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Impulse hinter Gefängnismauern: Studenten der Katholischen Hochschulgemeinde kümmern sich um Leute im Augsburger Jugendarrest – jeden Freitag

Von Maria Steber

(pba) Jede Woche, am Freitagnachmittag, verbringen Monty Nawrath und Dennis Nguyen eineinhalb Stunden hinter Gittern. Die zwei Studenten der Universität Augsburg sind Mitglieder eines Projekts der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG), das sich unter dem Titel „Soziale Arbeit im Jugendarrest“ um junge Menschen in der Jugendarrestanstalt (JAA) Augsburg kümmert. Monty und Dennis sind Teil dieser Gruppe, sie sprechen mit den Arrestanten, basteln mit ihnen, hören ihnen zu. Seit über zwei Jahren gibt es dieses Angebot der Katholischen Hochschulgemeinde bereits. Ein Programm überlegen sich die Studenten für jeden der Besuche neu.   

Das Problem heute sind Messer, dreizehn Stück. Dabei wollen sie nur Schrumpfköpfe aus Äpfeln basteln: Gemeinsam mit den Jungs Äpfel schälen, sie mit wilden Gesichtern verzieren, dabei reden, ins Gespräch kommen, sich austauschen. „Dreizehn Messer“, stellt der Beamte am Empfang fest, streicht sanft über die Klingen und zählt noch mal nach, Messer für Messer. Es sind dreizehn, schreibt er auf, „da müssen wir einfach genau sein“, sagt er und begleitet die Studenten eine Etage höher, in den Gruppenraum.

Der Raum, in dem das wöchentliche Angebot stattfindet, ist klein und einfach, nichts lenkt hier ab vom spärlichen Inventar, den zerkratzten Tischen und Stühlen, dem grauen Linoleumboden. Das einfallende Sonnenlicht wird gebrochen  von den Gitterstäben vor den Fenstern, den orangenen Vorhängen, den hellgelben Wänden. Eine kurze Vorstellungsrunde im Stuhlkreis markiert den Anfang der Stunde: „Eine Minute Redezeit für jeden, jeder nennt fünf Sachen: „Name“, „Alter“, „warum hier“, „Beruf“ und „an welchen Ort man gerne mal möchte. Und danach, Jungs, haben wir uns wieder ein richtig cooles Programm für euch überlegt“, schmeißt Monty Nawrath in die Runde, dreizehn junge Männer sind es diesmal. „Ich verstelle mich bei den Häftlingen bewusst nicht, sondern zeige mich genauso, wie ich eben bin“, sagt Nawrath. Enorm wichtig sei das, erklärt er, erst dann könne man mit den Arrestanten arbeiten „wir kommen als Kumpel, als Freund, nicht mit dem moralischen Zeigefinger“. Ihnen auf Augenhöhe zu begegnen, das sei wichtig. 

Und wichtig ist auch die Vorstellungsrunde ganz zu Beginn: „Wir wollen die Gruppe in Kontakt und zu Gesprächen bringen, dass sie sich austauschen, miteinander reden. Für die meisten von ihnen sind diese eineinhalb Stunden die einzigen Stunden, in denen sie vergessen, dass sie eingesperrt sind“, weiß Dennis Nguyen.

Das Konzept der beiden Studenten geht auf. Offen erzählen die jungen Männer von ihren Straftaten, von schwerer Körperverletzung, nicht abgeleisteten Sozialstunden, Diebstahl oder Volksverhetzung. Doch Antworten auf die Frage nach dem „Warum“ bekommt man hier keine. „Wissen Sie, ich verrate halt keinen“, wiederholt Mario (Name geändert) immer wieder, nuschelt Unhörbares, zuckt mit den Schultern, lächelt harmlos. Was ihm Glaube bedeutet? Sehr viel sagt er, er habe auch schon beim Sozialdienst Katholischer Männer (SKM) mitgearbeitet, an etwas zu glauben sei wichtig, findet er. Gut finde er auch, dass die KHG mit diesem Angebot in den Arrest gehe, auch Daniel (Name geändert) ist dieser Meinung: „Was die Studenten hier machen, ist super“, er habe sie sogar schon beim Richter gelobt.

Auf großen Papierbögen geben die jungen Männer Persönliches wieder: Sie schreiben von den Auswirkungen des Arrestaufenthalts, ihren Erfahrungen mit dem Glauben, ihren Träumen nach der Haft. Danach reden sie in der großen Gruppe darüber. „Die Jungs sollen dadurch sehen, wie andere Menschen funktionieren, sollen Impulse kriegen, wie sie ihr Leben weiter gestalten können, Orientierung bekommen für das Leben draußen“, sagt Dennis Nuygen. Auch während des Bastelns der Schrumpfköpfe gehen die Gespräche weiter, es entstehen Diskussionen und immer wieder werfen auch Dennis und Monty neue Fragen auf, kommentieren, schlichten wenn nötig und erinnern an Pflichten, die jeder in der Gesellschaft doch auch tragen müsse. 

Für die beiden Studenten ist der Besuch in der JAA kein Pflichtprogramm, das sie aus Zwang abspulen. „Die Jugendlichen hier haben in ihrem Leben schon so viel mitgemacht. Die zeigen einem, um was es im Leben wirklich geht: um Familie, Freunde und Träume nämlich. Die sind einfach viel mehr Mensch“, findet Monty Nawrath. Im Studium, in Kursen und Vorlesungen lebe man so weit abgehoben. Die Besuche in der JAA würden ihn wieder auf den Boden der Realität holen, weg von dieser „Schein-Bling-Bling-Welt“ der Uni, die nicht das echte Leben sei.

Warum sie sich ehrenamtlich für diese Sache einsetzen? Jede Woche viel Zeit dafür opfern? Auf diese beiden Fragen fällt den beiden im ersten Augenblick keine Antwort ein. „Wenn man sieht, dass sich bei den jungen Männern was bewegt, sieht, dass es ihnen gefällt, ihre Sehnsucht nach Religiosität spürt, Ideale erkennt, dann ist das einfach ein schönes Gefühl für einen selbst“, versucht es Dennis auszudrücken. Für ihn als Student der Theologie sei es außerdem wichtig, mit ganz unterschiedlichen Milieus in Kontakt zu kommen. Und der Arrest, der sei ja sowieso ein ganz, ganz wichtiger Ort für die Kirche.

Pünktlich nach eineinhalb Stunden ist auch an diesem Freitag Schluss. Der Beamte führt die Arrestanten wieder in ihre Zellen. Zurück bleiben die gebastelten Schrumpfköpfe: dreizehn Äpfel mit hohlen Gesichtern. Die Studenten stellen sie auf die Fensterbank, zwischen die Gitterstäbe, wo sie einschrumpfen, wilde Falten zeigen, bis zur nächsten Woche. Nächsten Freitag kommen Monty und Dennis wieder. Mit neuem Programm, ohne Messer.  


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