Peter Neher, Präsident des Deutschen Caritas-Verbands, fordert mehr Ehrlichkeit in der Debatte – und dass die Kirche immer wieder den Finger in die Wunde legt.
(pba) Der Präsident des Deutschen Caritas-Verbands, Prälat Peter Neher, hat mehr Ehrlichkeit in der Migrations- und Integrationsdebatte gefordert. „Integration ist kein Sonntagsspaziergang“, sagte der er vor rund 100 Teilnehmern beim heutigen Studientag zu Migration und Integration im Haus St. Ulrich in Augsburg. Daher läge es in der Verantwortung von Politik, Medien und Zivilgesellschaft „deutlich zu machen, dass es bei der Frage der Integration keine vermeintlich einfachen Lösungen gibt“.
Neben Spracherwerb, Wohnraum und Zugang zum Arbeitsmarkt sei die „gemeinsame Zukunftsperspektive“ von Familien wesentlicher Bestandteil gelingender Integration, so Neher. „Die vollzogene Aussetzung des Familiennachzugs von subsidiär Geschützten ist deshalb integrationspolitisch kontraproduktiv und verlängert die Sorgen für die Betroffenen“, kritisierte der Caritas-Präsident und forderte: Die Kirche müsste gerade auch bei diesem Thema immer wieder den Finger in die Wunde legen.
Entschieden verwehrte sich Neher gegen den häufig an ihn herangetragenen Vorwurf, christliche Flüchtlingshilfe sei weltfremd. Die Vertreter von Kirche und Caritas redeten nicht nur, sondern handelten auch, sagte er. Als Beispiele nannte er die Asylberatungsstellen, Flüchtlingssozialdienste und psychosozialen Zentren, in denen mittel- und langfristig gedacht werde.
Dabei sind ihm durchaus die unterschiedlichen Blickwinkel und Verantwortlichkeiten in Politik, Kirche und Zivilgesellschaft bewusst. Gerade aber durch die „unterstützende und mahnende Rolle“ von Kirche und Caritas könnten „neue Perspektiven und Lösungsansätze in politische Debatten“ eingebracht werden, die nicht als naiv und weltfremd gebrandmarkt werden dürften.
„Herausforderungen wie die Flüchtlingssituation und Integration vieler Menschen aber brauchen ein gemeinsames Ringen um Lösungen“, wandte sich Neher an die anwesenden Bischöfe, Priester und Diakone sowie die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter. Die anstehenden Debatten gelte es daher „ohne Scheuklappen zu führen, sich aber auch menschenverachtender Polemik und unangemessener Vereinfachungen zu widersetzen“.
Alexander Kalbarczyk, Geschäftsführer der Migrationskommission der deutschen Bischofskonferenz, beschrieb Integration als wechselseitigen Prozess, der Zuwanderern und Aufnahmegesellschaft gleichermaßen einiges abverlange. Nötig, damit Integration gelingt, seien ein „Gefühl der Zusammengehörigkeit“, gegenseitige Wertschätzung und das „Bewusstsein, Teil der Gesellschaft zu sein“, so Kalbarczyk.
Unter der Schablone des Wandels der religiösen Landschaft seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stünden Religionen heutzutage vor der Aufgabe, den Gleichheitsgedanken und die Menschenwürde aus ihrer religiösen Tradition heraus plausibel zu machen. „Da Religion für die personale Identität relevant ist, ist sie es auch für die Integration“, betonte er. Schließlich werde die in Deutschland im Grundgesetz verankerte Religionsfreiheit nicht eingehegt, sondern ermöglicht.
Einen facettenreichen Einblick in die Flüchtlingssituation der Hauptstadt ermöglichte Caritas-Direktorin Prof. Ulrike Kostka aus dem Erzbistum Berlin. Geflüchtete Menschen schätzten es sehr, wenn sie auf gläubige Menschen stoßen, berichtete sie aus ihren Erfahrungen. Nicht religiös zu sein, sei vielen fremd. Kostka sieht daher in der Flüchtlings- und Migrationsarbeit von Kirche und Caritas eine große Chance, da sie Herzensbildung und solidarische Zusammenarbeit mit Menschen guten Willens ermögliche: „Wir müssen als Kirche migrations- und integrationsfähig werden und bleiben“, appellierte sie.
Gleichzeitig warnte die Caritas-Direktorin aber auch davor, sich als Kirche allein auf die „Bestandsstrukturen und Bestandskatholikenpflege“ zu konzentrieren. „Unsere Sendung als Christen geht weit darüber hinaus. Wir sind zu allen gesandt“, ermutigte Kostka all diejenigen, die sich teils seit Jahrzehnten in diesem Bereich engagieren und das „krankhafte Misstrauen überwinden, die anderen mit ihrer Verschiedenheit eingliedern und aus dieser Integration einen Entwicklungsfaktor machen“, wie Papst Franziskus in seinem apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium“ formuliert.