Logo
Anzeige
Anzeige

Was über den Aufsehen erregenden Fall, den erfolgreichen SEK-Einsatz, den Täter und sein Motiv bislang bekannt ist.

Von Tobias Zell

Es muss der blanke Horror für die 31-jährige Frau gewesen sein. Mehr als fünf Stunden lang befand sich die Sachbearbeiterin des Jugendamts an der Pfaffenhofener Kreisbehörde heute in der Gewalt eines Geiselnehmers. Ein Fluchtversuch endete für sie bereits am Morgen blutig: Der Beschuldigte, ein 28-jähriger Ingolstädter mit kasachischen Wurzeln, hatte ein Messer bei sich. Gegen 13.40 Uhr sah die Polizei einen günstigen Moment, das SEK griff zu und überwältigte den Mann. Im Folgenden haben wir zusammengefasst, was nach dem dramatischen Fall bislang bekannt ist.

Die Geiselnahme von Pfaffenhofen sorgte bundesweit für Schlagzeilen. Entsprechend groß war das mediale Interesse an einer eigens abgehaltenen Pressekonferenz, bei der gegen 16 Uhr der Einsatz aus verschiedenen Blickwinkeln ausführlich geschildert und weitere Details bekannt gegeben wurden. Günther Gietl, Präsident des in Ingolstadt ansässigen Polizeipräsidiums Oberbayern-Nord, sein Vize Herbert Wenzl, Wolfram Herrle von der Staatsanwaltschaft Ingolstadt, Thomas Schwarzmeier als Einsatzleiter des Rettungsdiensts, der Pfaffenhofener Vize-Landrat Anton Westner (CSU) und Polizei-Sprecher Hans-Peter Kammerer informierten die Journalisten. Anhand dieser Schilderungen lässt sich nach derzeitigem Stand das folgende Bild der Geschehnisse zeichnen.

Schnell rückten erste Polizeikräfte und der Rettungsdienst an.

Um 8.23 Uhr ist am heutigen Morgen bei der Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums Oberbayern-Nord ein Notruf eingegangen, in dem eine Bedrohungssituation gemeldet wurde. Ort des Geschehens: Das Jugendamt des Landkreises Pfaffenhofen, untergebracht nicht in dem großen Landratsamt-Gebäude am Hauptplatz, sondern nebenan, in externen Räumen am Hofberg. Der 28-Jährige hatte zuvor geläutet und um einen Termin bei der für seine Angelegenheit zuständigen Sachbearbeiterin gebeten. Diesem Wunsch wurde nachgekommen. Der Mann kannte die 31-jährige Behörden-Mitarbeiterin bereits.

Auch das SEK war bald in Pfaffenhofen Einsatzbereit.

Eine Kollegin hörte dann die Hilfe-Rufe der 31-Jährigen und setzte daraufhin den Notruf ab. Zwei Streifen der Pfaffenhofener Polizeiinspektion rückten an – die Beamten mussten dann bestätigen, dass es sich hier nicht nur um eine bedrohliche Situation, sondern tatsächlich um eine Geiselnahme handelt. Zu einem frühen Zeitpunkt gab es dann offenbar auch bereits einen ersten Kontakt zwischen dem Geiselnehmer und der Polizei. Im dritten Stock des Gebäudes hatte sich der 28-Jährige verbarrikadiert, das Opfer in seiner Gewalt. Die Jalousien des Büros ließ er herunter.

Ebenfalls bereits zu einem frühen Zeitpunkt dieses Dramas soll die Sachbearbeiterin die Verletzungen erlitten haben. Nach bisherigem Kenntnisstand trug sie zwei Schnittwunden davon, als sie offenbar einen Fluchtversuch unternahm, den der Geiselnehmer mit einem Messer unterband. Die Polizei berichtete schließlich von leichten Schnittverletzungen am Hals und an der rechten Handfläche. Eine der Verletzungen wurde später von den Rettungskräften mit einem Pflaster versorgt, die andere musste genäht werden.

Bei der Tatwaffe soll es sich um ein Messer mit zirka zehn Zentimeter langer Klinge handeln, das der Mann nach bisherigen Informationen bereits bei sich hatte, als er das Jugendamt betrat. Die Ermittler gehen davon aus, dass der 28-Jährige das Messer zielgerichtet mitgebracht hatte. Das könnte auch bedeuten: Dass er möglicherweise die Tat geplant hatte.

Hintergrund dürfte eine Entscheidung des Pfaffenhofener Jugendamts sein, mit welcher der Mann nicht einverstanden ist – und die er nicht akzeptieren wollte. Der 28-Jährige ist Deutscher mit kasachischen Wurzeln, lebt in Ingolstadt. Und er ist Vater einer kleinen Tochter, die auf Betreiben des Jugendamts hin bei einer Pflegefamilie untergebracht worden ist. Der 28-Jährige und die Mutter des Kindes leben nach Angaben des Landratsamts zeitweilig zusammen, trennen sich wieder, sind dann wieder zusammen. Der Entzug des Sorgerechts für diese Tochter gilt derzeit als Motiv der Geiselnahme.

In diesem Büro hat sich die Geiselnahme laut Polizei abgespielt.

Nachdem die Pfaffenhofener Streifenbeamten erkannt hatten, dass eine Geiselnahme vorliegt, setzte sich eine umfangreiche polizeiliche Maschinerie in Gang. Das gesamte Gebäude wurde geräumt, der umliegende Bereich sowie mehrere Straßen-Abschnitte weiträumig abgesperrt, weitere taktischen Maßnahmen wurden eingeleitet. Nachdem die Evakuierung des Jugendamts ohne Zwischenfälle erfolgt war, versuchte die Polizei, Kontakt zum Geiselnehmer herzustellen. Draußen herrschte derweil massive Polizeipräsenz, manche der Beamten hatten Maschinenpistolen.

Die Kriminalpolizei und die Verhandlungsgruppe setzten indes im Jugendamt auf Deeskalation und unternahmen alle möglichen Schritte, um die Situation gewaltfrei zu beenden. Das Polizeipräsidium hatte die Einsatzleitung da bereits übernommen. Zur Sicherheit waren sämtliche Stellen – bis hin zum SEK, das in voller Montur anrückte – in Alarmbereitschaft versetzt worden. Insgesamt waren 330 Beamte verschiedenster Einheiten beteiligt, wie nach Beendigung des Einsatzes erklärt wurde.

Spezialkräfte der Polizei brachten verschiedene Gegenstände in das Gebäude.

Man habe in ständigem Kontakt mit dem 28-Jährigen gestanden, berichtete die Polizei bei der Pressekonferenz. Die ersten Forderungen des Geiselnehmers lauteten demnach: Er wollte eine scharfe Schusswaffe, seine Tochter sollte wieder in die Obhut der leiblichen Mutter, außerdem verlangte der Mann Wasser. Und einen Arzt – offenbar zur Behandlung der zu diesem Zeitpunkt bereits verletzten Geisel. 

Die speziell geschulten Polizisten der Verhandlungsgruppe kommunizierten mit dem Geiselnehmer. „Konstruktiv“ seien die Gespräche verlaufen. Man habe zu keinem Zeitpunkt eine Lebensgefahr für die Geisel gesehen. Und die Lage sei auch nicht so „emotional“ aufgeladen gewesen, dass man einen Notzugriff geplant habe. Der Forderung nach Wasser kam man nach, auch ein mobiles WC wurde gebracht. Der Wunsch nach einem Arzt war offenbar in der gewünschten Form zunächst nicht umsetzbar. Und natürlich bekam der Geiselnehmer keine Schusswaffe.

Bereits gegen 8.50 Uhr war auch beim Bayerischen Roten Kreuz der Alarm eingegangen. Aufgrund der Unwägbarkeiten rückten rund 30 Leute um Einsatzleiter Thomas Schwarzmeier mit mehreren Fahrzeugen an. Auch das Kriseninterventionsteam (KIT) wurde verständigt, betreute Angehörige der Geisel und des Geiselnehmers.

Gegen 13.40 Uhr wurde von dem 28-Jährigen – durch die Tür – erneut um ärztliche Hilfe gebeten. Die Frau litt nach den Stunden in der Gewalt des Mannes zunehmend unter der Situation, unter anderem ist von Kreislaufproblemen die Rede. Dem SEK, das sich zu diesem Zeitpunkt längst im Gebäude befand, bot sich nun ein günstiger Augenblick für den Zugriff. „Gegen 13.45 Uhr beendeten Beamte einer Sondereinheit der Polizei die Geiselnahme mit einem erfolgreichen Zugriff“, teilte das Polizeipräsidium später in einer Presseerklärung mit.

 

Polizisten riegelten den Bereich um den Tatort weiträumig ab, manche von ihnen trugen Maschinenpistolen.

Das SEK benutzte bei dem Einsatz auch einen so genannten Taser, um den Geiselnehmer zu überwältigen – eine Elektroschock-Pistole. Just heute hatte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) angekündigt, den Einsatz von solchen Distanz-Elektroimpuls-Geräten bei der Polizei auszuweiten zu wollen. Der 28-Jährige wurde festgenommen, er hatte bei dem Zugriff laut Polizei wohl nur oberflächliche Schürfwunden erlitten.

Gegen den Beschuldigten wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Geiselnahme eingeleitet, berichtete Wolfram Herrle von der Ingolstädter Staatsanwaltschaft. Bereits am Vormittag waren von der Justizbehörde die nötigen Eilverfügungen getroffen worden; unter anderem sei es dabei um Telekommunikations-Maßnahmen zur Überwachung des Tatverdächtigen gegangen. Morgen wird der 28-Jährige dem Haftrichter vorgeführt. Abhängig davon, wie die Frage der Schuldfähigkeit beantwortet wird, werde dann Haftbefehl oder Unterbringungsbefehl beantragt.

Die Frage der Schuldfähigkeit des 28-Jährigen werde derzeit geprüft, sagte Herrle am Nachmittag. Er sprach von einer „psychischen Problematik“ bei dem Beschuldigten. Wird bei dem Mann auf schuldfähig und Untersuchungshaft entschieden, wird er morgen in eine Justizvollzugsanstalt gebracht. Im Falle eines Unterbringungsbefehls kommt er in ein Bezirkskrankenhaus. Unabhängig von der Frage der Schuldfähigkeit, so Herrle, laute der Vorwurf aber auf Geiselnahme.

Für die Polizei und die Justiz ist der 28-Jährige indes kein Unbekannter. Er war in der Vergangenheit bereits wegen Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Außerdem sei er bereits mehrfach auf Basis des Unterbringungsgesetzes in Gewahrsam genommen worden, wurde erklärt. Nachdem das Opfer in einem Krankenwagen weggefahren worden war, brachten Kriminalbeamte den Beschuldigten in einem zivilen, dunklen SUV vom Tatort. Die polizeilichen Absperrungen wurden dann nach und nach wieder aufgehoben, das Drama war beendet.

Nach dem Zugriff: SEK-Kräfte verlassen das Gebäude. In dem Krankenwagen wird das Opfer dann weggefahren.

Aus polizeilicher Sicht sei das „ein erfreulicher Abschluss einer Geisellage“ gewesen, sagte Polizei-Sprecher Kammerer. Polizeipräsident Gietl dankte seinen Leuten und den BRK-Kräften. Sein Vize Wenzl zeigte sich froh über den glücklichen Ausgang, man sei in Gedanken beim Opfer. Der amtierende Landrat Westner zeigte sich ebenfalls „froh, glücklich und dankbar“ über diesen Ausgang.

„Unsere Gedanken sind bei unserer Mitarbeiterin“, so Westner weiter. Der 31-jährigen Kollegin wünsche er gute und baldige Genesung. Er dankte allen Einsatzkräften, die den „Fall bestens gelöst“ hätten, sowie seinen Mitarbeitern für deren besonnenes Verhalten. Westner, der eigentlich Urlaub hat, war angesichts der dramatischen Situation eigens früher aus Bad Tölz zurückgekehrt.

In diesem schwarzen, zivilen Polizeifahrzeug wurde der Geiselnehmer nach seiner Festnahme vom Tatort gebracht.

„Dank des umsichtigen und konsequenten Eingreifens unserer Polizeikräfte konnte die dramatische Geiselnahme im Landratsamt Pfaffenhofen erfolgreich beendet werden. Die Polizeibeamten vor Ort haben die gefährliche Situation gottseidank souverän gemeistert.“ Mit diesen Worten brachte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann seine Erleichterung über den gelungenen Einsatz sowie seinen Dank an die Einsatzleiter des Polizeipräsidiums Oberbayern-Nord und an die Polizeikräfte zum Ausdruck.

„Die heutige Geiselnahme hat erneut unter Beweis gestellt, dass der Einsatz von Tasern in bestimmten Situation eine sehr sinnvolle Ergänzung zu den schon jetzt vorhandenen Einsatzmitteln der Bayerischen Polizei ist“, so der Minister. Er kündigte zugleich an, dass nach dem Pfaffenhofener Einsatz genau analysiert werde, inwieweit die bislang getroffenen Maßnahmen zum Schutz der Behörden und ihrer Mitarbeiter ausreichen.

Update: Nach der Geiselnahme in Pfaffenhofen: 28-Jähriger in Psychiatrie eingewiesen

Weitere Beiträge zum Thema:

Nach der Geiselnahme in Pfaffenhofen: Die Pressekonferenz im Video

Pfaffenhofener Geiselnehmer wurde mit Hilfe eines Tasers vom SEK überwältigt

Geiselnahme im Pfaffenhofener Jugendamt beendet


Anzeige
RSS feed