Letztlich aber konnten sowohl die Digitalkamera als auch der Speicherchip darin sichergestellt bzw. beschlagnahmt werden. Darauf befanden sich die genannten 99 einschlägigen Bilder und 27 Filme, wie ein als Zeuge geladener Polizeibeamter erklärte, der nicht an dem Einsatz am Stachus beteiligt war, aber unter anderem die Auswertung der Daten vornahm und immer wieder mit solchen Fällen zu tun hat. Er berichtete weitere bemerkenswerte Fakten.

Erstens: Es habe Anfang Juli Durchsuchungen bei Müller gegeben – in seinem Privatanwesen und in seinem Büro im Rathaus. Der Amtsrichter, der den damaligen Verdacht des Vorliegens einer Straftat attestierte, bestätigte die Rechtmäßigkeit dieser Aktionen und widersprach damit der Sichtweise von Müllers Anwältin. Dass sich einzelne Vorwürfe im Ansatz nicht bestätigten, führe nicht zur Unwirksamkeit des Durchsuchungsbeschlusses, so der Richter. Für den als Zeugen berichtenden Kommissariats-Beamten war es indes durchaus neu, dass es in seinem solchen Fall einen Durchsuchungsbefehl gibt – das habe er in 15 Jahren noch nicht erlebt.

Zweitens berichtete er: Bislang seien die Ermittlungen in solchen Fällen seiner Erfahrung nach immer eingestellt worden – bis auf einmal, als man zu Oktoberfest-Zeiten von einem Italiener 300 Euro Sicherheitsleistung kassiert habe, die man ja verbuchen musste.

Ob gegen das Urteil Rechtsmittel eingelegt werden, muss Anwältin Rick nun erst mit ihrem Mandanten besprechen.

Drittens war bemerkenswert, dass auf dem Speicherchip in der Kamera sich zwar zahlreiche voyeuristischen Fotos fanden, keines davon jedoch der jungen Frau zugeordnet werden konnte, die sich Müller ausgeschaut hatte, als er in flagranti von den Polizisten erwischt wurde. Offensichtlich hatte er diese junge Frau nicht fotografiert. Das vermeintliche Opfer war eigens noch einmal zur Polizei gekommen, um die auf der Speicherkarte gefundenen Bilder zu sichten, konnte sich aber auf keinem erkennen.

Für die Staatsanwältin war am Ende der Fall klar: Die Beweisaufnahme habe genau bestätigt, was Müller in der Anklageschrift vorgeworfen wurde. Die angerückten Beamten hätten sich als Polizisten zu erkennen gegeben. Und sie durften auch einschreiten, wie sie im Gegensatz zu Verteidigerin Rick befand – denn zumindest stand eine Ordnungswidrigkeit im Raum. Die Staatsanwältin warf Müller eine „öffentliche Bloßstellung“ des Opfers vor. Sein Treiben habe nicht nur im öffentlichen Raum stattgefunden, sondern sei auch bemerkt worden. Zur Einordnung zog sie eine Parallele: Es sei egal, ob man einer Frau „Schlampe“ hinterherrufe und sie es nicht hören könne, weil sie Kopfhörer trage, oder ob man ihr unter den Rock fotografiere, sie dies aber selbst gar nicht mitbekomme.

Rick plädierte, wie erwartet, auf Freispruch für ihren Mandanten. Ihr gehe es dabei um die Grenzen des Strafrechts, wie sie betonte. Das genannte Urteil des OLG Nürnberg betreffe „genau einen solchen Fall“. Den Tatbestand der Beleidigung auf sexueller Basis gebe es im Strafgesetzbuch nicht. Zudem beinhalte eine Beleidigung, dass sie beim Adressaten bzw. Opfer auch ankomme, sprich: registriert werde. Sie betonte, dass ein solches Verhalten natürlich unsittlich sei und das man so etwas nicht mache, dass es aber eben kein Straftatbestand sei. Wenn man so etwas unter Strafe stelle, dann könne man das auch anzeigen, wenn einem jemand zu tief in den Ausschnitt schaue oder einen blöd anrede. Den Auftritt vor Gericht hätte sie ihrem Mandanten gerne erspart, sagte sie, aber es gehe darum, dass Paragraf 185 „kein Auffang-Tatbestand“ sei. Sie verwies auf die in dieser Sache bislang durchwegs eingestellten Fälle und stellte bei der Durchsuchung wie beim Polizeieinsatz bei der Ergreifung Müllers die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Und bei dem schnellen Zugriff der Zivilpolizisten müsse Müller nicht zwangsläufig erkannt haben, dass es sich um Polizisten handelte – was die Gegenwehr erklären sollte.

Der Richter befand Müller dann wegen Beleidigung sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung für schuldig. Müller muss 75 Tagessätze zu je 70 Euro bezahlen, seine Digital-Kamera und die Speicherkarte bleiben eingezogen und Müller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, so das Urteil.

Positiv für Müller wertete der Richter, dass Müller dem verletzten Polizisten 300 Euro Schmerzensgeld bezahlt habe, dass er sich bei den Beamten entschuldigt habe und dass er nicht vorbestraft ist. Eine Rolle spielte auch, dass Müller gesundheitlich angeschlagen ist (Details wurden unter Ausschluss der Öffentlichkeit besprochen) und dass er durch die neuerliche Spanner-Affäre Negativ-Schlagzeilen über sich ergehen lassen muss.

Nicht für ihn sprach, dass er kein Geständnis abgelegt hat und dass sein Vorgehen am Stachus gezielt und geplant gewesen sei, wie der Richter erläuterte. Da gegen das Urteil Rechtsmittel eingelegt werden können, dürfte das letzte Wort in dieser Sache allerdings noch nicht gesprochen sein.

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