Dieser Tage zeigen erschreckend viele Menschen in Deutschland, dass ihnen die Werte, auf denen unser Zusammenleben basiert, offensichtlich abhanden gekommen sind
Von Veronika Hartmann
„Asylfetischisten und Multikultifanatiker wollen eine Masseneinwanderung, wollen eine Überfremdung, wollen eine Umvolkung und wollen den Volkstod“, formuliert die NPD-Ingolstadt in holprigem Deutsch auf ihrer Homepage. Was „Asylfetischisten“ sind weiß ich nicht, unter „Multikultifanatikern“ jedoch kann ich mir immerhin etwas vorstellen. Da man mich wohl dazu zählen darf, kann ich eins kategorisch ausschließen und beruhigend sagen: Niemand möchte „Überfremdung“, „Umvolkung“ oder gar einen „Volkstod“. Letzteren gilt es ja gerade zu vermeiden, nämlich indem man Menschen und eben Völker rettet, deren Leben in der Heimat bedroht ist.
Da bei der Verteilung des deutschen Passes in den allermeisten Fällen nicht auf sonderliche Fähigkeiten oder Qualitäten geachtet wird und auch in meinem Fall der passive Vorgang des am rechten Ort geboren Werdens vollkommen ausreichend war, bin ich erstaunt, welche Forderung ein durchschnittlicher „Ich bin ja nicht rechts, aber“-Bürger so an seine neuen Nachbarn stellt: Er muss schon arm und bedürftig sein, wer ein Smartphone hat, gilt schon als reich. Und natürlich darf er niemandem den Job wegnehmen, wenngleich er bitte auch nicht auf Kosten der Staatskasse leben soll! Kein einfacher Spagat, der da erwartet wird.
Aber nicht nur das sowie die Tatsache, dass der „beunruhigte“ Bürger sicherlich selber gerne von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch macht, wird hier übersehen. Auch, dass Neid, Missgunst und vor allem Hass unsere, die vermeintlich so geliebte, Gesellschaft vergiften. Mir persönlich ist es egal, ob mein Nachbar schwarz ist oder weiß, Arbeit hat oder keine. Seine Religionszugehörigkeit will ich nicht wissen, so wenig wie ich über meine eigene reden möchte. Weniger egal scheint mir hingegen, ob sich mein Nachbar an einen gesellschaftlichen Konsens halten kann, wobei Werte wie Respekt vor der Person und fremdem Eigentum, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft universell sind. Ich kann also in Deutschland und weltweit darauf hoffen, sie zu anzutreffen.
Welche der Asylbewerber diese ethischen Werte mitbringen oder nicht, weiß man vorher nicht, und es ist auch nicht relevant dafür, ob ihr Antrag angenommen wird. So wenig, wie wir Deutsche wegschicken können, die lügen, klauen oder brandstiften. Doch dieser Tage zeigen erschreckend viele Menschen in Deutschland, dass ihnen die Werte, auf denen unser Zusammenleben basiert, offensichtlich abhanden gekommen sind. Deutlich gesagt: Mir ist es egal, ob mein Nachbar per Schiff, Flugzeug oder Gebärmutterkanal „eingereist“ ist, nicht aber, wenn eine auf ethisch anspruchsvollen Werten basierende Kultur zerstört wird durch Neid, Hass und Vorurteile.
Es erinnert auch an eine weitere Tatsache, nämlich dass weder die KZ-Wärter im Dritten Reich, noch die Stasispitzel in der DDR, noch die Folterknechte Pinochets importiert werden mussten. Die Menschen, die dazu bereit sind, das absolut Böse zu tun, waren stets bereits da und sind jederzeit mitten unter uns. Auch jetzt und hier. Noch ahnen sie möglicherweise selber nicht, zu was sie fähig sein werden, und niemand kann sagen, ob die verbalen Brandstifter von heute diejenigen sind, die morgen tatsächlich mit der Fackel in der Hand vor einem Asylbewerberheim stehen werden. Aber da sind sie schon.
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Veronika Hartmann ist freie Journalistin und Übersetzerin. Nach ihrem Abitur am Christoph-Scheiner-Gymnasium in Ingolstadt zog es sie in die große, weite Welt: Über München und Bremen führte es die gebürtige Göttingerin an den Bosporus. Heute lebt sie in Istanbul und Ingolstadt, frei nach dem Motto: „Auf einem Bein kann man nicht stehen.“