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Überraschende Erkenntnisse darüber, wie unsere heimischen Wildtiere den Winter überstehen und wie ihnen wirklich geholfen werden kann.    

Audio-Podcast: Der kleine Winterschlaf der Rehe – Interview mit Prof. Arnold

Von Alfred Raths

Da staunten Jäger und andere Naturfreunde nicht schlecht, als ihnen Professor Walter Arnold vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien erzählte, was mit Reh und Hirsch in der kalten Jahreszeit so alles passiert und vor allem, welche Konsequenzen dies für die Jagd und das Freizeitverhalten der Naturgenießer haben kann. Soviel sei vorweg gesagt: Wildtiere benötigen im Winter vor allem eines, Ruhe! "Hören Sie am 24. Dezember damit auf, die Rehe zu bejagen", appellierte er - und so manche Jäger mussten da gleich zweimal hinhören, als sie dies beim Fachvortrag auf der Hubertusfeier der Jägervereinigung Pfaffenhofen in den Scheyerer Klosterstuben vernahmen. Neu für viele der Anwesenden war auch, dass etwa Hafer zu füttern das Schlimmste sei, das man den Rehen antun könne. Und überhaupt. es "muss hierzulande im Winter eigentlich überhaupt nicht gefüttert werden!"

Natürlich hatte der Wissenschaftler gute Gründe mitgebracht - belegt durch zahlreiche, über Jahre hinweg durchgeführten Untersuchungen an Rothirschen, Steinböcken, Gämsen, Rehen in seinen Institut - die seine teilweise durchaus provokanten Aussagen untermauerten.  

Professor Walter Arnold von der Uni Wien.

Pflanzenfresser sind während des Winters einer doppelten Belastung ausgesetzt. "Nahrung ist nur noch spärlich vorhanden und zudem von schlechter Qualität. Gleichzeitig sind aber die energetischen Kosten der Wärmeregulation bei Kälte und Schnee höher." Wildtiere haben erstaunliche Strategien, wie sie bisher nur von echten Winterschläfern bekannt waren, diese Situation zu meistern: Durch eine Absenkung der Stoffwechselaktivität, die vor allem durch die Toleranz einer niedrigeren Körpertemperatur möglich ist, verringert sich der Energiebedarf während der Winterzeit drastisch.

Fettreserven reichen nicht

Selbst die nicht winterschlafenden Wildwiederkäuer zehren im Winter von Fettreserven. Das Umschalten von einem Reserven aufbauenden Stoffwechsel im Sommer auf einen Reserven abbauenden im Winter führt dazu, dass die Futteraufnahme reduziert wird. Im Winter bei Nahrungsmangel eher weniger Appetit zu haben ist einfach praktisch. Die Tiere verbringen dann anstatt zu fressen mehr Zeit ruhend in ihrem Einstand und verbrauchen daher auch weniger Energie.

Ein weiteres Ernährungsproblem im Winter ist für Pflanzenfresser, die zu dieser Jahreszeit schlechte Qualität der Nahrung. Alle Pflanzen haben außerhalb der Wachstumsphase einen relativ hohen Faser- und geringen Eiweißgehalt. Daher ist die Darmpassagezeit, während der Nahrungsbrei intensiv aufgeschlossen wird, im Winter auch länger. Wenn nun weniger Nahrung verdaut werden muss, kann auch der Verdauungstrakt reduziert werden. Der Abbau von nicht benötigtem Gewebe ist eine ebenfalls energiesparende Reaktion der Tiere. "In der Tat ist die Reduktion innerer Organe im Winter bei Wildtieren ein weit verbreitetes Phänomen", so Arnold.

Rettende Schrumpforgane

In seinen Untersuchungen ermittelte der Forscher einen um bis zu 30 Prozent geschrumpften Pansen bei Reh- und Rotwild. Ähnlich verhält  es sich mit anderen Organen. Mit der Anlage von Fettreserven und deren Verbrauch im Winter kompensieren Tiere die unzureichende Nahrungsversorgung in der Notzeit.  Doch auch  Wärmeverluste belasten die Wildtiere, denen sie mit einem dickerem Fell als sie es sommers tragen und einer erhöhten die Toleranz gegenüber der  geringeren Körpertemperatur begegnen. Lange Zeit definierte die Wissenschaft Winterschlaf über die Körpertemperatur und als Winterschläfer galten jene deren  Körpertemperatur unter 10 Grad Celsius sinkt. "Heute wissen wir, dass die Stoffwechselrate selbst die primär regulierte Größe ist", erläutert Arnold. Sie sinkt beim Eintritt in den Winterschlaf bereits auf ein Minimum lange bevor die Körpertemperatur ihr Minimum erreicht. "Die traditionelle Unterscheidung von „winterschlafenden“ und „winterruhenden“ Tieren ist nicht sinnvoll."

Unvermuteter Winterschlaf

Untersuchungen an Wild zeigten, dass es  in einen energiesparenden Zustand fallen kann, der den physiologischen Vorgängen beim echten Winterschlaf gleicht.Zudem verringert sich der Blutfluss in die äußeren Körperteile; der Preis dafür ist, dass sich die Tiere nicht mehr so flink bewegen können. Im Gegensetz zum Menschen können Wildtiere tiefe Temperaturen in den äußeren Körperteilen sogar über lange Zeit ertragen, ohne dass ihr Gewebe dadurch geschädigt wird.  

Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen nun, dass Störungen von Wildtieren im Winter wenn nur irgend möglich zu vermeiden sind. "Ruhe im Revier ist daher das oberste Gebot im Winter", empfiehlt Arnold und gibt deshalb die Empfehlung an die Adresse der Jäger, am Heiligen Abend mit der Jagd auf Reh- und Rotwild  aufzuhören. In Bayern ist sie je nach Wildart bis Ende Januar erlaubt. Arnold sagt deutlich: "Wer das Wild im Winter durch den Wald scheucht, muss sich über Wildschäden nicht wundern." Doch auch Erholungssuchende und Freizeitsportler sind gefordert, dem Wild ihre Ruhe und damit oftmals auch ihr Überleben zu gönnen. Für eine mögliche Lösung der Problematik hält Arnold spezielle Winterruhezonen, die nicht betreten werden dürfen.

Sauer macht nicht lustig

Eine weitere Konsequenz  aus den jahreszeitlichen Veränderungen der Physiologie und des Verhaltens der Wildtieren betrifft die Winterfütterung der Tiere. "Sie hat aus wildökologischer Sicht ihre Berechtigung dort, wo im Sommer mehr Tiere Lebensraum finden, als dieser im Winter ohne zu hohe Wildschäden tragen kann – warum auch immer", meint Arnold. Wenn überhaupt, dann sollte erst am Nachmittag gefüttert werden, wenn die Tiere ihren natürlichen Aktivitätsgipfel haben. Wenn schon gefüttert wird, muss dies dann auch kontinuierlich geschehen, sonst sind Wildschäden an der Waldvegetation vorprogrammiert. Denn bleibt die Fütterung aus, hat das Wild noch das hohe Stoffwechselniveau, das durch die gute Fütterung erzeugt wurde – und damit einen entsprechend höheren Nahrungsbedarf.

Für wichtig hält Arnold auch, geeignete Futtermittel zur Verfügung zu stellen. Natürliche Äsung ist im Winter eiweißarm, faserreich und schwer verdaulich. Werden nun eiweißreiche oder zu leicht verdauliche Futtermittel verwendet, so führt das unweigerlich zu Problemen. Entweder zu vermehrtem Pflanzenverbiss und Schälschäden am Bäumen, um die Nährstoffkonzentrationen in der aufgenommenen Äsung auf ein saisongerechtes Niveau zu bringen, oder zu ernsthaften gesundheitlichen Schäden.

Untersuchungen an verendeten Rehen haben Arnold gezeigt, dass viele von ihnen  an einer Übersäuerung des Pansens eingegangen sind. "Umgebracht haben sie wohlmeinende, aber unwissende Jäger." Die Ursache dafür ist die übermäßige Aufnahme leicht verdaulicher, energiereicher Nahrung, beispielsweise Hafer. Der auf karge Winterkost eingestellte Verdauungstrakt der Tiere kann damit nicht umgehen und sie haben keinen Mechanismus entwickelt sich darauf einzustellen. In der Natur gibt es eben im Winter keinen Hafer.

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