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Prozess um das Silvester-Unglück auf einem Weiher bei Geisenfeld, das zwei Menschenleben gefordert hat: Aussage unter Tränen, Empörung über den 69-jährigen Angeklagten, Zweifel an der Kompetenz des Sachverständigen und eine Überraschung: Der Bootsführer akzeptiert nun doch den Strafbefehl von 120 Tagessätzen und steigt aus dem Verfahren aus. Das Urteil fällt wohl am Freitag

Von Tobias Zell

Am zweiten Verhandlungstag im Prozess um das tragische Bootsunglück bei Geisenfeld, das an Silvester vergangenen Jahres zwei Menschenleben gefordert hat, ist heute am Pfaffenhofener Amtsgericht so einiges passiert. Es gab Tränen, weitere erschütternde Erkenntnisse, Empörung über einen der Angeklagten, Zweifel an der Qualifikation des Sachverständigen – und einer der beiden Angeklagten stieg überraschend aus gesundheitlichen Gründen aus dem Prozess aus.  Der 37-jährige Bootsführer Stefan H. akzeptierte nämlich doch noch den von der Staatsanwaltschaft erwirkten Strafbefehl über 120 Tagessätze; für ihn ist damit der Fall erledigt. Somit steht jetzt nur noch der 69-jährige Boots- und Teichgut-Eigentümer Siegmund B. wegen fahrlässiger Tötung in zwei Fällen sowie wegen fahrlässigen Eingriffs in den Schiffsverkehr vor Gericht. Das Urteil wird an diesem Freitag erwartet, wenn der Prozess um 12.30 Uhr fortgesetzt wird. Aber der Reihe nach. 

Ein kleines Alu-Boot (rund vier auf 1,20 Meter) mit fünf Menschen an Bord legte am Silvesternachmittag vergangenen Jahres vom Ufer eines Privatweihers bei Geisenfeld zu einer fatalen Überfahrt ab. Es wäre nur ein kurzer Trip gewesen, der zwei Frauen und zwei Männer zu Plattformen in dem Gewässer bringen sollte, um von dort aus Enten zu jagen. Doch es kam alles ganz anders. Zwei der Jäger bezahlten die Überfahrt mit ihrem Leben, noch ehe die Jagd überhaupt begonnen hatte. Das Boot ging unter. Der Bootsführer und die zwei Frauen konnten sich aus dem eiskalten Wasser ans Ufer retten, den beiden Waidmännern brachte das Unglück den Tod.

Wie konnte das passieren? Warum sank das Boot? War das Unglück vermeidbar? War Fahrlässigkeit im Spiel? Und trifft den Bootsführer und/oder den Bootseigentümer eine Mitschuld am Tod der beiden Männer? Mit diesen Fragen hatte sich auch heute, am zweiten Prozesstag, das Pfaffenhofener Amtsgericht zu befassen. Zu verantworten hatten sich der 37-jährige Bootsführer sowie der 69-jährige Boots- und Weiher-Eigentümer. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautete für beide Angeklagte gleich: fahrlässige Tötung in zwei Fällen in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Schiffsverkehrs.

Zu dem Prozess kam es, weil die beiden Angeklagten bekanntlich einen von der Staatsanwaltschaft beantragten und vom Gericht erlassenen Strafbefehl über 120 Tagessätze nicht akzeptiert hatten. Mit der Annahme der Strafbefehle wären sie dem Prozess entgangen und die Sache wäre strafrechtlich für sie erledigt gewesen – allerdings wäre das praktisch einem Schuldeingeständnis gleichgekommen. Und: Ab 90 Tagessätzen kommt es zur Eintragung im Führungszeugnis. Der 37-jährige Bootsführer hat sich nun heute, Mitten im Prozess, überraschend entschieden, aus der laufenden Verhandlung auszusteigen. Er ließ gegen Ende der Sitzung über seinen Verteidiger erklären, dass er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr weitermachen wolle und seinen Einspruch gegen den Strafbefehl zurücknehme. Er konnte damit direkt von der Anklagebank entlassen werden; für ihn ist der Fall mit Zahlung der fälligen Geldstrafe erledigt.

 

Tage nach dem Unfall wurde die Leiche des vermissten 33-Jährigen aus dem Weiher geborgen. Das Boot wurde sichergestellt und von Gutachtern untersucht.

Möglicherweise entscheidende Hinweise auf die Frage nach dem Grund des Unglücks gab zuvor der Sachverständige Christian Zauner. Er ist stellvertretender Leiter der Untersuchungsstelle für Wasserfahrzeuge beim TÜV Süd und berichtete von verschiedenen Belastungsversuchen, die mit dem Unglücksboot durchgeführt wurden. Dabei hätten sich eine „erhebliche Instabilität“ und eine Unterschreitung des Freibords gezeigt. Freibord ist, vereinfacht gesagt, der Abstand zwischen dem oberen Bootsrand und der Wasseroberfläche. Dieser verringert sich beim Eintauchen des Boots  – wird also geringer, je schwerer das Boot beladen ist. Ein Mindestfreibord ist erforderlich, um einem Boot bei Wellengang Schutz gegen Überflutung zu bieten und Reserveauftrieb zur Erhöhung der Stabilität zu geben.

Legt man nun die Erkenntnisse des Sachverständigen zugrunde, war das Boot deutlich überladen. Der Experte hat eine maximale Beladung von 240 Kilo ermittelt, das wären etwa drei Personen – tatsächlich aber saßen bekanntlich fünf Leute in dem Boot. Rechnet man dann noch die vier Jagdgewehre samt Munition sowie den Außenbordmotor plus Sprit dazu, kommt Zauner auf insgesamt 472 Kilo. Demnach war das Boot um beinahe 100 Prozent überladen.

Am Boot selbst konnte der Sachverständige zwar auch noch „geringfügige Mängel feststellen“, die aber seiner Ansicht nach die Festigkeit nicht beeinflusst hätten. Die Schwimmkörper am Heck waren indes seiner Meinung nach wegen des Gewichts des angebrachten Außenbordmotors „wirkungslos“. Aus Sicht des Gutachters war nicht feststellbar, dass sich jemand Gedanken gemacht hätte über die Tragkraft des Boots. Unterm Strich kommt er zum Ergebnis, dass wenn ein Boot über den Bug Wasser fasst, die Tendenz stark in die Richtung geht, dass es wie ein U-Boot nach unten geht. Und genau so wurde das, was passiert ist, ja auch geschildert. Ein geübter Fahrer hätte laut Zauner in dieser Situation vielleicht noch etwas retten können, aber: „Da Bedarf es schon einer gewissen Übung.“ Bootsführer Stefan H. hatte aber keinen Bootsführerschein und nach eigenen Angaben nur etwas Erfahrung.

 

Auf diesem Weiher geschah das Unglück; im Hintergrund die Einsatzfahrzeuge.

Eine mögliche Erklärung für das Unglück – so fasste der Richter zusammen – könnte also gewesen sein, dass das Boot zu schwer war und nach vorne ins Wasser eingetaucht ist. Aber auch eine dickere Eisscholle könnte eine Rolle gespielt haben, so der Sachverständige. Das Boot könnte eine dickere Scholle vor sich hergeschoben haben oder auf sie aufgelaufen sein – und als das Boot dann wieder von dieser gerutscht ist, könnte es nach vorne eingetaucht sein. Aber auch der eine Jäger, der nach Zeugenaussagen ganz vorne im Boot auf dem Schwimmkörper gesessen hat, könnte zum Untergang beigetragen haben, bestätigte der Gutachter auf Anfrage des Staatsanwalts. Denn dadurch habe sich der Schwerpunkt des Boots erhöht – und möglicherweise sei während der Fahrt über den Bug Wasser ins Boot gelangt.

Der Gutachter kam zusammenfassend zu der klaren Aussage: Wenn das erforderliche Freibord eingehalten worden wäre, wenn also das Boot nicht überladen gewesen wäre, dann wäre die Unglücksgefahr nur gering gewesen. Der Schiffsführer sei verantwortlich für die Sicherheit, betonte er. Dem vom Schiffsführer Stefan H. selbst ins Spiel gebrachten Erklärungsversuch, wonach das Festmachseil vielleicht im Wasser getrieben und sich irgendwo verhakt habe, weshalb das fahrende Boot abrupt abgebremst und nach unten gezogen worden sei, erteilte der Gutachter eine Absage. Wenn das so gewesen wäre, hätte sich der Knoten, mit dem das Seil vorne am Boot befestigt war, ja zusammenziehen müssen – und das sei eben nicht der Fall gewesen.

Die Verteidigung zweifelte indes die Qualifikation des Sachverständigen an. Zauner erklärte daraufhin, dass er eine mehrjährige Lehrzeit beim TÜV und eine Prüfung am zuständigen Ministerium absolviert habe, zudem mehrere Bootsführerscheine besitze sowie Ausbilder und auch Prüfer sei. Doch das beeindruckte die Anwälte nicht. Die wollten vielmehr wissen, warum er bei der Beurteilung des Freibords die Schifffahrtsordnung als Grundlage herangezogen habe. „Eine logische Folgerung“ sei das gewesen, erklärte Zauner. Doch der Verteidiger von Bootsführer Stefan H. hielt ihm vor, damit eine juristische Wertung vorgenommen zu haben.

Als der Sachverständige dann auf Anfrage der Verteidigung erklärten musste, dass er in den vergangenen Jahren zwar fünf vergleichbare Gutachten angefertigt habe, aber noch nie eines zu einem gesunkenen Boot, hatten die Verteidiger genug gehört. Sie stellten nun mehrere Beweisanträge. So hätten sie im Rahmen eines praktischen Fahrversuchs mit dem Unglücksboot unter den damaligen Bedingungen gerne die Kentersicherheit untersucht. Weitere Beweisanträge beziehen sich auf die gewässermäßige Einordnung des Weihers, auf dem das Unglück geschah. Hintergrund ist dabei die Frage, ob auf dem rund 22 Hektar großen Privatweiher überhaupt die Schifffahrtsordnung gilt.

Über die Zulassung der Beweisanträge wird der Richter am Freitag befinden. Er ließ heute aber bereits durchblicken, dass auch Sicht des Gerichts – vereinfacht gesagt – die Frage der Gültigkeit der Schifffahrtsordnung möglicherweise nicht die entscheidende Rolle spielt. Denn wenn tatsächlich eine Überladung des Schiffs vorlag, könnten die im Raum stehenden Vorwürfe strafrechtlich auch als Unterlassung gewertet werden.

Nach einer Pause erklärte der Verteidiger des Teichgut-Inhabers, dass er sich zur Fortsetzung der Verhandlung nicht mehr in der Lage fühle, weil er abgespannt sei, mittags nichts gegessen habe und außerdem Zeit zur Vorbereitung des Plädoyers benötige. So verständigte man sich auf die Fortsetzung des Prozesses an diesem Freitag um 12.30 Uhr. Und als es praktisch für heute schon vorbei schien, sorgte der verbliebene Angeklagte Siegmund B. für Empörung und Kopfschütteln, als er signalisierte, dass ihm der vom Richter vorgeschlagene Termin am Freitag nicht so gut passt. Es sei „Hochsaison in der Fischerei“, sagte Siegmund B. und schien vergessen zu haben, worum es hier eigentlich geht. Zur Erinnerung: Ihm wird die fahrlässige Tötung von zwei Menschen zur Last gelegt.

Aussagen unter Tränen

Zuvor war es am heutigen Prozesstag bei der Befragung weiterer Zeugen erneut darum gegangen, das Geschehen an dem Silvesternachmittag vergangenen Jahres aufzuhellen und die Frage zu beantworten, wie es zu dem Unglück kommen konnte. Das mit fünf Personen besetzte Boot legte bekanntlich gegen 13.45 Uhr ab – und sank kurz darauf. Die beiden damals 27 und 53 Jahre alten Frauen sowie der Bootsführer konnten sich ans Ufer retten. Der 70-jährige Jäger wurde vom zur Hilfe geeilten Teichgut-Besitzer mit Hilfe eines zweiten Boots aus dem Weiher gezogen und an Land gebracht, nach der Reanimation in eine Klinik geflogen, schwebte tagelang in Lebensgefahr und starb schließlich. Die Leiche des nach dem Unglück vermissten 33-jährigen Jägers wurde Tage später im Rahmen einer groß angelegten Suchaktion von Polizeitauchern entdeckt und geborgen. Sein toter Körper lag 20 Meter vom Ufer entfernt in 1,70 Metern Tiefe. Das Boot, das ebenfalls geborgen wurde, war in 57 Metern Entfernung zum Ufer untergegangen, nur noch ein Teil ragte aus dem Wasser.

Die beiden Frauen, die das Unglück überlebten, saßen heute im Zeugenstand. Unter Tränen berichtete Ulrike B., die inzwischen 54-jährige Ehefrau des Teichgut-Eigentümers, von dem „ganz schlimmen Erlebnis“, das sie nach eigenen Angaben mit therapeutischer Hilfe zu verarbeiten versuchte. Sie berichtete von der „fröhlichen Stimmung“ vor Besteigen des Boots, von einer zuvor noch erfolgten „Art Sicherheitsbelehrung“. Sie bestätigte, dass niemand eine Schwimmweste trug und auch keine solchen an Bord waren, dass sich aber jeder eine aus einer Garage hätte nehmen können. Sie schilderte, wie das Boot ablegte und dass Bootsführer Stefan H. für ihr Empfinden „sehr gut“, „ruhig“ und „gleichmäßig“ gefahren sei. Für das Unglück habe es „überhaupt keine Vorwarnung“ gegeben; es hätten auch alle ruhig im Boot gesessen.

Doch dann die Katastrophe: Das Boot sei nicht umgekippt, bestätigte Ulrike B. alle bisherigen Zeugenaussagen, sondern vom Bug aus unter Wasser geglitten. „Wie in einer Badewanne“ hätten die Insassen plötzlich im Wasser gesessen. Sie habe den Eindruck gehabt, das Alu-Boot habe plötzlich stillgestanden. Sie erzählte auch, wie sie sich schwimmend ans Ufer gerettet hat. Auf die Frage, warum Azubi Stefan H., der nach eigenen Angaben ja keinen Bootsführerschein hat, das Boot gesteuert hatte, meinte sie: „Weil er’s konnte.“ Über die beiden durch das Unglück gestorbenen Männer sagte sie: „Wir vermissen die beiden sehr. Kein Tag ist mehr so, wie es einmal war.“

Auch Elisabeth R. aus Karlsfeld, die zweite überlebende Frau, berichtete zunächst, dass das Boot langsam, nach vorne untergegangen sei. Später meinte die 28-Jährige, es sei „total zügig gegangen“. Eine Schwimmweste habe sie nicht getragen –sie habe sich nicht gedacht, „dass das solche Auswirkungen haben konnte“. 

Warum Stefan H. das Boot steuerte, konnte auch heute nicht so genau ans Licht gebracht werden. Er selbst hatte ja ausgesagt, dass er kurz vor der Jagd zum Bootsführer gemacht worden sei, weil der Angestellte, der eigentlich dafür vorgesehen gewesen sei, wegen Schmerzen am Bein nicht konnte oder wollte. Der besagte Xaver H. (Jahrgang 1953) bestätigte heute im Zeugenstand, dass er diese Aufgabe wegen eines einbandagierten Fußes (Thrombose) nicht übernehmen konnte. Aber auch er widersprach sich. Einerseits berichtete er, der Chef habe zu ihm gesagt, er brauche das Boot nicht fahren. Dann sagte er, es sei völlig offen gewesen, wer fahre. Jedenfalls fuhr dann also Stefan H. – und der habe ja dann vor der Beförderung der Jagdgesellschaft das Boot auch schon mal probiert an diesem Tag, sagte Xaver H. – vermutlich damit er „ein Gefühl kriegt für das Boot“. Stefan H. indes hatte am ersten Prozesstag erklärt, er sei vorab mit dem Boot über den Weiher gefahren, um das Eis zu brechen.

Interessant war, dass Xaver H. erklärte, dass bei früheren Fahrten durchaus  Passagiere Schwimmwesten getragen hätten. Im Gegensatz dazu hatten die beiden Angeklagten am ersten Prozesstag ausgesagt, das Tragen von Schwimmwesten sei absolut unüblich gewesen. Xaver H. trägt nach eigenen Angaben „fast immer“ eine Schwimmweste. Und interessant war auch, dass er ausdrücklich erklärte, dass unter den Booten auf dem Teichgut auch noch zwei größere gewesen wären – er selbst habe mit dem an jenem Silvestertag verwendeten Boot zuvor jedenfalls noch nie eine Jagdgruppe befördert.

Xaver H. hat von der Katastrophe selbst nichts mitbekommen, sondern nach eigenen Worten nur das Ablegen und Wenden des Unglücksboots gesehen. Dann habe er sich umgedreht und sei in die Werkstatt gegangen. Sicher ist sich Xaver H. aber, dass das Seil des Boots in Ordnung war. „Ein gutes Seil.“ Dagegen musste auch er einräumen, dass er nicht weiß, wie viele Leute in das Boot hätten einsteigen dürfen. 

Artikel zum ersten Prozesstag: Warum sank das Todesboot?


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