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Morgen beginnt der Prozess gegen den Geiselnehmer, der am 19. August 2013 vier Geiseln im Alten Rathaus genommen hatte und erst nach vielen Stunden vom SEK überwältigt werden konnte 

(ty) 19. August 2013: Um 17.32 Uhr fielen mehrere Schüsse im zweiten Stock des Alten Rathauses in Ingolstadt. Durch den Zugriff eines Sondereinsatzkommandos der Polizei wurde eine Geiselnahme nach rund neun Stunden beendet. Es war der Tag, als eigentlich Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Rathausplatz sprechen sollte. Stattdessen ein Großaufgebot an Polizei und Rettungskräften. Ein 24-Jähriger Ingolstädter hatte sich im zweiten Stock des Rathauses verschanzt und vier Geiseln genommen. Bürgermeister Sepp Mißlbeck, einen 37-Jährigen Stadtangestellten, eine 25-Jährige Sekretärin und noch eine 35-jährige Frau. Ab morgen muss sich der inzwischen 25-Jährige vor dem Landgericht für seine Tat verantworten. Fünf bis 15 Jahre ist das Strafmaß für Geiselnahme. Und ob die Staatsanwaltschaft, die in diesem Prozess durch Ingo Desing vertreten wird, erneut auf eine anschließende Unterbringung pochen wird, das wird der Prozessverlauf zeigen.

Er ist ein mehrfach vorbestrafter Mann, der als Stalker die 25-jährige Rathaus-Angestellte schon seit Längerem im Visier gehabt hatte, hatte kurz vor der Geiselnahme erst ein Verfahren wegen Stalkings hinter sich gebracht, kam damals aber mit einer Bewährungsstrafe davon. Weil das Gericht offensichtlich die Gefährlichkeit des Mannes nicht erkannt hatte.

Den ganzen Tag über waren an jenem 19. August Rathausplatz, Viktualienmarkt, die Mauthstraße und der Theaterplatz großräumig abgesperrt und von Polizisten streng bewacht. Hunderte Einsatzfahrzeuge standen in diesem Gebiet, Polizei, Feuerwehr, Rettungskräfte. Und die Tränktorstraße, die ebenfalls gesperrt war, war zugeparkt mit den Übertragungswagen diverser Fernsehsender. Ingolstadt war plötzlich weltweit in die Schlagzeilen gekommen.

Trotz des glücklichen Ausgangs der Geiselnahme stellt sich natürlich die Frage, warum es soweit kommen musste. Denn der 24-jährige Geiselnehmer, der sich ja in psychiatrischer Behandlung befand, stand erst kurz zuvor wegen Stalking, Beleidigung, Körperverletzung und Bedrohung vor Gericht. Und hat zudem ein langes Vorstrafenregister, dass auf Gewaltbereitschaft schließen lässt. Dennoch hatte das Gericht die von der Staatsanwaltschaft geforderte Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt abgelehnt. „Leider hat das Gericht damals nicht erkannt, dass von diesem Mann eine ganz erhebliche Gefahr für die Öffentlichkeit ausgeht“, meinte damals auch Innenminister Joachim Hermann, der den Tag der Geiselnahme in Ingolstadt verbracht hatte.

„Der Geiselnehmer ist für uns kein Unbekannter“, hatte auch Oberstaatsanwalt Helmut Walter eingeräumt, der ausdrücklich betonte, dass er schon vor der Geiselnahme der Meinung gewesen war, dieser Mann wäre ein Fall für eine Unterbringung. Das Gericht indes habe befunden, dass von diesem 24-Jährigen keine schwerwiegende Straftat mehr zu erwarten sei. Und gab ihm ein Jahr und acht Monate auf Bewährung. Die Unterbringung war damals abgelehnt worden.

Ein dramatischer Fehler, wie sich herausstellen sollte. Er hatte Hausverbot im Rathaus, das kurz vor der Geiselnahme auf alle Rathäuser ausgedehnt worden war. Weil er immer wieder auch andere Mitarbeiter bedroht, Mitarbeiterinnen des Rathauses sexuell belästigt hatte.

Die 35-Jährige ließ der Geiselnehmer am 19. August 2013 als erste zu einem sehr frühen Zeitpunkt laufen, weil er – wie die Polizei angab – wohl erkannt hatte, dass sie der psychischen Belastung nicht gewachsen war. Als seine bis dahin gestellten Forderungen – Zigarette, Tabletten und Essen – erfüllt waren, hatte er gegen 14 Uhr entschieden, auch Sepp Mißlbeck freizulassen.

Je weniger Geiseln es wurden, desto prekärer wurde natürlich die Lage für die 25-Jährige, das eigentliche Ziel seiner Geiselnahme. Zu diesem Zeitpunkt musste die Polizei auch nach den Schilderungen von Bürgermeister Mißlbeck davon ausgehen, dass er nicht nur mit einem großen Messer, sondern auch mit einer Pistole der Marke Walther P 99 bewaffnet war. Dass es sich dabei um eine täuschend echte Nachbildung gehandelt hatte, dass hat die Polizei erst nach dem Zugriff gemerkt.

Und der kam um 17.32, nachdem alle Forderungen des Täters erfüllt waren und die Lage für die Beamten uneinschätzbar wurde. Sie mussten in jedem Fall verhindern, dass der psychisch gestörte 24-Jährige irgendwann mit seinem Opfer allein sein würde. Deswegen hatte Einsatzleiter Günther Gietl zu diesem aus seiner Einschätzung günstigen Zeitpunkt den Befehl für den Zugriff gegeben.

 Genau die richtige Entscheidung, wie sich Minuten später herausstellen sollte. „Ein Restrisiko besteht immer“, meinte Gietl damals. Aber die Lage sei zum Zeitpunkt des Zugriffs soweit aufgeklärt gewesen, dass man das Sondereinsatzkommando in die Räumlichkeiten schicken konnte, in denen sich der Täter mit dem 37-jährigen Mann und er 25-Jährigen verschanzt hatte. Und der Erfolg gab ihm Recht.

Als Hintergrund für die Geiselnahme hatte die Polizei damals vermutet, dass der 24-jährige Wohnsitzlose eine Rücknahme des vor kurzem ausgesprochenen Hausverbots für das Rathaus erreichen wollte. 

Gottlob fand jener 19. August ein glückliches Ende. Das Ende eines aufregenden Tages, an dem über 200 Polizeibeamten, 40 Mann von der Feuerwehr und 50 Rettungskräfte alles getan haben, um eine Eskalation zu vermeiden und diese Tat unblutig zu Ende zu bringen. 


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